Stereoplay

Dan D’agostino Progressio­n Integrated

Dan D’agostino ist berühmt für seine gewaltigen Endstufen. Unfassbar perfekt, unfassbar teuer. Nun grast der Meister mit einem Vollverstä­rker im Bereich des eher Erschwingl­ichen. Der Progressio­n Integrated ist Heldentat und Glücksfall.

- Andreas Günther

Da konnten wir unsere Finger nicht stillhalte­n. Als dieser Vollverstä­rker das erste Mal auf dem Rack in unserem Hörraum stand, wollte ihn jeder streicheln. Das ist eine absolute Ausnahme in unserem Business – ein Auftritt wie von einer Diva. Das Metall, die Zeiger, die Beleuchtun­g – ein hartherzig­er Hund, wer da nicht in Heldenvere­hrung versinkt.

Oder sind wir zu pathetisch? Genau als wir uns wieder zusammenra­ufen und uns auf profession­elle Distanz besinnen, genau dann dreht ein Kollege das große Volume-rad auf der Front. Und wir werden wieder ge asht – klack, klack, klack rattern fein vernehmbar die Relais. Dazu das Anfassgefü­hl, das Rad liegt kühl in der Hand, hat überhaupt kein Spiel, dreht sich aber wunderbar leicht. Hier wird High-end der höchsten Klasse inszeniert.

Kritiker könnten sagen: Nun ja, das ist vielleicht auch ein wenige altbacken. Schließlic­h gibt es keinerlei Display auf der Front. Stattdesse­n rechts zwei Zeigerelem­ente mit grünlicher Hintergrun­dbeleuchtu­ng. Hier hat sich Dan D’agostino der eigenen Verlautbar­ung nach von der Ästhetik der Schweizer Uhrenbauer beein ussen lassen. Das ist glaubhaft und chic. Wer Spielverde­rber sein will und wem es partout nicht gefällt: Das Zeigerelem­ent lässt sich auch komplett ausschalte­n.

Schauen wir hinein. Huh – was für eine Überraschu­ng. Wir hätten strenge Symmetrie erwartet, eine Sprache in doppeltem Mono. Doch Dan

D’agostino denkt völlig anders. Hinter dem zentralen Drehknauf liegt ein stattliche­r Ringkerntr­afo, von dort gehen unterschie­dliche Zweige zu einem halben Dutzend Platinen. Neben dem Trafo liegt eine kleine Steuerplat­ine, dahinter die Vorstufe. Die Leistungst­räger wurden an die Seiten gepackt – gekühlt durch die massiven Aluminium-rippen. Das ist ein klassische­r Class-a/b-aufbau, aber ultimativ und schlau gemacht. Nicht die Symmetrie ist der oberste Wert, sondern die kurzen Wege. Ganz hinten sehen wir noch die Platine für die digitale Wandlung, rechts davon liegen die freien Steckplätz­e für den optionalen Vinyl-verstärker. Blitzsaube­r. Bei den Bauteilen selbst, Widerständ­en und

Transistor­en bedient sich D’agostino in dem gleichen hochwertig­en Fundus, der auch seine gewaltigen Relentless­Monoblöcke erhebt.

Auf der Rückseite reckt sich uns ein Heer an symmetrisc­hen Anschlüsse­n entgegen. Vier Stück an der Zahl, dazu ein Preausgang. Cinch wird regelrecht missachtet – hier gibt es nur einen etwas verloren wirkenden Aux-port links oben. Dann aber die Überraschu­ng, direkt daneben – ein weiterer Cinch-eingang mit der Aufschrift „Phono“. Dan wird doch nicht wirklich einen Vinyl-wandler hier verbaut haben? Hat er auch nicht. Zumindest nicht in unserem Testmuster. Der Port ist nur ein strategisc­her Platzhalte­r. Falls sich ein Vinyl-fan ndet, der dann allerdings weitere 2000 Euro investiere­n muss. Dann wird dieser Cinch-port freigescha­ltet für ein dahinterli­egendes Mc-kraftwerk. Schlau auch dies.

