Bacchus aus der Asche
Wahrscheinlich würde die meisten der Schlag treffen, sähen sie das wahre Wesen ihrer Lover – auch wenn die keine Götter sind, wie im Fall der armen Semele. Soeben ward sie vom Blitz ihres göttlichen Geliebten Jupiter verbrannt, den sie unbedingt in Originalgestalt sehen wollte. Jetzt folgt in einer geradezu Offenbach’schen Finalvolte prickelnde Champagnerseligkeit, erstand doch aus der Asche seiner Mutter Bacchus, und der Rauschgott ist laut Libretto noch mächtiger als die Liebe. Darauf prostet ein Schlusschor von Cancan-haftem Schwung, komponiert aber mit denselben Mitteln, die Händel sonst für hehren geistlichen Triumph anwendet. Erstaunlich, wie die ganze „Semele“– offiziell die mahnende Story von der Hybris einer Sterblichen, in Wirklichkeit ein tragikomischer Wolpertinger aus Oper und Oratorium mit jener Durchlässigkeit der hohen Mythologie fürs alltäglich Frivole und Triviale, wie sie tatsächlich gut hundert Jahre später Offenbach erprobte.
Gardiners Live-aufnahme strebt denn auch nach Boulevard avant la lettre, unter souveräner stilistischerwahrung des Händel-kosmos vom zarten Pastoralpastell bis zu drastischer Chordramatik. Leider waltet im gekürzten ersten Akt noch etwas orchestrale Routine. Hier empfiehlt sich Christian Curnyns Einspielung von 2007 mit ihrem sehnig konturierten Ton. An Gardiners brillante Vokalcast kommt sie freilich nicht heran, und in den Akten zwei und drei auch nicht an dessen instrumentalen Spielwitz.
Louise Alder als Semele glänzt mit einem sinnlichen Porträt koketten Hochmuts von tiefer Charakterisierungskraft. Hugo Hymas ist ein schön jugendlich timbrierter Jupitertenor, Carlo Vistoli der Verlobte Athamas mit geschmeidigem Kontratenor und Gianluca Buratto ein prächtiger Vaterbass.wenn aber Lucile Richardot als eifersüchtige Göttergattin Juno mit travestiehaftem Wuchtbrummenorgan ins Feld zieht, herrscht schärfster Fregattenalarm. Chapeau!
soli Deo Gloria / naxos 733 (155 Min., 3 CDS)