KLANGTIPP Rockender Drive
Lange galten die ersten sechs Sinfonien von Franz Schubert als zweitklassige Jugendarbeiten, die noch sehr den großen Vorbildern Haydn, Mozart und Beethoven verhaftet seien. Erst in den letzten Jahren mehrten sich die Stimmen, die schon hier Schuberts ganz eigenen Umgang mit dertradition und speziell mit der „Sonatenform“erkannten und das hohe experimentelle Potenzial dieser vor seinem 21. Lebensjahr entstandenen Geniestreiche bewunderten.
So untermauert Belgiens Originalklang-guru René Jacobs seine neue, quicklebendige Interpretation der Sinfonien Nr. 2 und 3 durch ausführliche Formanalysen im Booklet: Er sieht sie als ungleiches Geschwisterpaar. Der ungemein langen, rebellisch-subversiven Zweiten folgt in nur wenigen Wochen die eher ausgeglichene, natürlich-entspannte Dritte. Doch schon in der weitläufigen Zweiten spürt man Schuberts Vorliebe für linear ausgesponnene „himmlische Längen.“Diese verdichtet Jacobs durch seine rasanten, erregt pulsierenden Tempi, sodass das exzellente, historisch orientierte belgische B’rock Orchestra beidewerke mit „rockendem“Drive und sogartiger Stringenz aus der üblichen schläfrigen Gemütlichkeit reißt und in ihrem eigenständigen Charakter selbstbewusst erstrahlen lässt. Lediglich das reizende, anmutig-kapriziöse Allegretto der 3. Sinfonie verpufft etwas im allgemeinen Temporausch, weshalb ich der mitreißenden Aufführung nicht die Höchstnote geben kann.
Alles andere aber hebt diese lange verkannten Jugendarbeiten des 18-jährigen Schuberts mit Feuereifer in den Rang von kleinen feinen Meisterwerken, die schon hier seinen ganz eigenen Weg als Sinfoniker markieren. Der hochauflösende Mehrkanalklang ist knackig und natürlich-haptisch.