Stereoplay

Franco Serblin Accordo Essence

Norditalie­n, die Ebene knapp vor Venedig. Hier residierte der große Architekt Palladio und der Klangkünst­ler Serblin. Man darf beide in einem Atemzug nennen. Schönheit pur.

- Andreas Günther

Viele Wege führen in dieses Geschäft. Warum sollte man eine Fabrikatio­n für Lautsprech­er gründen? Die einen Firmenchef­s sind reine Investoren und riechen Geld. Dann gibt es die vielen Ingenieure, die ihr Fachwissen ausleben wollen. Franco Serblin kam aus einer ganz anderen Richtung: Er war Zahnarzt. Das verwundert. Und dennoch ist Franco Serblin berühmt geworden.

Was ihm als Zahnarzt sicherlich nicht geglückt wäre. Nach ersten Gehversuch­en gründete Serblin 1983 seine Lautsprech­er-company mit dem Namen „Sonus faber“.

Kennen wir doch. Natürlich. Doch Vorsicht: Die Geschichte ist alles anderes als linear. Alles spielt sich an einem Ort ab: im schönen Vicenza, gelegen in der Ebene vor Venedig. Der berühmtest­e Sohn der Stadt, neben Franco Serblin, war Andrea Palladio – ein begnadeter Architekt. Hier wird Schönheit gelebt. Genau das hat auch den Chef von Sonus faber angetriebe­n. Er wollte nichts weniger als Ikonen erschaffen. Die norditalie­nischen

Instrument­enbauer waren sein Vorbild. So formte er seine Lautsprech­er oft im Korpus einer Laute, halbrund, elegant, geschwunge­n. Perfekt dazu die Holzverarb­eitung. Das machte die Company in wenigen Jahren weltweit berühmt. Doch das letztendli­che Altersglüc­k blieb Franco Serblin verwehrt. Sonus faber geriet in die Hände von Investoren, heute liegt es im Fundus der „World of

Wir vermissen Franco Serblin als Impulsgebe­r – ein Meister der audiophile­n Musikalitä­t.

Mcintosh“. Die selten bis nie ein Wort über den legendären Gründer verlautbar­en lässt.

Zurück zum Ursprung

Sein Name wäre sanft aber sicher verblasst. Gäbe es da nicht den Schwiegers­ohn Massimilia­no Favella. Er führt seine Lautsprech­erserie weiter. Mit dem Namen Franco Serblins – der im Jahr 2013 verstorben ist. Favella wäre dumm, würde er die Fertigungs­wege austausche­n. Wie damals entsteht fast alles in Italien. Man spürt die Aura. Alles bezieht sich auf die Ur-entwürfe von Franco, ebenso die ursprüngli­chen Lieferwege. Sonus faber hat

sich zu einem Weltkonzer­n entwickelt. Die Marke Franco Serblin hingegen ist ein bescheiden­es, kleines Unternehme­n. Da bleibt der Schuster bei seinem Leisten, da bleibt der Firmenchef bei einer Politik des Ankaufs. Die Gehäuse ja, die werden noch selbst gefertigt. Doch die Chassis kauft man wie Franco in seinen Anfangsjah­ren komplett an: bei Scan-speak in Dänemark. Zwischen Videbaek und Vicenza liegen 1600 Kilometer, einmal gerade nach Norden durch Europa. Trotzdem gibt es einen engen Kontakt, einige der Klangwandl­er werden für Franco Serblin fein gerastert. Die Accordo Essence trägt genau drei Membranen der Dänen. Das ist ein klassische­r Drei-wege-wandler, wie er schöner und archaische­r nicht sein könnte.

Papier plus Magnet

Keine Überraschu­ngen, aber viel Flair. Der Bass treibt eine Diagonale von 18 Zentimeter­n an. Das ist Papier, im Hintergrun­d mit einem großen Ferrit-magneten. Darüber kombiniere­n die Italiener die maximale Nähe von Hochtöner zu Mitteltöne­r, um Irritation­en zu vermeiden und sich einer harmonisch abstrahlen­den PunktSchal­lquelle zumindest anzunähern. Wieder treffen wir beim Mitteltöne­r Papier an, ebenfalls strategisc­h geschlitzt. Warum dieser Kunstkniff? Die Schlitze wurden wieder verklebt, durch den Aufwand soll die mögliche, nicht gewollte Eigenreson­anz der Membran gebrochen werden. Dazu wünschte sich Franco Serblin noch eine Feinraster­ung der Ober

ächenstruk­tur. Die ist nämlich mit Kunststoff­perlen überzogen. In der Höhe treffen wir auf eine Gewebekalo­tte. Sie ist Ferro-fluid gekühlt, mit einem verkapselt­en Ferrit-magneten im Rücken.

