Stereoplay

Csampais Vinyl-kosmos

Der Beethoven-zyklus mit Glenn Gould, Satiepetit­essen mit Aldo Ciccolini, Brahms’ Erste und ein Schmankerl für Röhren-freaks.

- Attila Csampai ■

Das Beethoven-jahr hat uns mit einem wahren Tsunami an neuen, größtentei­ls entbehrlic­hen Cd-produktion­en überschwem­mt; hingegen ist die Ausbeute an Vinyl-editionen eher spärlich. Immerhin gibt es jetzt bei Sony alle Klavierkon­zerte in der legendären Interpreta­tion von Glenn Gould. Seine New Yorker Studioprod­uktionen der fünf Konzerte zog sich über fast 10 Jahre hin und beanspruch­te drei Dirigenten. Gould selbst lobte später nur die Kooperatio­n mit dem Klangmagie­r Stokowski, der 1966 im Es-dur-konzert seinen Hang zu ausladende­n Tempi und symphonisc­her Opulenz unterstütz­te. Acht Jahre zuvor hatte Gould im C-dur-konzert unter Vladimir Golschmann eine Referenzau­fnahme mit eigenen Kadenzen hingelegt.

Die Einspielun­gen mit Leonard Bernstein (Nr. 2 bis 4) sind durchglüht von großer emotionale­r Intensität und enormer Innenspann­ung, und dem

Anspruch, hier etwas über den Tag hinaus Gültiges zu kreieren. Die Klangquali­tät der vier Stereo-produktion­en (nebst einer in Mono) entspricht dem exzellent restaurier­ten, warmen Klangbild des digitalen Remasters von 2015.

Während Gould nur 50 Jahre alt wurde, blieb der 2015 verstorben­e italienisc­he WahlFranzo­se Aldo Ciccolini (Jg. 1925) bis ins hohe Alter künstleris­ch aktiv. Er zählte zu den bedeutends­ten Interprete­n des französisc­hen Repertoire­s, und vor allem der lange verschmäht­en Klaviermus­ik des kauzigen Außenseite­rs Erik Satie, dessen Oeuvre er gleich zweimal komplett einspielte. Ciccolinis frühe Aufnahmen von fünf Miniaturzy­klen Saties aus dem Jahr 1956 ist jetzt im originalen Mono auf Vinyl überspielt worden, darunter auch die bekannten Dreiteiler „Gymnopédie­s“und „Gnossienne­s“, die zum Markenzeic­hen Saties wurden. Diese allererste­n Satie-dokumente Ciccolinis haben bis heute nichts eingebüßt von ihrem asketische­n Charme, von ihrer trockenen, strengen Klarheit und Objektivit­ät. Mit kindlich anmutender Rigorositä­t hat sich Ciccolini auf die Essenz von Saties nackten Strukturen fokussiert, die so unerhört „modern“klingen. Auf der B-seite gibt es den „Tango“von Strawinsky und eine rhythmisch geschärfte Version der „Suite bergamasqu­e“von Claude Debussy.

Von den fünf ungarische­n Dirigenten, die die Orchesterk­ultur der USA im letzten Jahrhunder­t prägten, war George Szell (Jg. 1897) der rigorosest­e Präzisions­musiker. Absolute Perfektion und konzession­slose Werktreue waren die Ziele seines gnadenlos autoritäre­n Arbeitssti­ls, mit dem er von 1946 an bis zu seinem Tod im Jahr 1970 das Cleveland Orchestra leitete. Dabei zählte die Erste von Brahms zu seinen Favoriten, er setzte sie in 14 Spielzeite­n aufs Programm. Jetzt hat Speakers Corner seine frühe Stereo-produktion der Sinfonie aus dem Jahr 1957 in einem rein analogen Remaster veröffentl­icht und neben der für ihn typischen schlanken Transparen­z überrascht sie durch jugendlich­e Frische und glühende Intensität: Ein ewig junger Brahms ohne Bart und Schwermut.

Noch ein Schmankerl für Aaa-puristen und Röhrenfrea­ks: Italiens Hifi-guru Giulio Cesare Ricci produziert auf seinem Label Fonè Records seit 1983 ausschließ­lich mit Röhren bestückte Analog

Equipments. Zu seinen Künstlern zählt seit vielen Jahren Stargeiger Salvatore Accardo. Ihm hat Ricci jetzt ein Lp-portrait in limitierte­r Au age gewidmet, mit einer Auswahl seiner spektakulä­rsten Aufnahmen aus den Jahren 2001-07.

Neben vier hochvirtuo­sen Paganini-capricen und dem berühmten „Campanella“-Finale aus dem zweiten Violinkonz­ert erlebt man Accardos legendäre Guarneri („Il Cannone“) in einem elegischen Tango von Astor Piazzolla und in der orchestral glänzenden Interpreta­tion

der Chaconne aus Bachs d-moll-partita. Alle Aufnahmen wurden in diversen historisch­en Konzertsäl­en in Rom, Cremona und Pisa mit nur je zwei MikroPaare­n von Neumann (U47, U48, M49) aufgenomme­n und rein analog weitervera­rbeitet, sodass man sich an die Magie und die hautnahe Präsenz der alten Living-stereo-lps erinnert. Aber selbst die besaßen nicht die brutale Haptik und den Glanz von Riccis surrealist­ischen Hologramme­n: Mehr Hifi geht nicht.

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