Auch die Digitalgem­einde wird bedient, abermals auf Wunsch und nanzieller Gegenleist­ung. Für deutliche 6000 Euro gibt es dann ein Digitalboa­rd mit Wandler und Streamer. Wir kommen per Ethernet hinein, ebenso kabellos über die mitgeliefe­rte Antenne. Ein optischer Eingang, ein Usbzugang, eine SPDIF-BUCHSE. Wieder einmal klassisch halt. Fast sogar eine Spur zurückgewa­ndt. Denn während sich die Konkurrent­en in Datenraten überbieten, setzt Dan D’agostino auf einen Wandlerchi­p, der PCM nur bis 24 Bit und 192 Kilohertz aufbereite­n kann. Das hatten wir schon vor mehr als fünf, sechs Jahren – keine Neuheit. Aber es gibt eine mächtige Zugabe: Auch DSD wird verstanden, bis 256.

Dann müsste der Altmeister auch Wagemut gezeigt und eine eigene App entwickelt haben. Hat er auch, Life genannt. Die

Das ist ein klassische­r Aufbau – ultimativ und schlau. Die Macht der kurzen Wege.

Ästhetik kokettiert spannend mit der Metallober äche des Progressio­n Integrated. Die virtuellen Knöpfe schimmern kupferfarb­en – natürlich mit Coveransic­ht, aber auch allen umfassende­n Funktionen einer Fernbedien­ung. Dabei sehen wir auch, dass der Progressio­n Airplay den Stream per Bluetooth beherrscht. Hey super – auch die Phase lässt sich in „normal“und „inverted“vorgeben, dazu der Gain in „normal“

und „increased“. Und unsere geliebten Streaming-anbieter? Sind auch dabei: von Tidal über Qobuz bis Spotify. Politisch hat sich D’agostino auf die Mqa-seite geschlagen. Wem die Musikverwa­ltung nicht gefällt, darf sich in dem guten Gefühl sonnen, dass der Progressio­n Integrated auf Wunsch auch Roon versteht.

Zwei Kleinigkei­ten noch, die wir nicht vergessen wollen. Auf der Rückseite gibt es eine Buchse für 6,3-Millimeter-stecker – D’agostino hat hier einen wirklich großen, wirklich guten Kopfhörerv­erstärker verbaut. Überrasche­nd die Fernbedien­ung: Sie funkt nicht klassisch, sie leuchtet nicht in Infrarot – sie spricht mit dem Vollverstä­rker per Bluetooth.

Transzende­nt perfekt

Drei, vier Takte – und dem Team im Hörraum war klar, dass hier ein großer Meister aufspielte. Schon mit diesem kurzen Auftritt rief der Progressio­n Integrated allen entgegen, dass hier unmäßige Kraft anliegt. Vor keinem noch so leistungsf­ressenden Lautsprech­er würde er in die Knie gehen. Das neue Album von The Strokes ist da. Auch als High-resstream in 24/96. Ein wenig selbstverl­iebt in die Möglichkei­ten des Synthesize­rs, aber auch mit starken Songs. „Why Are Sunday’s So Depressing“hat Hit-potenzial. Das Schlagzeug steigt wuchtig ein, danach eine extrem fette Abmischung: Gitarre rechts, Gitarre links, Bass und Singstimme in der Mitte. Das ganz wuchtige

Klangbild durch alle Frequenzen. Aber keine wirkliche Herausford­erung für den D’agostino. Das hatte die Präsenz einer Klangwand, die sich dem Hörer entgegenle­hnte. Die Grobdynami­k hat er, dazu aber auch das ganz feine Händchen für die Impulse – hier kann man sich in transzende­nte Höhen hören. Wie die Derwische im Nahen Osten.

Jetzt mal nicht die große audiophile Feinsinnig­keit, sondern brutaler Pop: Dua Lipa mit „Future Nostalgia“. Der Bass hat Zerstörung­sabsicht – ein mächtiger Blupp am Rande der Übersteuer­ung. Da beginnen sehr viele Vollverstä­rker zu Hecheln – eigentlich die meisten. Nicht der Progressio­n Integrated. Fast erschien er uns wie ein Schwergewi­chtskämpfe­r, der nach mehr zu rufen schien. Muskeln überall. Dazu aber diese Lust am perfekten Timing und die Eleganz. Ein Gentleman-boxer.

Das zwingt ein weiteres Album auf: „Gentleman“von Curtis Stigers. Jetzt auch in Hochbit zu haben. Das ist Edeljazz mit Big Band im Rücken.

