Aufbruch zu anderen Planeten
Mit vollem Bedacht, so scheint es, gibt Isabelle Faust in dieser grandiosen Schönberg-einspielung die Einstein’sche Zeit-relativitäts-fee. Im spätbrahminisch-spätestromantischen „Verklärte Nacht“-sextett von 1899 loten sie (und ihre ebenbürtigen Mitstreicher) nach Zukunftsmusik, im reifenviolinkonzert von 1936 nach klassischer Tradition. Das aber ist wahrlich keine Interpretenmarotte, denn tatsächlich geht es im tonalen Frühwerk um den Aufbruch zu anderen Planeten, auf dem souveränen Zwölfton-olymp fast 40 Jahre später aber um Rückblick und Synthese von sinfonischer Form, durchorganisiertem Material
und lebendigem Ausdruck. Und so lässt Fausts satter Ton die Intensitäten glühen, die Emotionen vibrieren, im besten Einverständnis mit Daniel Hardings kammermusikalischem Dirigat und den schwedischen Radiosinfonikern, die wie Radiumsinfoniker die komplexe Partitur durchstrahlen. Freilich gibt es in diesem Werk auch unglaubliche Feinst- und Akkord- und Laborarbeit, die Klangalchemie verwegener Flageolett- und Doppelgriff-exerzitien. Bei Faust wirkt’s gerade nicht verrenkt, sondern eingerenkt ins Spielerische und eine verbindliche Expressivität. Die am Walzerecho der Kopfsatz-durchführung nicht vorbeigeigt.
Die Nacht hingegen verklären filigrane Linien, duftend, aber auch kühl, frühexpressionistisch eher denn jugendstilisiert: eine knisternd aufgeladene Nerven-elektrizität unter chromatischer Spannung und Pizzicato-stromstößen, ein Klangbild bisweilen wie eine Röntgenaufnahme. Nicht zuletzt wirkt hier in Dehmels zugrundeliegendes Gedicht, ins zeittypische Pathos von (erotischer) Schuld und Vergebung die Epoche Sigmund Freuds hinein. Die zerbrechliche Hysterica und – amwendepunkt – der Mann im Brustton großmütiger D-dur-überzeugung: Bei Faust und Konsorten klingt’s nach analytischer und auch klischee-entlarvender Klarheit. Die Schlusstakte – nicht mehr von dieser Welt: eine Offenbarung.
harmonia mundi 902341 (63:12)