Empathisch und emphatisch
Nie hat Musik die Klarinette ungezwungener zum Sprechen gebracht als im Kopfsatz von Brahms‘ Es-dur-sonate. Das ist bei aller melodischen Schönheit kein reiner Gesang, aber auch keine Rhetorik, weder Dia- noch Monolog, sondern eine eigentümliche Art der klingenden Mitteilung, adressiert an ein schweigendes Gegenüber. Empathisch und emphatisch bläst Jörg Widmann in diese sensiblen Äußerungen die Seele hinein. Sein Ton ist gerade und doch biegsam, kantabel und klar. Das tiefe Register mulmt nicht, das hohe kann schneidend scharf sein, muss aber nicht: Der vermeintlich unvermeidliche Klangcharakter
mutiert bei einem Klarinettisten vom Rang Widmanns zu flexiblem Ausdruck. Wie einfühlsam er sich ins tönende Gespräch hineindenkt, lässt sich gleich nach der ersten achttaktigen Periode hören, wo Triolen più piano die Kantilene unterlaufen:widmann realisiert exakt dieses Beiseite-sprechen, das gleichwohl gehört und als eigentliche Botschaft verstanden sein will, vertraulich und intim.
Daraus folgt keine leisetreterische Geheimniskrämerei. Manierismen, wie sie sich in Lorenzo Coppolas und Andreas Staiers sonst ebenfalls hochkarätige Aufnahme einschlichen, sind hier durch Natürlichkeit gebannt. Und die Ausdifferenzierung der Sprachnähe, die beiden späten Sonaten insgesamt innewohnt, zeigt Vielschichtigeres als das Klischee von herbstlichem Abgesang und Resignation. Üppige Terz- und Sext-reife, dralles Ländlern, Grazioso-eleganz und Vivace-temperament (dritter und vierter Satz der f-moll-sonate) kommen bei Widmann und András Schiff so zu ihrem Recht wie Abschied und Elegie. Den durch unmerkliche Kontrapunktik mit der Klarinettenstimme verwobenen Klavierpart spielt Schiff schlichtweg perfekt: energetisch artikuliert, fein konturiert. Ebenso Widmanns Intermezzi mit ihren Brahminischen Erscheinungen (etwa des Wiegenlieds op. 117/1) und beunruhigend geräuschhaften Subtexten.
ECM / universal 481 9512 (64:51)