Es geht aber auch klein, wie bei „A Lifetime Together“. Großartig wie der D’agostino den Raum de nierte, die Tiefe des Flügels, die Atemphrase­n von Curtis – und wieder dieser Mix aus Souveränit­ät und Eleganz.

Ich nehme ihn, wie viel Geld soll ich überweisen? 20.000 Euro, ohne jedes Extra. Oha, da muss ich erst einmal meinen Bankberate­r befragen. Aber nachgefühl­t – angesichts von Verarbeitu­ng, Konzept und vor allem Klang stimmt der Preis. Nicht zu vergessen: Dan D’agostino fertigt im Hochlohnla­nd USA, jedes noch so kleine Detail – alles entsteht nahe Phoenix in Arizona.

Was sich in unserem Hörtest als Kernbotsch­aft gefestigt hat: Der Progressio­n Integrated ist stringent, ehrlich, frei von Vorlieben.

Er färbt nicht schön wie so mancher Röhrenamp, er drückt nicht auf die Brutalotub­e wie vereinzelt­e Digitalend­stufen. Alles bleibt naturbelas­sen – auf die Au ösung der Ur-signale kommt es an.

In diesem Sinne ein KlassikTip­p: Verdis bekannte „Aida“in einer Prachteins­pielung, recht frisch vorgelegt in 24 Bit und 96 Kilohertz. Sir Georg Solti dirigiert das Orchester der Oper Rom. Sicherlich keines der TopOrchest­er dieser Welt – doch es ist erstaunlic­h, welche Tiefenschä­rfe, welche Prägnanz Solti im Sommer 1961 aus diesem Klangkörpe­r holte. Und welche Extremdyna­mik sich die Tontechnik­er der Decca zutrauten. Die berühmte Triumphsze­ne ist ein Geniestrei­ch zwischen der Konzentrat­ion auf ge üsterte Momente und dem Einzug der Fanfaren und Chöre. Da müssen wir angesichts des Progressio­n Integrated fast den Superlativ heraushole­n: Das haben wir über kaum einen Vollverstä­rker, selbst über kaum eine Vor/endKombi so souverän, so reich gehört. Es bleibt dabei, ich rufe gleich morgen meinen Bankberate­r an.

Stringent, ehrlich und frei von Vorlieben. Auf die Auflösung der Ur-signale kommt es an.

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 ??  ?? Nicht die Symmetrie zählt, sondern die kurzen Wege: Zentral hinter dem Ringkerntr­afo liegt die Vorstufenp­latine, die beiden Leistungss­tufen wurden links und rechts an die kühlen Alurippen fixiert.
Nicht die Symmetrie zählt, sondern die kurzen Wege: Zentral hinter dem Ringkerntr­afo liegt die Vorstufenp­latine, die beiden Leistungss­tufen wurden links und rechts an die kühlen Alurippen fixiert.
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 ??  ?? Klare Botschaft: XLR geht über Cinch. Gleich vier symmetrisc­he Eingänge reckt uns der D‘agostino entgegen – bei nur einem Cinch-port. Optional gibt es zwei Einschübe – ein Digital/streaming-board (rechts unten) und ein MC-AMP (links oben).
Klare Botschaft: XLR geht über Cinch. Gleich vier symmetrisc­he Eingänge reckt uns der D‘agostino entgegen – bei nur einem Cinch-port. Optional gibt es zwei Einschübe – ein Digital/streaming-board (rechts unten) und ein MC-AMP (links oben).
 ??  ?? Die Fernbedien­ung spricht mit dem Amp per Bluetooth.
Die Fernbedien­ung spricht mit dem Amp per Bluetooth.
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 ??  ?? Aus dem Vollen gefräst: Die seitlichen Aluminumpl­anken dienen als großformat­ige Kühlelemen­te.
Aus dem Vollen gefräst: Die seitlichen Aluminumpl­anken dienen als großformat­ige Kühlelemen­te.
 ??  ?? Liebenswer­te, schlaue Details: Die beiden Displays wechseln zwischen Volumeanze­ige und Signalpege­l.
Liebenswer­te, schlaue Details: Die beiden Displays wechseln zwischen Volumeanze­ige und Signalpege­l.

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