Schwarzes Fin-de Siécle-drama
Ernst von Dohnányi (1877-1960) war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die wichtigste Instanz des ungarischen Musiklebens. Ob als Pianist, der früh Weltruhm erlangte, ob als Dirigent, Komponist, Pädagoge oder Organisator. Er wurde von Brahms gefördert, und er arbeitete eng mit Bartók und Kodály zusammen. Heute ist er fast vergessen, und außer den konzertanten „Variationen über ein Kinderlied“hat sich kaum eines seiner Werke im Repertoire gehalten. Zu seinem 60. Todestag hat jetzt das Wiener ORF Radio-symphonieorchester Dohnányis erste Bühnenarbeit ausgegraben und als Weltpremiere eingespielt: „Der Schleier der Pierrette“, eine Tanz-pantomime in drei Akten, wurde 1910 in Dresden uraufgeführt, und den Text zu der düsteren Dreieckstragödie verfasste Wiens führender Fin-de-siécle-literat Arthur Schnitzler. Der entwarf eine sinistre Variante des klassischen Commedia- dell’artePlots mit dem Liebespaar, das nicht zueinander findet, weil das Mädchen einen anderen heiraten soll. Dohnányi schrieb dazu eine tänzerisch bewegte, in allen Farben schillernde, schwelgerischwogende Musik, die das sinfonische Erbe Brahms‘ mit geballter Wiener Walzer-seligkeit anreicherte: So wurde der schmissige „Hochzeitswalzer“im 2. Akt zu einem der meistgespielten Hits in der untergehenden Donaumonarchie. Die junge Französin Ariane Matiakh dirigiert Dohnányis ungemein bildkräftige, verführerisch-schöne und doch immer klar strukturiertewiener Klangchoreographie mit französischer Eleganz und feiner Transparenz, und sie findet eine schöne Balance zwischen tänzerischer Leichtigkeit und dem immer wieder einbrechenden Dunkel der tragischen Handlung: Es ist die klingende Wiederbelebung eines echten Meisterwerks.