Dan D’agostino Progression Integrated
Dan D’agostino ist berühmt für seine gewaltigen Endstufen. Unfassbar perfekt, unfassbar teuer. Nun grast der Meister mit einem Vollverstärker im Bereich des eher Erschwinglichen. Der Progression Integrated ist Heldentat und Glücksfall.
Da konnten wir unsere Finger nicht stillhalten. Als dieser Vollverstärker das erste Mal auf dem Rack in unserem Hörraum stand, wollte ihn jeder streicheln. Das ist eine absolute Ausnahme in unserem Business – ein Auftritt wie von einer Diva. Das Metall, die Zeiger, die Beleuchtung – ein hartherziger Hund, wer da nicht in Heldenverehrung versinkt.
Oder sind wir zu pathetisch? Genau als wir uns wieder zusammenraufen und uns auf professionelle Distanz besinnen, genau dann dreht ein Kollege das große Volume-rad auf der Front. Und wir werden wieder ge asht – klack, klack, klack rattern fein vernehmbar die Relais. Dazu das Anfassgefühl, das Rad liegt kühl in der Hand, hat überhaupt kein Spiel, dreht sich aber wunderbar leicht. Hier wird High-end der höchsten Klasse inszeniert.
Kritiker könnten sagen: Nun ja, das ist vielleicht auch ein wenige altbacken. Schließlich gibt es keinerlei Display auf der Front. Stattdessen rechts zwei Zeigerelemente mit grünlicher Hintergrundbeleuchtung. Hier hat sich Dan D’agostino der eigenen Verlautbarung nach von der Ästhetik der Schweizer Uhrenbauer beein ussen lassen. Das ist glaubhaft und chic. Wer Spielverderber sein will und wem es partout nicht gefällt: Das Zeigerelement lässt sich auch komplett ausschalten.
Schauen wir hinein. Huh – was für eine Überraschung. Wir hätten strenge Symmetrie erwartet, eine Sprache in doppeltem Mono. Doch Dan
D’agostino denkt völlig anders. Hinter dem zentralen Drehknauf liegt ein stattlicher Ringkerntrafo, von dort gehen unterschiedliche Zweige zu einem halben Dutzend Platinen. Neben dem Trafo liegt eine kleine Steuerplatine, dahinter die Vorstufe. Die Leistungsträger wurden an die Seiten gepackt – gekühlt durch die massiven Aluminium-rippen. Das ist ein klassischer Class-a/b-aufbau, aber ultimativ und schlau gemacht. Nicht die Symmetrie ist der oberste Wert, sondern die kurzen Wege. Ganz hinten sehen wir noch die Platine für die digitale Wandlung, rechts davon liegen die freien Steckplätze für den optionalen Vinyl-verstärker. Blitzsauber. Bei den Bauteilen selbst, Widerständen und
Transistoren bedient sich D’agostino in dem gleichen hochwertigen Fundus, der auch seine gewaltigen RelentlessMonoblöcke erhebt.
Auf der Rückseite reckt sich uns ein Heer an symmetrischen Anschlüssen entgegen. Vier Stück an der Zahl, dazu ein Preausgang. Cinch wird regelrecht missachtet – hier gibt es nur einen etwas verloren wirkenden Aux-port links oben. Dann aber die Überraschung, direkt daneben – ein weiterer Cinch-eingang mit der Aufschrift „Phono“. Dan wird doch nicht wirklich einen Vinyl-wandler hier verbaut haben? Hat er auch nicht. Zumindest nicht in unserem Testmuster. Der Port ist nur ein strategischer Platzhalter. Falls sich ein Vinyl-fan ndet, der dann allerdings weitere 2000 Euro investieren muss. Dann wird dieser Cinch-port freigeschaltet für ein dahinterliegendes Mc-kraftwerk. Schlau auch dies.
Auch die Digitalgemeinde wird bedient, abermals auf Wunsch und nanzieller Gegenleistung. Für deutliche 6000 Euro gibt es dann ein Digitalboard mit Wandler und Streamer. Wir kommen per Ethernet hinein, ebenso kabellos über die mitgelieferte Antenne. Ein optischer Eingang, ein Usbzugang, eine SPDIF-BUCHSE. Wieder einmal klassisch halt. Fast sogar eine Spur zurückgewandt. Denn während sich die Konkurrenten in Datenraten überbieten, setzt Dan D’agostino auf einen Wandlerchip, der PCM nur bis 24 Bit und 192 Kilohertz aufbereiten kann. Das hatten wir schon vor mehr als fünf, sechs Jahren – keine Neuheit. Aber es gibt eine mächtige Zugabe: Auch DSD wird verstanden, bis 256.
Dann müsste der Altmeister auch Wagemut gezeigt und eine eigene App entwickelt haben. Hat er auch, Life genannt. Die
Das ist ein klassischer Aufbau – ultimativ und schlau. Die Macht der kurzen Wege.
