canton vento 896.2 dc
Ein Gesandter schickte nach Rom die Botschaft: Die Hessen singen nicht! Geschehen vor über 2000 Jahren. Stimmt nicht. Tatsächlich ist Canton der größte Musikbotschafter im ganzen Land. Hier wieder ein Wunderwerk.
Canton hat sich eine neue Webseite zugelegt. Huh – das sieht richtig gut aus. Sagen wir es einmal ganz mutig: Wir kennen keinen Lautsprecherhersteller, der seine Webseite schöner gestaltet hat, weltweit.
Auf der sogenannten Landing-page sehen wir vier Herren und die Schlagzeile „Welcome to the Family of Sound“. Da stehen vier Männer in feinen Anzügen vor den Lagerregalen. Klar entdecken wir den alten Meister: Günther Seitz hat die Company gegründet. Meine Güte, der Mann muss auf die 80 Jahre zuschreiten. Daneben seine Helfer, Verwandte und potenzielle Erben. Was auffällt: Keiner der Herren hat auch nur ein Pfund zu viel auf den Hüften. Vermutlich hält der Job schlank. Wenn wir überdrehen wollten: Vermutlich ist das auch das Klangideal der CantonLautsprecher – alles fettfrei.
Das stimmt sogar. In alten Tagen begann man mit dem berühmten Taunus-sound. Im Messdiagramm zeigte sich eine „Badewanne“: unten eine Hebung, in den Mitten eine Senke, in der Höhe wieder ein Push. Gilt heute natürlich nicht mehr. Wie kaum ein anderer deutscher Hersteller hat Canton die absolute Linearität als Ideal ausgerufen.
Eigentlich müsste noch ein fünfter Herr auf dem Foto zu sehen sein. Frank Göbl. Er ist der Meister, das wahre Ohr und Gehirn des Canton-klangs. Offiziell trägt er den Titel „Technical Director“. Auch er bringt kein Pfund zu viel auf die Waage. Abermals: Schlank ist einer der höchsten Werte im Cantonuniversum. Und nun steht die Vento 896.2 DC vor mir. Ist das eine schlanke Standbox? Nö, nicht wirklich. Das ist eher eine Wuchtbrumme, eine ehrliche Skulptur im Raum. In Weiß sieht sie aus wie der Pabst vor dem Petersdom – markant, mächtig, hier hat jemand etwas zu sagen. In Schwarz hingegen wirkt sie ein wenig diabolisch. Wer beides nicht aushält, wählt den Kirschton. Der ist etwas teurer (plus 200 Euro), dafür verwandelt sich der Lautsprecher dramatisch zum Wohnraum-mitspieler.
Irgendwann werden unsere Nachfahren von dieser CantonSprache philosophieren, wie wir heute von den Errungenschaften des Bauhauses. Frank Göbl hat Ikonen erschaffen. Den Archetyp eines Lautsprechers. Schauen wir hinter die Kulissen. Das sieht aus wie ein stattlicher Dreiwegler. Ist er auch. Zwei Bässe liegen in der Tiefe, dann der Hochtöner, on top schließlich der Mitteltöner. Die Bassreflex-energie flutet gen Boden. Hier schließt eine Platte mit Spikes die Gesamtkonstruktion ab. Die Membranen wirken wie Geschwister, aus einem Guss. Doch das ist primär nur ein visueller Eindruck. Tatsächlich schwingen hier drei unterschiedliche Konstruktionen.
Schauen wir genauer hin. Die Bässe werfen zwei Titanium-chassis in den Raum. Das sind rund 20 Zentimeter im Durchmesser. Ihr Job endet bei 250 Hertz. Dann ist der Mitteltöner gefragt. Der auch mit einer Titanium-membran agiert. Bei 3000 Hertz ist Schluss, dann springt der Hochtöner an. Das wiederum ist eine kleine Keramik-membran. Kennen wir alles aus der neuesten Firmengeschichte von Canton. Die Chassis werden in Deutschland erdacht und dann mit allen technischen Details in das firmeneigene Werk nach Tschechien gebracht. Die finale Hochzeit mit dem Gehäuse findet wiederum im Taunus statt. Das ist ein zutiefst ehrliches „Made in Germany“-produkt. Der Lack, die Einpassung der Wandler – alles strahlt eine hohe Liebe zum Detail aus. Das ist Feinkost.
