paradigm 800 F
Mal etwas Super-authentisches: Obwohl rasant günstig, entsteht die 800 F von Paradigm in Kanada. Kein globalisieter Billigheimer, sondern ein perfekt tarierter Lautsprecher.
Die Welt ist eine Kugel. Alles kann von einer Seite zur anderen rollen. So funktioniert der globale Markt. Doch Paradigm hebelt die Spielregeln aus. Man residiert in Kanada – und fertigt auch dort. Das ist ein mittleres Wunder. Denn die meisten Hersteller der westlichen Welt verlagern ihre Fließbänder nach China. Dort sind die Arbeitsstunden dramatisch günstiger. Paradigm widerspricht. Selbst die Gutgünstigserie wird am Firmenstandort daselbst gefertigt. Das Zentrum von Toronto liegt im Norden, nur ein paar Kilometer entfernt. Die Grenze zu den USA geht mitten durch den Lake Ontario. Schon auf der Landkarte sehen wir: Hier wird Geld gemacht. Das ist ein Hotspot der nordamerikanischen Wirtschaft.
Schlank und hoch
Zwei Standlautsprecher haben uns erreicht. Aus der günstigen Premierserie das größte Modell unter den Standboxen – die 800 F. Das ist kein wirkliches Monstrum. Eher eine überaus schlanke Standbox mit 105 Zentimetern in der Höhe. Die Verarbeitung ist fair, aber nicht luxuriös. Bei unserem Modell wurde eine Folie über das rund zwei Zentimeter dicke MDF gespannt. „Espresso“heißt der Farbton. Eigentlich ein tiefes Schwarz mit angedeuteter Holzmaserung. Wer es spartanischer, klassischer mag, kann natürlich auch ein Tiefschwarz und ein Weiß bestellen. Geschmacksfrage. Keine Geschmacksfrage hingegen sind die Chassis. Auch sie werden rein in Kanada in der Firmenzentrale entwickelt und gefertigt. Die Kombi ist anspruchsvoll. Der Bass wird doppelt belegt. Hier tönen zwei Diagonalen mit 16,5 Zentimetern. Im Rücken liegt dazu der passgenaue Bassreflexkanal. Bedeutet umgekehrt auch einen Praxistipp für die Aufstellung: Wird der Bass zu dick, bitte die Lautsprecher deutliche Zentimeter von der Rückwand in den Raum ziehen. Das Membranmaterial selbst strahlt wenig Erotik aus. Sieht aus wie Polypropylen – und ist es auch, jedoch leicht angemixt mit Karbonfasern. Stolz sind die Kanadier auf die besonderen Einkerbungen in der Sicke – hier soll mehr Kontrolle erreicht werden, zugleich eine größere Hubkraft. Zur Kür noch ein schöner Fachbegriff: „Perforated Phasealigning“– nach diesem Prinzip spielt der Mitteltöner auf. Das kann man sich eigentlich selbst erklären. Auch hier waltet ein Mix aus Polypropylen und Karbon, allerdings mit einer nicht entfernbaren Scheibe davor. Die Gesamtkonstruktion ist das Markenzeichen von Paradigm – ein Mix aus Diffusor und Linse. Definierte Schwingungen werden betont, andere eher auf den Raum ausgebreitet. Sieht gut aus, auf den Punkt berechnet – unsere Messergebnisse sprechen sich ebenfalls für diese Konstruktion aus.
Noch ein Blick in die Höhe. Die Frequenzen oberhalb von 2,5 Kilohertz werden einer Aluminiummembran anver
In wenigen Takten schwingt sich dieser Lautsprecher vom Feingeist zur brachialen Tanzbox auf.
traut. Die wiederum liegt in einer berechneten Bautiefe mit einem Hornvorsatz. Hier wird definierte Energie auf den Hörplatz gestrahlt.
Europäischer Einfluss
Der Chefentwickler stammt übrigens nicht aus Kanada, sondern aus der Ukraine. Wir haben es hier also mit einer Nordamerikanisch/europäischen Verbrüderung zu tun. Fühlt sich gut an.
