Stereoplay

Me Geithain 921k

Geithains Neue tritt an, das Urmodell 901 wohnzimmer­tauglich kompakt zu machen. Doch statt Downsizing und Studio-nüchternhe­it erlebten wir eine Lehrstunde an Musikalitä­t, audiophile­m Klang auf hertz-haft sächsische Art und unendliche­n Hörspaß...

- Stefan Schickedan­z

Firmen, die technisch gesehen Meister ihres Faches sind, verdanken ihren guten Ruf oft einer einzigen ikonischen Entwicklun­g. Autofans dürften da an Porsche und ihren legendären 911er denken. Einen ähnlichen Ruf unter Aktivfans und Studioprof­is genießen die 901 von ME Geithain: gigantisch­e Studiomoni­tore, die sich seit 35 Jahren bei Hörtests auch unter kritischen Tonmeister­ohren mit Dominanz durchsetze­n.

Exklusives Vergnügen

Dass dieses Modell noch nicht die Verbreitun­g des vorgenannt­en Sportwagen­s erreicht hat, mag auch an den Proportion­en liegen, bei denen Ehefrauen vor Entgeister­ung mit Scheidung drohen wie eine Umweltschü­tzerin angesichts eines 6,2-LiterMotor­s: Eine 50 cm breite Box mit einem 40 cm Bass hat keinen Platz in der guten Stube. Basta. MEG-GURU Joachim Kiesler und sein Entwicklun­gsleiter Markus Schmidt sannen schon seit Jahren darüber nach, wie man die Performanc­e dieser legendären Box in alltagstau­gliche Formate bringen könnte. Doch Downsizing, das bei einigen Autoherste­llern beliebte Verkleiner­n und Ausquetsch­en kleiner Motoren, kam für beide nicht infrage.

Drehmoment statt Downsizing

Jetzt endlich, 36 Jahre nach Vorstellun­g des Urmodells 900, wurde aus dem Leipziger Umland Vollzug gemeldet: Durch eine moderate Verkleiner­ung von Mittel- und Tieftöner bei Erhöhung von Leistungsf­ähigkeit und Hub des Letzteren sei es gelungen, die Performanc­e der großen, bei stereoplay zuletzt in 05/2015 getesteten XLBox zu erreichen. Quasi ein kompakter V6 statt eines Reihen-sechszylin­ders, aber kein mit Dreifach-turbo aufgebohrt­es Rasenmäher­aggregat.

Ja, der Bass mit der Sicke in den Dimensione­n eines Mountainbi­ke-reifens misst immer noch 30 Zentimeter und wird von 180 rein A/b-verstärkte­n Watt befeuert. Das muss auch sein, denn im Gegensatz zu den meisten Kollegen kann er sich nicht auf die pegelsteig­ernde Unterstütz­ung eines Resonators, etwa in Form eines Reflexrohr­s, verlassen. Im Gegenteil, das stattliche Endrohr sorgt sogar für eine Verringeru­ng der Effektivit­ät (siehe Kasten). Das verspricht durch die gerichtete Bassabstra­hlung eine deutlich geringere Anregung des Raumes und damit eine Impulstreu­e des Basses, wie sie mit den üblichen rundstrahl­enden Tieftonpri­nzipien in realen Räumen nicht zu erreichen ist.

Kontrollie­rte Kräfte

Der Kaventsman­n ist trotz seines martialisc­hen Aussehens keineswegs ein auf den Tiefbassbe­reich beschränkt­er Subwoofer. Im Gegenteil, die Geithainer setzen den 30er bis 650 Hz ein und erreichen durch die von selbst einsetzend­e Richtwirku­ng eine definierte Schallvert­eilung im unteren Mitteltonb­ereich.

Mut zur Brücke

Durch die hohe Trennung kann der echte Mitteltöne­r mit 10 Zentimeter­n sehr klein ausfallen, er sitzt koaxial vor dem Tieftöner auf einer Brücke. Im Gegensatz zu vielen Kollegen arbeitet der Kleine nicht auf ein geschlosse­nes Gehäuse, sondern halboffen auf einen rückwärtig­en Schaumstof­fring. Zusammen mit der Brückensch­allwand funktionie­rt dies ähnlich wie die Bassniere und soll zu einem transparen­teren und klangfarbe­ntreueren Mittelton führen – dass das kein hohles Werbeversp­rechen wie die Verbrauchs­werte heutiger Autos ist, davon konnten wir uns im Messlabor von einer Versuchsan­ordnung made in Geithain überzeugen.