Die auch heftig auf das Sparbuch schlägt? Erstaunlicherweise nicht. Pro Stück kostet die Vento 896.2 DC eine abgerundete Summe von 1700 Euro. Macht also 3400 Euro für das Paar. Das ist höchst human bemessen. Da muss man vielleicht sparen, aber sich nicht panisch auf den Brustkorb schlagen.
Zumeist begeben wir uns blind und blöd in den Hörraum. Doch diesmal wollte ich vorab
Hier hat jemand perfekt gehört und sich zugleich in den mächtigen Impulsen gesonnt.
die Messprotokolle unseres Labors sehen. Trickst Canton mit einer eigenwilligen Frequenzanhebung? Nichts davon. Das war ein Messschrieb von höchster Ehrlichkeit, keine Wellen, keine Show – wie mit dem Lineal gezogen. Das könnte auch langweilig sein. Deshalb werfen wir den Streamer und den Vollverstärker an. Gib’ es uns – den Lautstärkeregler gleich auf 60 Prozent.
Da trifft uns ein Klangbild mitten vor die Stirn. Ein Sturm schaukelt sich auf. Toll, welche Kraft diese Canton in unseren Hörraum stellte. Ich bin QobuzFan. Hier schaufele ich meine Lieblingssongs herbei. Mal im Abo-stream, mal gönne ich mir das gute Gefühl, die Tracks zu kaufen und zu besitzen.
Die meisten High-end-fans schrecken zurück, wenn man die Superseller auflegt. Taylor Swift ist beispielsweise böse.
Eine junge Göre im populären Soundgewand. Stimmt nicht. Genau jetzt tippe ich „happiness“vom brandneuen Album „Evermore“an. Mächtig der Bass über den Synthesizer, doch kein weiteres Instrument, nur die Stimme von Madame Swift. Dann ein Klavier. Das wird eine Wand des Klangs. Richtig laut und intensiv. Die Vento 896.2 DC spielt das Spiel mit. Toll, wie sich hier Energie im Raum entwickelt. Der Song „Evermore“selbst ist eine Ballade. Klavier, Singstimme – ruhig, etwas zu fett aufgenommen, aber dennoch Highendmusik. An schlechten Lautsprechern klingt es nach einem Sumoringer. Hier kommt jedoch der gewünschte Druck und die Eleganz einer großen Ballade hinzu.
Nehmen wir die Präsenz ein wenig zurück. Zudem werden wir sentimental und springen aus der Zeit. Jamie Cullum hat sein Weihnachtsalbum aufgelegt. Das ist Bigbandjazz von höchster Klasse. Schon das Cover deutet an: Hier geht es nach alter Sitte zu – das könnte aus den 50erjahren stammen. Der Mix ist moderner. Natürlich dominiert das Klavier. Aber Jamie liebt auch die Streicher. Wie ein Flug über die Wolken. Jeder harte Ton ist verboten. Genau in dieser Welt ist auch die Vento 896.2 DC daheim. Alles leicht, aber kernig, auf den Punkt genau. Keine Wolken im Klangbild. Diese Weite im Klangbild toppt selbst die größten, teuersten Lautsprecher der Gegenwart. Hier hat jemand perfekt gehört und sich zugleich in den mächtigen Impulsen gesonnt.
Mal ein Tipp für ein Superlabel der Klassik? Die großen Namen sind verblichen. Decca ist nett und dick, die Deutsche Grammophon verwaltet vor allem ihre verstorbenen Helden. Philips wurde von der Decca geschluckt. Die klassische EMI wird heute mit dem Siegel von Warner angepriesen. Alles nicht mehr gefühlsecht. Deswegen die laute Empfehlung für Pentatone. Das ist ein Label mit Sitz in Holland, flankiert von großartigen Tontechnikern mit Wurzeln zur ehemaligen Philips. Das meiste Geld bringt derzeit ein Sampler in die Kassen – legendäre Tenorarien. Piotr Beczala singt – und der Himmel geht auf. Schon in der ersten Arie. Wer immer auf der Suche nach den Nachfolgern von Domingo und Pavarotti sein mag – hier ist der Thronerbe. Was für eine schöne Stimme, was für eine Eleganz, was für eine Kraft. Pentatone hat die Arien ganz fein eingefangen, viel Luft, viel realistische Dynamik. Da muss sich eine highendige Box anstrengen. Und die Vento 896.2 DC zeigt alles. Es flirrt, es trifft einen in der Mitte der Stirn – für diese Zauberwelt leben wir, dafür geben wir Geld aus. Höchste Fairness und ein Klangwunder obendrauf.