Lyravox karlotta Diamant
Die Komplettlösung: An Bord sind Wandler, Vorstufe, Endstufe – und ein paar der besten Chassis der Welt. Zudem sieht Karlotta höchst elegant im Wohnraum aus. Aber: Lyravox lässt sich den Traum gehoben bezahlen. Diamant inklusive.
Wir lieben die Mutigen. Menschen, die sich jedem Sturm entgegenstellen. So ein Sturm besagt beispielsweise, dass es in unserer Zeit nicht nur dumm ist, eine eigene Lautsprechermanufaktur zu gründen, sondern geradezu fahrlässig. Das hat diese Beiden nicht irritiert: Jens Wietschorke und Dr. Goetz von Laffert haben Lyravox ins Leben gerufen. Eine immer noch junge Company, der wenige einen Funken von Überlebenschance eingeräumt hatten. Und es gibt sie immer noch. Weil sie clever eine ganz spitze Zielgruppe bedient. Das sind wohlhabende Menschen mit dem Geschmack für das Besondere. Alles entsteht am Firmenstandort in Hamburg. Das Finish gehört in die Edelklasse. Die Preise auch. Wer sich einen Lautsprecher von Lyravox gönnen will, muss Connaisseur sein und dazu über freies Bargeld verfügen.
Das ist der Punkt der Geschichte, an dem alle anderen Leser aufhören könnten, den weiteren Zeilen zu folgen. Die beiden hier abgebildeten Lautsprecher kostet 34.800 Euro.
Basta. Da ziehen sich sicherlich viele Interessenten zurück. Aber dennoch: Lyravox hat überlebt und lebt noch immer. Jetzt könnte ein Missverständnis auftauchen: Sind das so stolze Hanseaten mit gerümpfter Nase, die einen auf edel machen und die Proletarier unter uns ausschließen? Ein Ghetto für die Superreichen?
Das wäre ungerecht. Tatsächlich gibt es keinen wirklich erschwinglichen Lautsprecher im Sortiment. Aber nichtsdestotrotz leben hier zwei
Herren einen Traum. Vom ultimativen Handwerk mit den ultimativen Mitteln.
Persönlich eingemessen
Wer hierzulande einen LyravoxLautsprecher kauft, wird Jens Wietschorke und Dr. Goetz von Laffert persönlich begegnen. Jedes Exemplar wird von den Profis daselbst ausgeliefert, kein Weg ist zu weit. Denn die Firmenchefs passen den Klang höchst individuell auf den Raum des Käufers an. Die Lautsprecher werden installiert, justiert und per Messmikrofon maßgeschneidert. Auch dies ist ein Alleinstellungsmerkmal im globalen Geschäft. Weshalb es nicht wundert, dass die Firmenchefs persönlich auch bei stereoplay vorbeischauten. Als Duo und mit einem Duo im Gepäck. Wir haben uns die Karlotta gewünscht, im ganz großen Aufbau mit Diamanthochtöner. Der Hörraum war den kompletten Tag reserviert. Allein die Basisjustage dauerte über drei
Stunden. Wir hatten Zeit. Wir wollten ja etwas. Dazu muss man sagen, dass die Karlotta kein Monstrum ist. Die Fotos auf diesen Seiten können täuschen. Tatsächlich reckt sie sich nur 109 Zentimeter in die Höhe. Das ist zutiefst wohnraumtauglich. Im Gegenzug liegt das Gewicht bei 55 Kilogramm pro Seite. Das wiederum ist stattlich und zeigt, dass hier einiges verbaut wurde. Schauen wir zuerst auf die Membranen, von der Tiefe bis zur Höhe. Lyravox wäre schlecht beraten, Geld in eine eigene Chassis-fertigung fließen zu lassen. Ankaufen ist besser, aber definiert. Hier gibt es einige der feinsten Chassis auf dem Erdball. Eher gute Hausmannskost ist der Subwoofer im Rücken. Er stammt von Scanspeak, das Modell 26W. Das ist ein Langhuber mit ZehnZoll-membran. Die wiederum besteht aus schwarz eloxiertem Aluminium. Sie wird tatsächlich angesteuert wie ein reiner Subwoofer, unter 60 Hertz. Und an dieser Stelle nicht zu vergessen: Alle Chassis liegen in eigenen Sub-gehäusen. Als Distanzelemente hat Lyravox massive Platten aus Kunststein eingelassen. Auch das weckt Vertrauen – dieser Lautsprecher ist einfach gut gemacht, von Designern wie von Klangprofis. Schauen wir auf die Front. Da erkennen die Informierten sofort, dass wir auf einen D’appolito-aufbau blicken – zwei Mitteltöner umrahmen im gleichen Abstand einen Hochtöner, was die Geschlossenheit des Klangeindrucks garantieren soll, zudem das Tempo und schlicht die Abbildungsleistung. Hier öffnet Lyravox die Brieftasche maximal. Die Mitteltöner stammen von Accuton. Das ist eine Vollkeramik. Unfassbar teuer, unfassbar gut. Sieben Zoll aus der Edelserie. Als Kenner muss man angefixt sein, zumal Lyravox den Zauber auch in die Höhe treibt. Im Zentrum zwischen den Mitteltönern, bei einer Trennfrequenz von 2000 Hertz springt der Hochtöner an. In der klassischen, „normalen“Bauform verwendet Lyravox hier abermals ein Keramikchassis von Accuton, was bereits hochedel ist. Doch wir wollten
Ein feinerer, schnellerer Treiber
ist auf dem globalen Markt
nicht vorstellbar.
den Hyperausbau und bestellten die Karlotta mit einem Diamanthochtöner. Auch der aus dem Fundus von Accuton. Sagen wir es einmal absolut: Feinere Wandler hatten wir in dieser Gesamtkombination noch nie in unserem Hörraum zu Gast. Wir trinken den feinsten Champagner und sonnen uns im Absoluten.
