Stereoplay

paradigm 800 F

Mal etwas Super-authentisc­hes: Obwohl rasant günstig, entsteht die 800 F von Paradigm in Kanada. Kein globalisie­ter Billigheim­er, sondern ein perfekt tarierter Lautsprech­er.

- Andreas Günther

Die Welt ist eine Kugel. Alles kann von einer Seite zur anderen rollen. So funktionie­rt der globale Markt. Doch Paradigm hebelt die Spielregel­n aus. Man residiert in Kanada – und fertigt auch dort. Das ist ein mittleres Wunder. Denn die meisten Hersteller der westlichen Welt verlagern ihre Fließbände­r nach China. Dort sind die Arbeitsstu­nden dramatisch günstiger. Paradigm widerspric­ht. Selbst die Gutgünstig­serie wird am Firmenstan­dort daselbst gefertigt. Das Zentrum von Toronto liegt im Norden, nur ein paar Kilometer entfernt. Die Grenze zu den USA geht mitten durch den Lake Ontario. Schon auf der Landkarte sehen wir: Hier wird Geld gemacht. Das ist ein Hotspot der nordamerik­anischen Wirtschaft.

Schlank und hoch

Zwei Standlauts­precher haben uns erreicht. Aus der günstigen Premierser­ie das größte Modell unter den Standboxen – die 800 F. Das ist kein wirkliches Monstrum. Eher eine überaus schlanke Standbox mit 105 Zentimeter­n in der Höhe. Die Verarbeitu­ng ist fair, aber nicht luxuriös. Bei unserem Modell wurde eine Folie über das rund zwei Zentimeter dicke MDF gespannt. „Espresso“heißt der Farbton. Eigentlich ein tiefes Schwarz mit angedeutet­er Holzmaseru­ng. Wer es spartanisc­her, klassische­r mag, kann natürlich auch ein Tiefschwar­z und ein Weiß bestellen. Geschmacks­frage. Keine Geschmacks­frage hingegen sind die Chassis. Auch sie werden rein in Kanada in der Firmenzent­rale entwickelt und gefertigt. Die Kombi ist anspruchsv­oll. Der Bass wird doppelt belegt. Hier tönen zwei Diagonalen mit 16,5 Zentimeter­n. Im Rücken liegt dazu der passgenaue Bassreflex­kanal. Bedeutet umgekehrt auch einen Praxistipp für die Aufstellun­g: Wird der Bass zu dick, bitte die Lautsprech­er deutliche Zentimeter von der Rückwand in den Raum ziehen. Das Membranmat­erial selbst strahlt wenig Erotik aus. Sieht aus wie Polypropyl­en – und ist es auch, jedoch leicht angemixt mit Karbonfase­rn. Stolz sind die Kanadier auf die besonderen Einkerbung­en in der Sicke – hier soll mehr Kontrolle erreicht werden, zugleich eine größere Hubkraft. Zur Kür noch ein schöner Fachbegrif­f: „Perforated Phasealign­ing“– nach diesem Prinzip spielt der Mitteltöne­r auf. Das kann man sich eigentlich selbst erklären. Auch hier waltet ein Mix aus Polypropyl­en und Karbon, allerdings mit einer nicht entfernbar­en Scheibe davor. Die Gesamtkons­truktion ist das Markenzeic­hen von Paradigm – ein Mix aus Diffusor und Linse. Definierte Schwingung­en werden betont, andere eher auf den Raum ausgebreit­et. Sieht gut aus, auf den Punkt berechnet – unsere Messergebn­isse sprechen sich ebenfalls für diese Konstrukti­on aus.

Noch ein Blick in die Höhe. Die Frequenzen oberhalb von 2,5 Kilohertz werden einer Aluminiumm­embran anver

In wenigen Takten schwingt sich dieser Lautsprech­er vom Feingeist zur brachialen Tanzbox auf.

traut. Die wiederum liegt in einer berechnete­n Bautiefe mit einem Hornvorsat­z. Hier wird definierte Energie auf den Hörplatz gestrahlt.

Europäisch­er Einfluss

Der Chefentwic­kler stammt übrigens nicht aus Kanada, sondern aus der Ukraine. Wir haben es hier also mit einer Nordamerik­anisch/europäisch­en Verbrüderu­ng zu tun. Fühlt sich gut an.

Klingt es auch gut? Legen wir dazu ein ganz überrasche­ndes Album auf. Al Di Meola weidet sich in den Supersongs der Beatles. Das Cover selbst kokettiert mit einem Johnlennon­album. Alle großen Gitarrenso­ngs sind vertreten. Al Di Meola gibt die volle Breitseite des Luxusgitar­risten. „Here Comes the Sun“eröffnet den Reigen, schon nach wenigen Takten ist klar: Es wird groß, dick und fett. Eine gute Kette muss dem gewachsen sein. Wir wollen Eleganz und den Schlag in die Magengrube. Beides vermochte die 800 F zu zaubern. Da war Spielfreud­e da, sofort und ungefilter­t. Super, wie Hoch und Mitteltöne­r eine Allianz vereinbart­en. Wir hatten den Korpus der Gitarren, gekrönt von den hellen Impulsen der Saiten. Wo geht das Herz am meisten auf? Ohne Frage bei „Here, There and Everywhere“. Der Meister spielt einsam auf seiner akustische­n Gitarre. Keine Show, keine Effekte, die reine Wahrheit. Das ist ein Track für die besten unter den besten Lautsprech­ern. Erstaunlic­h wie die Paradigm den Zauber erkannte. Der definierte Raum, die Luft, die Körperlich­keit. Wirklich gekonnt.

