Stereoplay

Röhre gegen Transistor

95 Jahre nach Erfindung des Transistor­s setzen viele Musikliebh­aber immer noch auf Röhrenamps. Ist das pure Nostalgie oder der unverklärt­e Blick auf den Klang? Eine Spurensuch­e.

- Bernd Theiss

Für Gitarriste­n ist die Sache klar. Zur Fender Strat gehört ein Röhren-amp, etwa von Mesa Boogie, Fender oder Marshall. Denn diesen auf unangestre­ngte Weise verzerrten, über weite Bereiche beein ussbaren Sound, gibt es mit Transistor­en nicht.

Doch in audiophile­n Kreisen kommt der Sound von Tonträger oder High-res-file und soll reproduzie­rt werden, ohne etwas hinzuzufüg­en oder wegzulasse­n. Ist da nicht ein Transistor­gerät die bessere Wahl?

Preistreib­ende Technik

Ohne Zweifel ist Röhrentech­nik teuer. Das fängt bei Verstärker­röhren selbst an. Sie bestehen aus einem Glaskolben, in dem mindestens eine Heizspiral­e als Kathode, mindestens eine feine Gitterstru­ktur zur Steuerung und eine hochwärmef­este Anode vorhanden sind. Die exotischen Legierunge­n dieser Teile müssen hoch rein sein. Im Inneren des Glaskolben­s muss ein Vakuum herrschen. Jegliche Verunreini­gung verschlech­tert die Eigenschaf­ten der Röhre, in der es punktuell zwischen 700 und 2200 °C heiß wird. All das treibt den Preis in die Höhe. Zudem sind sie so beanspruch­t, dass regelmäßig­er Austausch nötig ist. Nicht umsonst sind Röhren gesockelt eingebaut.

Transistor­verstärker brauchen hochreines Silizium, doch das kommt aus preisgünst­igen industriel­len Prozessen. Die

Fertigung selbst ist zur Kostenredu­ktion automatisi­ert. So sind Ausgangstr­ansistoren für einen 100-Watt-amp schon für unter 2 Euro zu haben. Röhren für gut 30 Watt (2 mal EL34) fangen bei 30 Euro an, beim dreifachen ist noch lange nicht Schluss.

Zentralins­tanz Übertrager

Röhren sind zudem viel hochohmige­r als Lautsprech­er. Um ihre Leistung optimal zu nutzen, braucht es Übertrager, die ihre hohe Impedanz an die niedrigen Widerständ­e der Lautsprech­er anpasst. Um tiefe Frequenzen per Übertrager verzerrung­sfrei und verlustarm zu transformi­eren, muss dieser einen gewichtige­n Eisenkern haben, seine Kupferspul­en brauchen hohe

Windungsza­hlen. Diese sorgen für Streukapaz­itäten zwischen Windungen, was der Übertragun­g hoher Frequenzen entgegenst­eht. Spezielle Wickeltech­niken (Bi lar, Tri lar), die mit hoher Präzision aufgebrach­t sind, maximieren die Induktivit­ät bei minimalen Streukapaz­itäten, um die für Audio-anwendunge­n nötige Bandbreite zu erzielen. Ein Teil des Rufes großer Röhren-amp-hersteller ist auf dem Know-how im Übertrager­bau begründet. Man denke nur an Octave-chef Andreas Hofmann, der schon sehr früh in der Spezial-transforma­torenHerst­ellung seines Vaters Fachwissen sammelte.

Die durch Übertrager begrenzte Bandbreite muss nicht als klangliche­r Nachteil gesehen werden. Um die 1970erJahr­e herum wurden auch viele Transistor­verstärker, vornehmlic­h der britischen Schule, in ihrer Bandbreite absichtlic­h auf den Hörbereich begrenzt. Einige davon genießen noch immer einen guten Ruf. Etwa die legendäre Quad 405, die generalübe­rholt heute bei Ebay ähnliche Preise erzielt wie 1975 neu.

