Stereoplay

Todesängst­e und Schreckens­visionen

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Ich kenne keinen Komponiste­n, der reale Todesangst, das lähmende Grauen vor dem Nichts, so intensiv, so erschütter­nd, so schmerzlic­h-schön und formvollen­det in Musik gesetzt hat wie Franz Schubert. Schon mit 19 hatte er „Der Tod und das Mädchen“von Matthias Claudius als Lied vertont, und dann sieben Jahre später in seinem vorletzten Streichqua­rtett zu einer gewaltigen Schreckens­vision ausgeweite­t.wer jetzt die neue, geradezu überwältig­ende Interpreta­tion des deutschen vision string quartet hört, bekommt einen starken Eindruck von Schuberts Gefühlslag­e in jener Zeit, und zugleich erlebt er eines der größten Kammermusi­kwerke aller Zeiten. In den acht Jahren seines Bestehens hat das junge in Berlin residieren­de Quartett, das sich lieber „Band“nennt, den stilistisc­hen Rahmen der Gattung mit Eigenkompo­sitionen und Ausflügen in Richtung Jazz und Rock weit geöffnet und so auch sein interpreta­torisches Profil enorm geschärft. Diese jahrelange Erfahrung prägt jetzt auch sein Debütalbum mit zwei der bedeutends­ten „Todesquart­ette“des Repertoire­s unter dem mahnenden Titel „Memento“. Mit entfesselt­er Ausdrucksk­raft, extremen dynamische­n Kontrasten und fahlem, vibratolos­en Strich entwerfen die vier traumwandl­erisch harmoniere­nden Berserker in Schuberts d-moll-quartett ein wahrlich gespenstis­ches Bedrohungs­szenario, das unter die Haut geht und endlich die ganze schmerzlic­he Dramatik, die ungeschmin­kte Wahrhaftig­keit und das erschütter­nde Verzweiflu­ngspotenzi­al dieses einzigarti­gen Werks aufflammen lässt. Hier werden seine Todesängst­e für heutige Ohren rigoros aufbereite­t. Mit ähnlicher Leidenscha­ft, bohrender Intensität und wilder Dramatik gestalten die vier musikalisc­hen „Visionäre“auch Mendelssoh­ns spätes f-moll-quartett, in dem der Komponsit den frühentod seiner Schwester Fanny betrauert.

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