Versöhnlicher Abschied
Mahlers neunte Sinfonie, seine letzte vollendete Partitur, entstand 1909 in Toblach und sie gilt seit ihrer Uraufführung durch Bruno Walter im Jahr 1912 als ein Manifest des Abschieds von der Welt und düsterer Todesvisionen. „Das herrliche Lied vom Nimmerwiedersehen“– schrieb ein Wiener Kritiker, und Mahler-biograf Paul Bekker gab ihr den Untertitel „Was mir dertod erzählt“. So dominieren auch in der riesigen Diskographie der Neunten bislang eher resignative bis emphatisch beschwörende Deutungen, obwohl die beiden Mittelsätze eine andere, in die Zukunft weisende Sprache der ironischen Zuspitzungen und grotesken Überzeichnungen sprechen. Erst in den letzten Jahren gab es zunehmend andere, weniger morbide Lesarten.
So vermeidet auch der 71-jährige Ungar Ádám Fischer das überhitzte Pathos früherer Mahlerpropheten, und überrascht in der achten Folge seines 2016 begonnenen Mahler-zyklus mit einer ungemein detailgenauen, aber eher klassizistisch-zurückhaltenden Interpretation der hochkomplexen Partitur. Er gilt ja schon seit vielen Jahren als ausgewiesener Experte für die Wiener Klassik, und so empfindet er auch in Mahlers Neunter eine besondere Beziehung zu Schubert und dessen defensiven Umgang mit dem Thema Tod. Ihn interessiert der innere musikalische Reichtum, die exzessive Vielstimmigkeit und die bis an die Grenzen der Tonalität gehende kompositorische Dichte der Neunten, die er mit den hochmotivierten Düsseldorfer Symphonikern wie auf dem Seziertisch polyphon ausleuchtet. Eine solche, nobel-verhaltene Lesart aber rückt das Thema des Sterbens in ein ganz neues, mildes Licht der leisen Töne und des friedlichen Abschieds und verleiht dem Werk schließlich eine ganz neue, versöhnliche Kraft.