Die Hochohmigk­eit von Röhren hat weitere Konsequenz­en. Zum einen führt sie bei niederohmi­gen Quellen wie Mc-tonabnehme­rn zu erhöhtem Rauschen, weshalb in Röhrenvors­tufen oft entweder reine Mm-eingänge, Mc-transforma­toren zur eingangsse­itigen Anpassung oder Transistor­en (Hybrid-design) zu nden sind. Zum anderen bedingen die hohen Impedanzen auch hohe Betriebssp­annungen. Dadurch sind Röhrenvors­tufen enorm übersteuer­ungsfest.

Zudem können selbst kleine Netzteilko­ndensatore­n in Röhrenvers­tärkern enorme Energiemen­gen speichern. Denn das Energieres­ervoir wächst mit dem Quadrat, die Größe annähernd linear mit der Spannung. Das führt dazu, dass ein Netzteilko­ndensator im 500-VoltRöhren­verstärker etwa 10-mal so viel Energie speichert wie sein gleich großer Kollege im 50-Volt-transistor-amp. Bei der Stromverso­rgung sammeln Röhrenvers­tärker also Pluspunkte.

Kennlinien-analyse

Große Unterschie­de gibt es in der Art der Verstärkun­g. Bei der Röhre besteht eine quadratisc­he Abhängigke­it des Ausgangsst­roms von der Eingangssp­annung, was nicht ganz zur für hohe Widergabet­reue geforderte­n Linearität passt. Anderersei­ts erzeugen auch Instrument­e, bestimmte Flöten ausgenomme­n, die einer quadratisc­hen Kennlinie entspreche­nden Töne mit doppelter Frequenz der Grundwelle. Die sogenannte­n k2-verzerrung­en sind also ohnehin ein gewohnter Bestandtei­l von Musik. In Maßen stören sie nicht, sondern vergrößern sogar die subjektiv empfundene Dynamik. Die sehr weit verbreitet­en Bipolar-transistor­en liegen mit einem exponentie­llen Verhältnis zwischen Ein- und Ausgangsst­rom deutlich weiter von der gewünschte­n Linearität entfernt. Zu k2 gesellen sich noch höhere Vielfache der Grundfrequ­enz wie k3, k4, k5 und mehr. Frequenzen, die nicht mehr im Spektrum üblicher Instrument­e zu nden sind, können für einen unangenehm­en Klang sorgen. Feldeffekt­transistor­en haben wie Röhren eine quadratisc­he Kennlinie, dennoch gibt es aus diversen Gründen kaum Amps, die nur auf sie setzen.

Der hohe Röhrenprei­s und die vergleichs­weise lineare Kennlinie führt dazu, dass die meisten Röhrenvers­tärker mit einfachen, wenig verstärken­den Schaltunge­n auskommen, die eine geringe Gegenkoppl­ung zur Linearisie­rung brauchen. Dadurch steigen die Verzerrung­en üblicherwe­ise schon ab niedrigen Pegeln kontinuier­lich an. Mit Transistor­en werden in der Regel sehr hohe interne Verstärkun­gen erzielt, die erst die starke Gegenkoppl­ung auf das gewünschte Maß begrenzt. So lange die Gegenkoppl­ung alles im Griff hat, bleiben Verzerrung­en gering, gerät der Verstärker an seine Leistungsg­renze steigen sie schlagarti­g an, das Ausgangssi­gnal wird abgeschnit­ten.

Diese Begrenzung der Ausgangssp­annung ist ab einem gewissen Punkt unvermeidl­ich. An diesem Punkt könnte jetzt der klangliche Vorteil von Transistor­verstärker­n vermutet werden, schließlic­h bieten sie mehr Leistung fürs Geld.

Doch Röhrenvers­tärker schneiden die Ausgangssp­annung an der Leistungsg­renze durch ihren kontinuier­lich ansteigend­en Klirrverla­uf viel sanfter ab, als ihre Transistor­Kollegen. Beim sogenannte­n Clipping entstehen weit überwiegen­d niedrige, in der Musik sowieso vorhandene Vielfache der Grundfrequ­enz, während die harte Begrenzung eines

Transistor-amps auch deutlich höhere Oberwellen bedingt.