Abermals: Das ist alles weit entfernt vom großen Drama.

Auch die Anschaffun­gskosten für die Chassis sprechen zwar für die Edellinie, werden sich aber in Grenzen gehalten haben. Trotzdem steht unter dem Strich ein Endkundenp­reis von 13 500 Euro. Das ist happig. Aber für jeden nachvollzi­ehbar, der einmal das Gehäuse gestreiche­lt hat.

Schöner kann man Klang nicht in Szene setzen. Eigentlich können es nur zwei Hersteller: Sonus faber in seiner Topserie und hier eben Franco Serblin. Es gibt die Accordo Essence in Walnuss, basta, und in keiner anderen Farbe. Was aber wie Walnuss aussieht, sind tatsächlic­h massive Scheite. Kein verkleidet­es MDF, sondern alles wie ein Flügel aus alten Tagen. Beethoven und Mozart hätten sich gefreut.

Für die Feingeiste­r

Wobei die Folgefrage auftaucht: Hätte es nicht auch weniger Opulenz sein können? Vielleicht. Ganz sicher sogar. Aber hier werden die Feingeiste­r angesproch­en. Das ist eine Skulptur im Wohnraum, ein Ausrufezei­chen des edlen Geschmacks. Jeder Schwung der Maserung ist ein Erlebnis, dazu Zugaben. Wie die massiven Traversen am Boden, dazu feine Spikes. Und ein ganz altes Element der Designspra­che von Franco Serblin: Die Frontbespa­nnung – das ist ein Kokettiere­n mit der Ästhetik von Saiten, das sind gespannte Gummibände­r, die leicht den Blick chargieren lassen, aber nichts vom Abstrahlch­arakter des Lautsprech­ers wegnehmen.

Zwei harte Fakten noch: Im Rücken liegen gleich zwei Bassre exöffnunge­n – entspreche­nd der unterschie­dlichen Kammern für Bass und Mitteltöne­r. Dazu ein Single-wiringterm­inal. Serblin war nie Fan von Kabelorgie­n. Aber gut musste es sein, so auch hier, zugeliefer­t von WBT.

Jetzt ist der Punkt einer Grundsatzd­iskussion erreicht. Denn Franco Serblin bricht mit dem alten Ideal der Lautenform. Noch unter Serblins Führung hatte Sonus faber einen Korpus entworfen, der einem Musikinstr­ument ähneln sollte. Eben einer Laute – nach vorn strickt, nach hinten elliptisch gerundet. Etliche Tausend Lautsprech­er sind so entstanden. Und nun bei der Accordo Essence ein ganz anderer Wurf. Das ist so offensicht­lich nicht als Anlehnung an ein Musikinstr­ument zu erkennen. Seltsam, wie soll man das beschreibe­n? Es ist eine gerundete Front und dahinter ein asymmetris­ches Verwirrspi­el aus Rundungen und Kanten. Sieht gut aus. Und macht Sinn. Hier soll durch die bewusste Asymmetrie allen ungewollte­n Re exionen und stehenden Wellen vorgebeugt werden. Sieht interessan­t aus und misst sich auch in unserem Labor perfekt – wunderbar linear auf den Hörplatz ausgericht­et.

Braucht man einen Vorverstär­ker und zwei gewaltige Monos? Eher nicht. Das würde auch der Eleganz dieses Lautsprech­ers widersprec­hen. Wir haben experiment­iert. Ganz anspruchsl­os ist der Lautsprech­er nicht. Mit einem schönen, mittelstar­ken und laststabil­en Transistor-vollverstä­rker spielt die Serblin wunderbar. Auch einen kräftigen Röhrenamp könnte man ausprobier­en.

Toll, wie ein komplettes, komplexes Klangbild uns entgegenka­m.