Ästhetik kokettiert spannend mit der Metallober äche des Progression Integrated. Die virtuellen Knöpfe schimmern kupferfarben – natürlich mit Coveransicht, aber auch allen umfassenden Funktionen einer Fernbedienung. Dabei sehen wir auch, dass der Progression Airplay den Stream per Bluetooth beherrscht. Hey super – auch die Phase lässt sich in „normal“und „inverted“vorgeben, dazu der Gain in „normal“
und „increased“. Und unsere geliebten Streaming-anbieter? Sind auch dabei: von Tidal über Qobuz bis Spotify. Politisch hat sich D’agostino auf die Mqa-seite geschlagen. Wem die Musikverwaltung nicht gefällt, darf sich in dem guten Gefühl sonnen, dass der Progression Integrated auf Wunsch auch Roon versteht.
Zwei Kleinigkeiten noch, die wir nicht vergessen wollen. Auf der Rückseite gibt es eine Buchse für 6,3-Millimeter-stecker – D’agostino hat hier einen wirklich großen, wirklich guten Kopfhörerverstärker verbaut. Überraschend die Fernbedienung: Sie funkt nicht klassisch, sie leuchtet nicht in Infrarot – sie spricht mit dem Vollverstärker per Bluetooth.
Transzendent perfekt
Drei, vier Takte – und dem Team im Hörraum war klar, dass hier ein großer Meister aufspielte. Schon mit diesem kurzen Auftritt rief der Progression Integrated allen entgegen, dass hier unmäßige Kraft anliegt. Vor keinem noch so leistungsfressenden Lautsprecher würde er in die Knie gehen. Das neue Album von The Strokes ist da. Auch als High-resstream in 24/96. Ein wenig selbstverliebt in die Möglichkeiten des Synthesizers, aber auch mit starken Songs. „Why Are Sunday’s So Depressing“hat Hit-potenzial. Das Schlagzeug steigt wuchtig ein, danach eine extrem fette Abmischung: Gitarre rechts, Gitarre links, Bass und Singstimme in der Mitte. Das ganz wuchtige
Klangbild durch alle Frequenzen. Aber keine wirkliche Herausforderung für den D’agostino. Das hatte die Präsenz einer Klangwand, die sich dem Hörer entgegenlehnte. Die Grobdynamik hat er, dazu aber auch das ganz feine Händchen für die Impulse – hier kann man sich in transzendente Höhen hören. Wie die Derwische im Nahen Osten.
Jetzt mal nicht die große audiophile Feinsinnigkeit, sondern brutaler Pop: Dua Lipa mit „Future Nostalgia“. Der Bass hat Zerstörungsabsicht – ein mächtiger Blupp am Rande der Übersteuerung. Da beginnen sehr viele Vollverstärker zu Hecheln – eigentlich die meisten. Nicht der Progression Integrated. Fast erschien er uns wie ein Schwergewichtskämpfer, der nach mehr zu rufen schien. Muskeln überall. Dazu aber diese Lust am perfekten Timing und die Eleganz. Ein Gentleman-boxer.
Das zwingt ein weiteres Album auf: „Gentleman“von Curtis Stigers. Jetzt auch in Hochbit zu haben. Das ist Edeljazz mit Big Band im Rücken.
Es geht aber auch klein, wie bei „A Lifetime Together“. Großartig wie der D’agostino den Raum de nierte, die Tiefe des Flügels, die Atemphrasen von Curtis – und wieder dieser Mix aus Souveränität und Eleganz.
Ich nehme ihn, wie viel Geld soll ich überweisen? 20.000 Euro, ohne jedes Extra. Oha, da muss ich erst einmal meinen Bankberater befragen. Aber nachgefühlt – angesichts von Verarbeitung, Konzept und vor allem Klang stimmt der Preis. Nicht zu vergessen: Dan D’agostino fertigt im Hochlohnland USA, jedes noch so kleine Detail – alles entsteht nahe Phoenix in Arizona.
Was sich in unserem Hörtest als Kernbotschaft gefestigt hat: Der Progression Integrated ist stringent, ehrlich, frei von Vorlieben.
Er färbt nicht schön wie so mancher Röhrenamp, er drückt nicht auf die Brutalotube wie vereinzelte Digitalendstufen. Alles bleibt naturbelassen – auf die Au ösung der Ur-signale kommt es an.
In diesem Sinne ein KlassikTipp: Verdis bekannte „Aida“in einer Prachteinspielung, recht frisch vorgelegt in 24 Bit und 96 Kilohertz. Sir Georg Solti dirigiert das Orchester der Oper Rom. Sicherlich keines der TopOrchester dieser Welt – doch es ist erstaunlich, welche Tiefenschärfe, welche Prägnanz Solti im Sommer 1961 aus diesem Klangkörper holte. Und welche Extremdynamik sich die Tontechniker der Decca zutrauten. Die berühmte Triumphszene ist ein Geniestreich zwischen der Konzentration auf ge üsterte Momente und dem Einzug der Fanfaren und Chöre. Da müssen wir angesichts des Progression Integrated fast den Superlativ herausholen: Das haben wir über kaum einen Vollverstärker, selbst über kaum eine Vor/endKombi so souverän, so reich gehört. Es bleibt dabei, ich rufe gleich morgen meinen Bankberater an.
Stringent, ehrlich und frei von Vorlieben. Auf die Auflösung der Ur-signale kommt es an.