Binaural & live
Nein, die stereoplay-cd bietet nicht den Rolling Stones Klassiker. Dafür Musikaufnahmen aus den legendären Bauer Studios, die den Kopfhörerklang aus der Kopfmitte befreien.
Die stereoplay-cd bietet diesmal Musikaufnahmen aus den legendären Bauer Studios, die den Kopfhörerklang aus der Kopfmitte befreien.
Es ist immer wieder eine spannungsgeladene Zeremonie. Das Publikum hat die Sitzreihen im eigentlich recht nüchtern staffierten Großen Saal der Bauer Studios im schwäbischen Ludwigsburg gefüllt. Das geschwätzige Raunen weicht einer aufmerksamen Ruhe. Dann betritt eine Verantwortliche oder ein Verantwortlicher des traditionsreichen Aufnahmetempels die noch spärlich illuminierte Bühne und spricht ein paar Worte. Leichter Applaus, der erheblich anschwillt, wenn das Saallicht erlischt und die Bühnenbeleuchtung die dort antretenden Musiker endlich erstrahlen lässt.
Von stereo zu binaural
Sie spielen auf zum „Studio Konzert“. Regelmäßig laden die Bauer Studios entsprechend risikofreudige und spielsichere Solisten oder Ensembles ein, live und ohne doppelten Boden ihr Programm aufzuführen. Das wird mit einem analogen AMS Neve VXS 60Kanalmischpult auf stereo abgemischt, auf eine analoge Zweispurmastertonbandmaschine Studer A 820 aufgenommen, und – bislang – ohne irgendeine digitale Kosmetik ausschließlich auf LP veröffentlicht.
Rund 40 dieser unter Audiophilen höchst beliebten Scheiben sind bislang erschienen. Die
seit 2017 amtierende neue Geschäftsführung mit Bettina Bertók, Philipp Heck und Michael Thumm beschloss, diesen musikalischen Schatz aber auch auf weitere Weise zugänglich zu machen: digital in „immersiver binauraler Stereophonie“. Also nicht in den üblichen Stereo-mischungen, sondern, so die Informations-broschüre, „nach künstlerischen Gesichtspunkten angefertigte, binaurale Mixes.“
Die bieten ein „immersives“Surround-klangerlebnis. Das schöne Wort wurde aus dem Kino- und Heimkino-bereich übernommen und bedeutet etwa „einhüllende“Klangwelt, in die der Hörer vollständig eintauchen kann. Soundsysteme wie Dolby Atmos haben den Begriff einem breiteren Publikum nähergebracht, wobei abgesehen von den ganz harten Home Cineasten wohl kein Normalbürger eine 9.1.6-Lautsprecher-anlage installieren will oder kann.
Vom normalen Cd-player
Das Schöne am Verfahren der Bauer Studios: Es reicht ein normaler Cd-player und ein ebenso normaler Kopfhörer, dass „ein wesentlich durchhörbareres und umhüllenderes Klangbild als bei konventioneller Stereophonie entsteht“und damit ein „unmittelbarer, emotionaler Zugang zum musikalischen Inhalt.“Ohne die berüchtigte „Im-kopf-lokalisation“von in der Mitte postierten Klangerzeugern.
Das noch Schönere: Das stimmt alles. Sie als stereoplay-leser können sich mit dieser CD ein eigenes Hörbild machen. Die Redaktion ist sich dabei ziemlich sicher, dass Sie ebenso angetan sein werden wie wir.
Die stereoplay arbeitet ja traditionell gut und gerne mit den schwäbischen Tonmeistern und auch mit ihrem Tonträgerlabel Neuklang zusammen. Viele der sogenannten covermount CDS der Zeitschrift haben Philipp Heck, Johannes Wohlleben oder Adrian von Ripka in den
Ludwigsburger Lokalitäten gemastert. Der Autor erinnert sich nur zu gut noch daran, wie er nach einem solchen MasterTermin im Jahr 2019 von den drei Geschäftsleitern in das vornehmlich für Video- und Soundtrack-produktion genutzte Studio-areal vorgelassen wurde. Projektleiter Michael Thumm
– ihm sei an dieser Stelle noch einmal herzlich für seinen Einsatz gedankt – machte gar nicht viele Worte.