Luft in der Höhe
Wäre es damit gut? Haben wir alle Kronjuwelen benannt? Nö. Denn ganz oben auf der Oberseite der Karlotta gibt es noch einen weiteren Wandler. Diesmal eine gefaltete Membran nach den Idealen von Oskar Heil – ein Air Motion Transformer. Was soll der da? Lyravox hat für sich erkannt, dass der Hochtöner zur Front zwar alle Höheninformationen auf den Hörplatz beamt – aber der Raumeindruck wirkt zu fokussiert, zu klein. Der AMT on top soll den Raum erweitern, das Bündeln relativieren und einen feindiffusen Hauch in das Klanggeschehen bringen.
Klares Votum pro AMT
Der Gegentest funktioniert recht leicht. Einfach einen Bierdeckel auf den hohen Hochtöner legen. Sofort verändert sich die Aura. Das war irgendwie unelegant, der Lautsprecher zielte wie mit einem Laser auf den Sweet Spot, aber es fehlte die Eleganz, die Weite im audiophilen Geschehen. Also klar ein Votum für die definierte Ziehharmonikafolie in der Höhe.
Hätten wir damit alle Details versammelt? Abermals nein. Die Karlotta versteht sich als Löser aller Probleme. Denn wir brauchen keinen Vorverstärker, wir brauchen keine Endstufen, selbst den Digital/analogWandler können wir uns sparen.
Alles ist in der Karlotta integriert. Natürlich abermals auf die höchste, schönste Bauform. Auch hier hat Lyravox den Schulterschluss zu bereits bestehenden Lösungen gesucht. So kommt der Wandler von Hypex. Das sind Superprofis aus den Niederlanden. Zu Hause in Groningen und fixiert auf einen Edelmix aus Elektronik, professioneller Beschallung und der Ausstattung für Tonstudios. Wer bestellt, bekommt komplett konstruierte Bausteine. Kostet viel Geld, bringt aber auch viel. So könnten wir beispielsweise direkt von einem Player oder Streamer in die Karlotta über eine digitale Verbindung hinein. PCM wird unterstützt, aber leider kein DSD. Ist das ein Manko? Da muss man auf dem Boden der Tatsachen und seiner eigenen Datensammlung bleiben. Super aber der Kraftantrieb, auch der von Ncore. Die Mitteltöner und der Subwoofer werden von je einer Endstufe mit 250 Watt befeuert. Die Hochtöner müssen und können sich mit 150 Watt begnügen – alles in digitaler Verstärkung. Dazu gibt es noch ein feinjustierbares DSP. Drei Presets lassen sich per Fernbedienung wählen. Wieder sind wir angefixt: Das Gesamtkonzept ist schlau, sehr genau an die Ideale der Zielgruppe gerichtet.
Ist es ein böser Designlautsprecher? Ist es gar eine Konstruktion für die reichen Naivlinge? Nein, klares Nein. Auch als echter, wissender HighendFreund sollte man über diesen Lautsprecher nachdenken. Wie nähern wir uns einem so überaus eigenwilligen Sondermodell an? Zum Glück haben wir Qobuz – unfassbar viel Musik, dazu in der höchsten Auflösung. Die ehrwürdige EMI gibt es nicht mehr. Die Beatles sind
verkauft, dazu Meilensteine der Klassik. Die hütet mittlerweile Warner. Ganz frisch wurde die Neunte Symphonie von Bruckner unter Eugen Jochum neu digitalisiert. Ein Klangtipp. Das Scherzo pirscht sich fast unhörbar leise an. Dann eine Eruption der Kontrabässe und Blechbläser. Ein Brückenschlag vom Pianissimo zum doppelten Forte. Groß und großartig, wie die Lyravox diesen Spagat nicht nur hinnahm, sondern direkt an unser Herz adressierte. Wir fieberten mit, wir waren gebannt. Alle Harmonien erklangen perfekt austariert.
Äpfel und Birnen
Aber: In dieser Preisklasse gibt es weitere perfekt agierende Konkurrenten. Die sich vor allem damit hervorheben, dass sie fast doppelt so groß in Bauform und Litergröße zur Karlotta sind. Aber, aber: Das sind alles Passiv-lautsprecher, die eben Wandler, Vor- und Endstufe gesondert erfordern würden. Also ein Vergleich mit Äpfeln und Birnen. Wir haben es leicht, unser Testparcour ist stark bestückt mit passgenauer Elektronik. Doch wie handelt ein potenzieller Kunde in der Praxis? Er wird die Anziehungskraft der Lyravox spüren.
Ganz harte Kost, seltsames Album, aber hiermit ein Tipp: „Brot und Spiele“von Haze. Das ist Rap mit bösen Melodielinien. Schon der erste Track haut tief in die Bassschneise. Klasse, wie die Karlotta hier Druck in den Raum flutete und trotzdem Eleganz zeigte. Sie bündelt nicht, sie hat keine geheimen Vorlieben, sie kann alles. Aber es bleibt dabei: Die Zielgruppe ist sehr fein dimensioniert. Das ist kein Lautsprecher für alle. Aber ein Lautsprecher für alle, die Sinn, Sinnlichkeit und Geld aufbringen können.