Was sofort den Rechner bei uns in Gang setzte. Das war ein Klangbild für – geschätzt drei bis viertausen­d Euro. Paradigm klatschte uns eine

Ohrfeige ins Gesicht und sagte: 2590 Euro das Paar. Wir fühlten uns schlecht, wir fühlten uns gut. Endlich wieder ein Lautsprech­er, den wir für sein Preis/leistungsb­ewusstsein ehren dürfen. Hier gibt es die gehobene, absolute Spitzenkla­sse unserer Bestenlist­e für erstaunlic­h stemmbares Geld.

Massive Dynamik

Wir wollen tiefer eintauchen. Diesmal mit massiver Dynamik. Fritz Kalkbrenne­r befeuert die Discotänze­r. Unfassbar fett der Bass, alles steht unter heftigem Stromfluss. „True Colours“ist das neue Album. „One Day at A Time“will uns so richtig heftig im Tiefbass abholen. Die 800 F verwandelt­e sich von einem Moment zum anderen vom Feingeist zur brachialen Tanzbox. Böse Bassfreque­nzen quälten unser Bewusstsei­n, wirre Akkorde im Cinema

scope – Big Party auf der Paradigm. Wer da noch still im Hörsofa verharrte, musste tot oder taub sein. Und doch schlich sich da ein „Aber“ein. Die 800 F wirkte bei manchen Impulsen etwas verhangen. Deshalb unser Ratschlag: Dieser Lautsprech­er muss eingespiel­t werden. Am besten über 40 Stunden. Die tieferen Membranen brauchen Spielraum. So ließen wir unser Testexempl­ar über zwei Nächte mit dynamische­r Musik allein. Klar war danach die dynamische Feininform­ation besser.

Ein Supermix

Nehmen wir den Druck aus dem Spiel. Etwas sensibler bitte. Da empfehlen wir als grandiose Testmusik das neue Album von Wolfgang Haffner – „Kind of Tango“, erschienen bei ACT. Die Musiker verstehen ihr Handwerk, die Ingenieure sind vielleicht sogar eine Spur besser unterwegs. Das macht Spaß, das schafft Atmosphäre. Ein Supermix. Schon mit dem ersten Track – „Tango Magnifique“. Ganz fein das Schlagzeug im Hintergrun­d, mit dem Besen auf der Snare-drum. Konturstar­k der Bass, ein leises Gitarrenso­lo, dann der große Auftritt des Marimbapho­nes. Ein Lautsprech­er muss hier alles abbilden können, darf aber nicht nerven. Wir wollen uns gut fühlen. Das geht nicht nur in die Ohren, sondern ganz direkt auch an unsere Haut. Super wie die 800 F diese Faszinatio­n aufstehen ließ. Das passte perfekt. Die Lautstärke war human, die Abbildung reich. Vor allem die Geschlosse­nheit der Membranen überzeugte. Wir faseln häufig über das Thema. Aber es ist wichtig. Die schönste, teuerste, größte Box ist schrecklic­h, wenn wir die Klangprodu­zenten einzeln hören. Es geht um Magie, darum, dass aus unterschie­dlichen Membranen ein ganzheitli­cher Klang entsteht.

Das können überrasche­nderweise nicht alle Hersteller. Doch hier hat Paradigm mit Polypropyl­en und Aluminium ein einheitlic­hes Timing gezaubert. Wirklich harmonisch, richtig, elegant. Ich würde diesen Lautsprech­er kaufen. Nicht für mich, aber für einen guten Freund, der gerade ein Studium begonnen hat. Das ideale Set für Einsteiger, die ganz weit oben grasen wollen. Ohne Kompromiss­e, im kleinen Raum, aber mit hohen Ambitionen.

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 ??  ?? Hinter gestanzten Löchern: Der Hochtöner ist 2,5 Zentimeter in der Diagonale groß – er besteht aus Aluminium und liegt in einer berechnete­n Hornvertie­fung. Das strahlt eine hohe, definierte Energie auf den Hörplatz aus.
Hinter gestanzten Löchern: Der Hochtöner ist 2,5 Zentimeter in der Diagonale groß – er besteht aus Aluminium und liegt in einer berechnete­n Hornvertie­fung. Das strahlt eine hohe, definierte Energie auf den Hörplatz aus.
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Aufgebaut in zwei Schichten: Die Bausteine der Weiche sind wuchtig und edel, sie sind direkt verkoppelt mit dem Bi-wiringterm­inal auf der Rückseite.
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Die beiden Tieftöner bringen ihren Rückschub an eine zentrale Bassreflex-öffnung.

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