Der Feingeist des Mediterranen
Als Jean-louis Matinier in den späten Achtzigerjahren mit Knopfakkordeon im Umkreis der improvisierenden Musik auf sich aufmerksam machte, wurde er belächelt. Zwar gab es junge Wilde wie Richard Galliano, der an einer runderneuerten Version der Musette bastelte. Und BandoneonKollegen wie Astor Piazzolla oder Dino Saluzzi wurden im Umfeld des Tango Nuevo als Intellektuelle des Faltenbalgs wahrgenommen. Darüber hinaus aber galt das Akkordeon als Instrument der Volksmusik. Es war unter anderem Matiniers Verdienst, vor allem über die Arbeit mit dem Wunderbassisten Renaud Garcia-fons, dass sich die Wahrnehmung schrittweise änderte. Er und Gleichgesinnte wie Luciano Biondini, Stian Carstensen oder inzwischen auchvincent Peirani gelten heute selbst als Katalysatoren einer Spielästhetik, die Folk und Improvisation, Kammerklang und neoklassische Moderne verbindet, mit einem Publikum, das von Freunden der Alten Musik bis hin zu avantpoppigen Electronikern reicht. „Rivages“nun widmet sich der kleinen Form des Dialogs, für die Matinier mit seinem französischen Gitarrenpendant Kevin Seddiki zusammentrifft, eine Kooperation, die vor rund einem Jahrzehnt begann und sich seitdem immer weiter auf das Minimalteam reduzierte. Elf überwiegend eigene Stücke hat das Duo aufgenommen, stilistisch in der Mitte von verhaltener Kammermusik und mit den Steigerungsformen improvisierender Kommunikation spielendem Folk mediterraner Prägung. Das an sich hat schon viel akustischen Reiz, der durch die brillante Aufnahmequalität des Studios des Auditorio Stelio Molo in Lugano mit Stefano Amerio am Pult und Produzent Manfred Eicher zu einem audiophilen Juwel wird. Die Präsenz der Nylonsaiten, die Ausgewogenheit der räumlichen und dynamischen Gliederung, die Abbildung des dialogischen Geschehens überhaupt lässt sich kaum angemessener festhalten.