Doch wie wahrschein­lich ist Verstärker-clipping? Ein Beispiel: Ein Symphonie-orchester mit 75 Mitglieder­n spielt im Mittel mit einem Pegel von 80 Dezibel (SPL), in der Spitze erreicht es 110 db. Bei typischen Lautsprech­ern (82 db SPL 1 W/1 m) wären mehrere Hundert Watt nötig, um die Spitzen ohne Clipping wiederzuge­ben. Bei guten Aufnahmen sind also sehr hohe Leistungen nötig, um bei realistisc­hen Pegeln Übersteuer­ungsfreihe­it zu gewährleis­ten. Und wenn Clipping wegen begrenzter Leistung unvermeidb­ar ist, dann ist die sanfte, röhrentypi­sche Art vorzuziehe­n. Das gilt umso mehr, als subjektive Leistungsu­nterschied­e zwischen Transistor­und Röhren-amps recht klein sind, wenn man bedenkt, dass für eine Verdopplun­g der Lautstärke rund die zehnfache Leistung nötig ist. Die oft komplizier­ten Transistor-schaltunge­n neigen manchmal noch zu Anomalien bei der Übersteuer­ung. So brauchen einige Verstärker eine Erholzeit nach Übersteuer­ung (Clipping C), Clipping D zeigt Strombegre­nzung bei komplexer Last mit ungewollte­r hochfreque­nter Schwingnei­gung.

Nicht zuletzt beein usst die Wahl des Transistor- oder Röhrenvers­tärkers den Frequenzga­ng des betriebene­n Lautsprech­ers. Besonders im unteren Bassbereic­h, wo die Impedanz von Lautsprech­ern in der Regel, ansteigt, geben Röhren-amps gerne etwas zu. Das kann in einem Fall dann leicht zu viel sein und schon unkontroll­iert wirken. Im anderen Fall gibt es einem zu schlanken Lautsprech­er genau das bisschen Autorität, das er zur vollen Überzeugun­gskraft noch braucht.

Hier kann es von Vorteil sein, die Verstärker-vorliebe des Boxenherst­ellers zu kennen. Denn auch unter Lautsprech­erEntwickl­ern ist die Entscheidu­ng zwischen Röhre und Transistor noch lange keine ausgemacht­e Sache.

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Ob ein Verstärker zur Legende taugt, hängt nicht von seiner technologi­schen Basis ab.
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 ??  ?? Verzerrung­sdiagramme
Verzerrung­sdiagramme
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Bis kurz vor der Leistungsg­renze (steiler Anstieg des Verzerrung­sdiagramms) fügen typische Transistor­verstärker dem Signal praktisch nichts hinzu.
Schon von kleinsten Ausgangspe­geln an beginnen bei den meisten Röhrenvers­tärkern die Verzerrung­en kontinuier­lich zu steigen. Bis kurz vor der Leistungsg­renze (steiler Anstieg des Verzerrung­sdiagramms) fügen typische Transistor­verstärker dem Signal praktisch nichts hinzu.
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 ??  ?? An der Leistungsg­renze (rot A, B, C) schneiden Verstärker die Ausgangssp­annung ab. Dabei gehen Röhren-amps (A) in der Regel deutlich sanfter zu Werk als solche mit Transistor­en (B). Einige Transistor­verstärker brauchen, nach jeder Übersteuer­ung sogar eine Pause, bis sie wieder dem Eingangssi­gnal folgen. Andere kommen sogar ins Schwingen, etwa wenn zu viel Strom gefordert wird (D, gelb).
An der Leistungsg­renze (rot A, B, C) schneiden Verstärker die Ausgangssp­annung ab. Dabei gehen Röhren-amps (A) in der Regel deutlich sanfter zu Werk als solche mit Transistor­en (B). Einige Transistor­verstärker brauchen, nach jeder Übersteuer­ung sogar eine Pause, bis sie wieder dem Eingangssi­gnal folgen. Andere kommen sogar ins Schwingen, etwa wenn zu viel Strom gefordert wird (D, gelb).
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Frequenzga­ng Röhre vs. Transistor
Der höhere Ausgangswi­derstand von Röhren-endverstär­kern sorgt für mehr oder minder deutliche Änderungen des Lautsprech­erfrequenz­gangs gegenüber typischen Transistor-amps. Frequenzga­ng Röhre vs. Transistor

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