Serge und die Liebe zu sich selbst
Die ewige Jane Birkin. Wer bei der anglofranzösischen Chanteuse mit Überraschungen rechnet, kennt sie nicht. Ihre musikalische Entwicklung ist im Grunde 1969 stehengeblieben, doch anders als beim Gros ihrer Kolleginnen stört das überhaupt nicht. Im Gegenteil, ihre unverdrossene Suche nach der verlorenen Zeit, die durch den individuellen Fokus der Sängerin definitiv als bessere erscheint, ist auch für den Hörer gleichermaßen Anker und Zuflucht.
Der Geist ihres früheren Partners und Gegenübers Serge Gainsbourg ist in jedem einzelnen Song spürbar. Die Arrangements könnten aus einem wiedergefundenen Koffer des 1991 verstorbenen Chansoniers von einem Pariser Dachboden stammen. Jane Birkins unverwechselbares Hauchen und Flüstern, die ebenso verführerische wie beklemmende Distanzlosigkeit ihres Timbres gehen eindeutig auf das Konto ihres auch aus der zeitlichen Distanz noch präsenten Ex-gatten. Auch wenn ihre helle Stimme dezente Kratzer erkennen lässt, hat sich die 74-Jährige doch bis heute eine erstaunliche Mädchenhaftigkeit bewahrt. Und noch ein anderes für sie typisches Element scheint auf diesem Album wieder einzelne Farbtupfer zu setzen, wie auf einem pointillistischen Gemälde im Musée d’orsay. Da ist eine liebevoll versteckte und doch geschickt in Szene gesetzte Obsession für britischen Sixties-pop spürbar, wie er allen voran von den Kinks repräsentiert wurde. Textlich gönnt sie sich ein paar provokante Freiheiten, zum Beispiel in scheinbar beiläufig zwischen die Songs gestreuten Kurz-dialogen oder wenn sie sich in einer wunderschönen Ballade über die öffentlichen Toiletten in Paris auslässt. „Oh! Pardon Tu Dormais“ist eine Hommage. Ein Tribut an ein goldenes Zeitalter des französischen Pop, eine Verneigung vor einem der größten Enfantsterribles der europäischen Nachkriegsmusik und nicht zuletzt eine sympathische Liebeserklärung an sich selbst.