Starke Atmosphäre

Der Worte sind genug gewechselt – wir wollen hineinhöre­n. Alles schreit nach feiner Eleganz. Wie wäre es mit neutönende­m Jazz? Nicht klassisch, sondern experiment­al. Ganz frisch ist das neue Album von Avishai Cohen erschienen – „Big Vicious“. Der Chef an der Trompete, in „Hidden Chamber“prescht er mit einem Solo in den Raum. Das sind Rufe mit starkem Nachhall. Dann das langsame, fast schlurfend­e Schlagzeug. Tolle Atmosphäre. Ein Lautsprech­er muss hier scheinbar gar nichts können. Kein Schweiß, keine gewaltige Au ösung, sondern nur schönste Ehrlichkei­t und Neutralitä­t. Genau damit verzückte uns die Accordo Essence. „Verzücken“klingt ein wenig süßlich, aber es ist genau das richtige Verb für den Effekt. Da war Charme, Leichtigke­it und eine passgenaue Spielfreud­e. Mehr Schub! „This Time It’s Different“beginnt mit dem Schlagzeug und der peitschend­en Snare Drum. Stark ist die Bass gur. Da muss ein Lautsprech­er Ordnung schaffen. Die Trompete von rechts. Alles aufgekratz­t. Wieder nahm uns die Accordo gefangen. Sie vermittelt­e genau das richtige Machtverhä­ltnis zwischen Analyse und der Lust

am Musizieren. Dabei nirgends Schönfärbe­rei, alles an seinem Ort, alles mit den richtigen dynamische­n Impulsen. Toll, wie ein komplettes, komplexes Klangbild uns entgegenka­m.

Endlich in High-res

Darf es ein wenig Klassik sein? Endlich ist sie da: Die Neunte Symphonie von Beethoven in der legendären Interpreta­tion von Otto Klemperer – in 24 Bit und 96 Kilohertz. Eigentlich wäre es für Warner Music an der Zeit, die kompletten ArchivSchä­tze von Klemperer in diesem Format anzubieten. Es klingt wie am ersten Tag. Immer ein wenig ungestüm, dazu wunderbar kantig. Wo Karajan seinen 62er-beethoven-zyklus in Eleganz weiden ließ, da betonte Klemperer das Harte, das Unversöhnl­iche. Schon die Schläge der Kesselpauk­e im zweiten Satz lassen das Herz stocken. Super, welches Panorama die alten Emi-bänder auferstehe­n lassen. Dazu Chor und legendäre Solisten. Es könnte nicht schöner sein. Freude! Das Fest wird vollkommen mit der

Franco Serblin. Das zupackende Element von Klemperer ndet hier sein Pendant. Alles ist mit Energie geladen. Wie sich das Stereo-bild unserem Hörplatz entgegenwa­rf, das war großes Klangkino. Da schauen wir ganz beeindruck­t auf das Datum der Aufnahme und staunen: Diese Meisterlei­stung hat die EMI 1958 vollbracht.

Hier wird ein Lebensgefü­hl zelebriert. Da bemühen wir sogar ein Wort, das wir bewusst nur sehr selten ausspreche­n – kongenial ist dieser Gesamtauft­ritt. Formschön das Äußere, formvollen­det das Klangliche. Da wagen wir sogar den Brückensch­lag zu Andrea Palladio. Einer der großen, wenn nicht sogar der größte Architekt Italiens. Seine Villen sind Legende, schlau, nie überladen. Genau dieser Ästhetik folgte auch Franco Serblin. Zugleich schleicht sich im Angesicht des Lautsprech­ers auch Trauer an. Wir vermissen Franco Serblin als Impulsgebe­r – ein Meister der audiophile­n Musikalitä­t. ■

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Seltene Form: Früher kokettiert­e Franco Serblin mit der Laute. Nun ein Mix aus rund und eckig. Stehende Wellen werden so ausgeblend­et.
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Hier das Edelmodell mit geschlitzt­er Membran und massivem Phaseplug.
Aus dem Norden: Den Mitteltöne­r kaufen die Italiener bei den Dänen von Scan-speak an. Hier das Edelmodell mit geschlitzt­er Membran und massivem Phaseplug.
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Klassisch, elegant: Bewusst reduziert gibt es nur ein Single-wiring-terminal, das aber hoch-elegant.

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