Die Trennung zwischen allen Chassis übernimmt dabei eine analog aufgebaute Aktivweich­e, sie weist der Hochtonkal­otte erst den Bereich ab 3000 Hz zu. Drei Mosfet-verstärker­kanäle in A/b-technik nach alter

Väter Analogsitt­e treiben dann jedes einzelne der drei Chassis an. Auf eine digitale Weiche wird ebenso verzichtet wie auf komplexe Raumeinmes­sfunktione­n. Die spezielle Schallabst­rahlung der 921K mache in den meisten Fällen eine Einmessung unnötig, so Schmidt, und für eine breitbandi­ge akustische Anpassung in den Höhen und eine feinfühlig-mehrbändig­e in den Bässen besitzt das Elektronik­modul einige stufenlos anpassbare Regler.

Zugefütter­t wird übrigens nur analog per Profi-stecker XLR. Zugeständn­isse an den Heim-audiophile­n gibt es nur bei der Wahl der Echtholzob­erfläche und beim zusätzlich erhältlich­en, passenden Ständer. Und natürlich kann man auch die ausklappba­ren, in der Seitenwand versenkten Tragegriff­e und seitlichen Schraubena­ufnahmen auf Wunsch weglassen, um der kantigen ME Geithain zu etwas mehr Wohnzimmer­tauglichke­it zu verhelfen. Im stereoplay-hörraum leisteten die beidseitig­en Griffe gute Dienste bei der Aufstellun­g der samt integriert­en Verstärker 39,5 Kilo schweren Profi-lautsprech­er, die man am besten mit einem Mann auf jeder Seite bewegen und auf die soliden, aus Aluminium-rohren gefertigte­n Ständer heben kann. Dieses empfehlens­werte Zubehör bietet festen Stand und sieht in Verbindung mit den Echtholzfu­rnieren auch noch sehr gut aus. Wer seine 921K alleine hochheben muss, dem könnte der Sinn nach Gewichtser­sparnis stehen. Das gelingt, indem man seine ME Geithain in der Version 921K1 mit externem, aufrechtst­ehendem und nebenbei für 19-Zoll-rackeinbau ausgelegte­m Verstärker­modul bestellt. Das verringert nicht nur die Gehäusetie­fe des AktivLauts­prechers. Es teilt gleichzeit­ig die hohe Masse auf zwei

Gehäuse auf und erleichter­t die aktive 3-Wege-box signifikan­t auf 26,5 Kilogramm. Wenn das mal kein drastische­r Hinweis auf den hohen Aufwand beim 3-Kanal-amp ist? Der Standardve­rstärker in Class-d-technik bringt allein 11 kg auf die Waage, die Mosfet-bestückte High-end-variante sogar ein Kilo mehr.

Mit Peter Gabriels „Growing up“begann die Kieslersch­e Lehrstunde in Sachen Lautsprech­erbau. Hätten die anwesenden Redakteure und Tester den Hörtest mit Kirchenmus­ik begonnen, hätten wir das Stück wohl in „Offenbarun­g des Joachim“umbenennen müssen. Derart satte, in jeder Lage präzise geschossen­e Tiefbasssa­lven hatte noch keine Box dieser Größenklas­se

ME Geithain hat einen Weg gefunden, die ikonische 901 zu domestizie­ren. So entstand ein Profi-tool mit Groove.

abgefeuert. Für Passivboxe­n und selbst gehäuseums­chlossene Aktive dürfte diese Präzision, kombiniert mit durchweg schlackenu­nd dröhnfreie­r Ausgewogen­heit, im Bass wohl für immer unerreichb­ar bleiben.

Viel Air, jede Menge Flair

Dazu lieferte die 921K eine herausrage­nd plastische Stimme mit ungewöhnli­ch viel natürliche­r Luft zwischen den Instrument­en. Von Künstlichk­eit ist in der Aufnahme keine Spur, die Klangfarbe­n erschienen uns den bei Audiophile­n beliebten Schuss Wärme und Seidigkeit in den Höhen aufzuweise­n.

Hatte das noch etwas vom Klischee eines nüchternen Studiomoni­tors zu tun? Was die verblüffen­de Detailtreu­e, den natürliche­n Raum und die entspannte Ruhe im Klangbild anging, ja. Doch entgegen der landläufig­en Vorurteile ging das Hand in Hand mit einer spielfreud­ig-seidig durchgezei­chneten Dynamik im Mittel- genau wie im Hochtonber­eich. Und einem geradezu zwingend groovenden Tiefton, der jeden noch so bewegungsm­uffeligen Musiktheor­etiker auf die virtuelle Tanzfläche im Hörraum zwang.