Klingt es auch gut? Legen wir dazu ein ganz überraschendes Album auf. Al Di Meola weidet sich in den Supersongs der Beatles. Das Cover selbst kokettiert mit einem Johnlennonalbum. Alle großen Gitarrensongs sind vertreten. Al Di Meola gibt die volle Breitseite des Luxusgitarristen. „Here Comes the Sun“eröffnet den Reigen, schon nach wenigen Takten ist klar: Es wird groß, dick und fett. Eine gute Kette muss dem gewachsen sein. Wir wollen Eleganz und den Schlag in die Magengrube. Beides vermochte die 800 F zu zaubern. Da war Spielfreude da, sofort und ungefiltert. Super, wie Hoch und Mitteltöner eine Allianz vereinbarten. Wir hatten den Korpus der Gitarren, gekrönt von den hellen Impulsen der Saiten. Wo geht das Herz am meisten auf? Ohne Frage bei „Here, There and Everywhere“. Der Meister spielt einsam auf seiner akustischen Gitarre. Keine Show, keine Effekte, die reine Wahrheit. Das ist ein Track für die besten unter den besten Lautsprechern. Erstaunlich wie die Paradigm den Zauber erkannte. Der definierte Raum, die Luft, die Körperlichkeit. Wirklich gekonnt.
Was sofort den Rechner bei uns in Gang setzte. Das war ein Klangbild für – geschätzt drei bis viertausend Euro. Paradigm klatschte uns eine
Ohrfeige ins Gesicht und sagte: 2590 Euro das Paar. Wir fühlten uns schlecht, wir fühlten uns gut. Endlich wieder ein Lautsprecher, den wir für sein Preis/leistungsbewusstsein ehren dürfen. Hier gibt es die gehobene, absolute Spitzenklasse unserer Bestenliste für erstaunlich stemmbares Geld.
Massive Dynamik
Wir wollen tiefer eintauchen. Diesmal mit massiver Dynamik. Fritz Kalkbrenner befeuert die Discotänzer. Unfassbar fett der Bass, alles steht unter heftigem Stromfluss. „True Colours“ist das neue Album. „One Day at A Time“will uns so richtig heftig im Tiefbass abholen. Die 800 F verwandelte sich von einem Moment zum anderen vom Feingeist zur brachialen Tanzbox. Böse Bassfrequenzen quälten unser Bewusstsein, wirre Akkorde im Cinema
scope – Big Party auf der Paradigm. Wer da noch still im Hörsofa verharrte, musste tot oder taub sein. Und doch schlich sich da ein „Aber“ein. Die 800 F wirkte bei manchen Impulsen etwas verhangen. Deshalb unser Ratschlag: Dieser Lautsprecher muss eingespielt werden. Am besten über 40 Stunden. Die tieferen Membranen brauchen Spielraum. So ließen wir unser Testexemplar über zwei Nächte mit dynamischer Musik allein. Klar war danach die dynamische Feininformation besser.
Ein Supermix
Nehmen wir den Druck aus dem Spiel. Etwas sensibler bitte. Da empfehlen wir als grandiose Testmusik das neue Album von Wolfgang Haffner – „Kind of Tango“, erschienen bei ACT. Die Musiker verstehen ihr Handwerk, die Ingenieure sind vielleicht sogar eine Spur besser unterwegs. Das macht Spaß, das schafft Atmosphäre. Ein Supermix. Schon mit dem ersten Track – „Tango Magnifique“. Ganz fein das Schlagzeug im Hintergrund, mit dem Besen auf der Snare-drum. Konturstark der Bass, ein leises Gitarrensolo, dann der große Auftritt des Marimbaphones. Ein Lautsprecher muss hier alles abbilden können, darf aber nicht nerven. Wir wollen uns gut fühlen. Das geht nicht nur in die Ohren, sondern ganz direkt auch an unsere Haut. Super wie die 800 F diese Faszination aufstehen ließ. Das passte perfekt. Die Lautstärke war human, die Abbildung reich. Vor allem die Geschlossenheit der Membranen überzeugte. Wir faseln häufig über das Thema. Aber es ist wichtig. Die schönste, teuerste, größte Box ist schrecklich, wenn wir die Klangproduzenten einzeln hören. Es geht um Magie, darum, dass aus unterschiedlichen Membranen ein ganzheitlicher Klang entsteht.
Das können überraschenderweise nicht alle Hersteller. Doch hier hat Paradigm mit Polypropylen und Aluminium ein einheitliches Timing gezaubert. Wirklich harmonisch, richtig, elegant. Ich würde diesen Lautsprecher kaufen. Nicht für mich, aber für einen guten Freund, der gerade ein Studium begonnen hat. Das ideale Set für Einsteiger, die ganz weit oben grasen wollen. Ohne Kompromisse, im kleinen Raum, aber mit hohen Ambitionen.
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