Statt dessen stöpselte er einen Studio-kopfhörer an einen der in den Bauer Studios gern genutzten und von stereoplay überragend getesteten Kopfhörer-verstärker von Lehmann
Audio an. Reichte dem Autor den Hörer und fuhr von der Festplatte den frisch produzierten Trailer zur „Immersive Binaural Experience“ab.
Vom ersten Moment
Der Schreiber dieser Zeilen war vom ersten Moment an wie elektrisiert. Als Vinyl-fan war er mit den „Studio Konzerten“der Bauer Studios bestens vertraut, hatte dem einen oder anderen ja selbst beigewohnt – was für ein drolliger Ausdruck für ein Konzerterlebnis der besonderen Art. Die damals schon vorliegenden Binaural-abmischungen von Teilen davon überzeugten ihn dann ganz.
Schnell war klar, dass man gemeinsam eine stereoplay CD mit diesem Inhalt produzieren werde. Et voilà: Sie halten sie in den Händen, befüllt mit dem Trailer und sieben ausgewählten Tracks aus dem Studio-konzert-katalog. Alle live und „direct to two track“aufgenommen, alle in unbehandelter Form auf den Tonbändern und den zur Sicherheit immer mitlaufenden Festplatten festgehalten.
Von der Quelle
Michael Thumm konnte also direkt von der Quelle schöpfen, als er die neuen Mixe anfertigte. Den physiologischen und technischen Hintergrund erklärt er so: „Binaurale Stereophonie bedeutet, dass Pegel-, Laufzeitund Frequenzdifferenzen, die beim menschlichen Hören für die Richtungswahrnehmung verantwortlich und durch Kopfform und Lage der Trommelfelle bedingt sind, bei der Aufzeichnung berücksichtigt werden.“So kommt man zu einem Surround-klang mit entspre
chender Ortung und Räumlichkeit via Stereo-kopfhörer.
Die Anfänge machte die Kunstkopf-stereophonie mit Mikrofonen, die in einem nachgebauten menschlichen Torso beziehungsweise dessen Ohrmuscheln eingebaut waren. Das Patent für binaurale Aufnahmen wurde übrigens bereits 1932 erteilt, General Electric präsentierte den ersten Kunstkopf ein Jahr später. Heute geht das weniger aufwendig, vor allem weniger fehlerbehaftet.
Von neuester Machart
Die eher uncoole Aufstellung der Musiker rund um den Kunstkopf ist auch hinfällig, obwohl das Us-label Chesky Records zu Beispiel noch immer solche Aufnahmen produziert. Eine moderne AudioWorkstation bietet die entsprechenden digitalen Werkzeuge, die natürlich ein Michael Thumm als Studio- und Soundtrack-profi beherrscht. Die Bauer Studios (damals noch Tonstudio Bauer), fertigten übrigens bereits im Jahr 2000, als
es noch lange kein Standard war, Abmischungen in Surround und 5.1 an.
An den aktuellen Tools neuester Machart schätzt Michael Thumm auch den „wesentlich kreativeren und freieren Umgang mit den musikalischen Inhalten“. Wobei natürlich Übertreibung um des Effekts willen tabu bleibt – die Studio Konzerte sollen ja nicht tönen wie ein krachender „Terminator“-soundtrack.
Tun sie ja auch nicht. Aber die binauralen Abmischungen bringen eben eine neue Dimension und damit reichlich zusätzlichen Pep für Kopfhörer-fans. Sukzessive sollen von allen Studio Konzerten zwei bis drei Titel immersiv abgemischt werden und dann auf digitalem Weg über entsprechende Portale zu den Musikfreunden gelangen. Den highendigen Ansprüchen von Musikern und Studio entsprechend in 24 Bit / 96 Kilohertz abgespeichert.
Der größte Vorteil ist und bleibt, dass kein zusätzlicher Hardware-aufwand nötig ist, um die Vorzüge der „immersive binaural experience“zu genießen. Wer bereits stereo streamt und per Kopfhörer hört, muss nichts Neues anschaffen. Und wer die Studio Konzerte wie gewohnt in feinster audiophiler Analog-qualität hören will, wird natürlich weiterhin versorgt. Gerade bekam der Autor drei Neuerscheinungen auf den Teller.
Von diesen Seiten
Mehr Informationen bekommen Sie über die homepages von Studio, Label und Vertrieb: www.bauersudios.de www.neuklangrecords.de www.in-akustik.de