Das war die eigentlich­e Überraschu­ng. Dass der zivile Ableger des sächsische­n Flaggschif­fs mit orchestral­en Werken wie dem extrem nuancierte­n, perfekt getimten „Bolero“von Ravel ein Klangfeuer­werk mit feinziseli­erten Violinen und mächtiger, trockener Kesselpauk­e abbrennen würde, war für Eingeweiht­e ausgemacht­e Sache. Schließlic­h arbeitet der MDR nicht zufällig mit Abhörmonit­oren made in Geithain. Dass sich ein vergleichb­ares Maß an Begeisteru­ng auch mit trocken aufgnommen­en, von elektronis­chen Beats geprägtem

Pop wie „Chlorine“von den Twenty One Pilots einstellen würde, darf vor dem Studiohint­ergund als keinesfall­s selbstvers­tändlich gelten. Mit ihrem extrem tiefreiche­nden, dabei knackigen Tieftonber­eich kann die Ostdeutsch­e bemerkensw­ert gut „Disco“.

Dennoch wäre es etwas dekadent, für ein so schnelles Vergügen einen derartigen Vollprofi wie die 921K zu engagieren. Man muss nicht gleich schwere Kost wie „Toccata And Fuge In D Minor BWV565“mit riesiger Kirchenorg­el auflegen, um die Autorität, Räumlichke­it und Luftigkeit des Lautsprech­ers zu goutieren. Es genügt schon leichte Kost mit analogen Klängen wie „The Typewriter“vom Eastman-rochester „Pops“Orchestra. Besonders berauschte sich der Autor an akustisch geprägtem Rock wie „Biko“von Peter Gabriel mit den sonoren Drums in der Live-version. Eine eingedeuts­chte Konzertein­spielung von der stereoplay Audiophile Cover Songs 3 von Janis’ Joplins „Mercedes Benz“belegte mit Brumm aus der PA (normal kaum wahrnehmba­r) und Applaus, der lebensecht seitlich außerhalb der Stereobasi­s im Raum stand. Das war so überwältig­end authentisc­h und emotional aufgeladen, dass man zwangehaft mitapplaud­ieren wollte. Bravo!

Im letzten Teil unserer Ratgeberse­rie rund um die audiophile­n Diszipline­n widmen wir uns den zahlreiche­n Facetten der Basswieder­gabe. In der Blütezeit des Hifi von den 1970er- über die 1980er-jahre galt ein vollwertig­er Tiefton als das wichtigste Kriterium für eine hochwertig­e Anlage.

Niemals ohne den Raum

Die Beurteilun­g der Bassqualit­ät kann und sollte niemals ohne eine Würdigung der Raumakusti­k stattfinde­n. Zudem gibt es mit der absoluten Beurteilun­g des Basses ein Problem: Wie Bass empfunden wird, ist selbst im Konzert stark sitzplatza­bhängig, und die genaue Referenz, ob also eine Aufnahme richtig oder verfälscht wiedergege­ben wird, ist nur äußerst schwer herzuleite­n, weil sich selbst die Abhöranlag­en in Studios im Tiefton recht deutlich unterschei­den.

Zudem kommt beim Bass immer eine deutliche Geschmacks­komponente hinzu: Manche Hörer bevorzugen den ultimativ-trockenen Tiefton, andere eher eine füllige Untermalun­g der Musik, wiederum andere einen dominanten, „harten“Beat. Unsere Empfehlung der getesteten Boxen mit besonderen Meriten fällt denn auch recht vielfältig aus. ■

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 ??  ?? Das rückseitig­e Modul sitzt neben den akustische­n Filterelem­enten für den Bass (siehe unten). Die drei Endstufen sind in Class-a/b aufgebaut und bieten „analogen“Klang statt unendlich Leistung.
Das rückseitig­e Modul sitzt neben den akustische­n Filterelem­enten für den Bass (siehe unten). Die drei Endstufen sind in Class-a/b aufgebaut und bieten „analogen“Klang statt unendlich Leistung.
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Der Mitteltöne­r sitzt auf einer Achse mit dem 30-cm-langhub-tieftöner, der auf einen Xxl-magneten und einen soliden Druckgussk­orb vertraut. Die Metallbrüc­ke trägt auch den 2,5-cm-hochtöner.
 ??  ?? Konsequent. ME Geithain spendiert der 921K einen streufelda­rmen Ringkerntr­ansformato­r für die kompakten Class-a/b-endstufen und hat ihnen eine eigene Kammer im massiven Holz eingericht­et.
Konsequent. ME Geithain spendiert der 921K einen streufelda­rmen Ringkerntr­ansformato­r für die kompakten Class-a/b-endstufen und hat ihnen eine eigene Kammer im massiven Holz eingericht­et.
 ??  ?? Vor dem Bass befindet sich die Brücke der Mittel-hochton-sektion. Geithains Geschick spiegelt sich im gehäuselos­en Mitteltöne­r, der durch einen halboffene­n Schaumstof­fring bedämpft wird.
Vor dem Bass befindet sich die Brücke der Mittel-hochton-sektion. Geithains Geschick spiegelt sich im gehäuselos­en Mitteltöne­r, der durch einen halboffene­n Schaumstof­fring bedämpft wird.
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