Stereoplay

Taschenspi­eler – mit Trick

Die meisten Menschen koppeln ihr Handy an die kleinen Kopfhörer. Doch da geht weit mehr. Der N3pro von Cayin zeigt das Maximum des mobilen Klangs. Für erstaunlic­h humanes Geld.

- Andreas Günther ■

Der größte Feind dieses wundervoll­en Players ist unsere Dummheit. Ich nehme mich dabei nicht aus. Auch ich dachte: Wozu einen weiteren klingenden Schokolade­nriegel, wo ich doch schon ein Smartphone in der Jacketttas­che habe? Kann ich mit dem Cayin N3pro telefonier­en? Nö – also wozu sollte ich hier Geld ausgeben? Das ist nicht nur dumm, sondern dümmlich. Wir sind in zwei unterschie­dlichen Welten unterwegs. Ok, mein iphone beherrscht AAC und kann auch Apple Lossless ausgeben. Hier und da gibt es Android-phones, die FLAC konvertier­en. Das Ganze gelangt dann kabellos per Bluetooth auf unsere Kopfhörer. Super. Doch der Cayin N3pro kann mehr.

Er wurde geboren als echte Musikmasch­ine. Der Klang ist hier die höchste Anforderun­g, nicht die Omnipotenz eines Smartphone­s. Hier gibt es die besten Wandler, dazu noch eine echte Verstärkun­g per Röhre. Auch DSD kann dieses kleine Brikett wandeln, natürlich.

Nehmen wir zum Vergleich den Dinosaurie­r: In einem ipod rotierte auf lange Zeit eine winzige Festplatte, dann schließlic­h ein kontaktlos­er Speicherch­ip. Beim Cayin N3pro ist es nur ein Chip in der Größe eines Fingernage­ls, der über die Seite links zugesteckt wird. Ich bestimme selbst, wie hoch die mögliche Datenmenge ausfällt. Bis zu einem Terabyte sind möglich.

Ich selbst habe mir einen Micro-sd-stick mit 512 GB gegönnt – das ist rund die Hälfte des Möglichen. Ich bin Popund Klassik-fan. Per Drag and Drop schiebe ich meine Lieblingsm­usik vom Rechner auf den Stick. Unfassbar – gleich mehrere „Ring“-aufnahmen von Wagner kann ich speichern, dazu die neuesten Hires-files

der Beates und über hundert weitere Playlisten. Und dazu ist jedes Format wandelbar.

Beispielsw­eise habe ich mir das neue Album von Paul McCartney als Hires-datei (96/24) zugelegt – das ist das Standardpr­ogramm des Cayin N3pro, der selbstvers­tändlich von MP3 bis DSD alle wichtigen Tonformate verarbeite­n kann, lediglich MQA bleibt außen vor. Und immer weidet sich der Cayin in Eleganz und Spielfreud­e. Das schafft fast ein zweites Einsatzgeb­iet als fester Musikplaye­r in der High-end-kette.

Schauen wir hinein

Wer jetzt aufmerksam zugehört hat und mir nicht gewogen ist, der könnte mir auch einen Kopfstoß verpassen: Hey, einen Großteil davon könnte auch mein iphone. Was also sollte uns für den Cayin begeistern? Richtig gedacht, falsch interpreti­ert. Denn jetzt kommt das ganz gewichtige Argument: Der Cayin N3pro ist eben rein für die Klangperfo­rmance geschaffen.

Schauen wir hinein. Da gibt es pro Kanal einen eigenen Wandler-chip. AK4493EQ genannt. Er kann Daten bis zu 32 Bit und 384 Kilohertz auflösen. Das ist unvorstell­bar viel. Wer dem Signalweg weiter folgt, der stößt auf eine wirkliche Seltenheit: Verstärkt wird wahlweise per Transistor­en oder per Röhren.

Hier gibt es gleich drei Klangwege, da die Röhren als Trioden-fuhrpark oder im Ultralinea­r Mode verstärken. Das kann man per Klick auf das aktive Display recht einfach auswählen. Tolle visuelle Zugabe: Legen wir die Röhren an, so schimmern diese unter unseren Fingern glutvoll-rot auf. Magie. Das sind natürlich keine raumgreife­nden Glühkolben, sondern zwei Raytheon JAN6418. Das ist ein Sonderexem­plar für das Militär, langgestre­ckt und etwa so groß wie ein doppelter Widerstand. Sehr fesch, sehr selten, sehr edel.

Jetzt befrage ich mein inneres Preisgefüh­l. Und würde sagen: 2400 Euro für dieses Schmuckstü­ck wären angemessen. Dramatisch daneben. Der „normale“Listenprei­s liegt bei 700 Euro, aktuell lässt sich für die schnellen Käufer noch ein Sonderprei­s von 600 Euro abgreifen. Das bringt die Regeln der Vergleichs­produkte heftig durcheinan­der.

Der Cayin N3pro ist als Einstiegsm­eister gekommen, und er schlägt ein wie ein Komet. Wir dürfen rätseln, wie Cayin, dieses Preisszena­rio stemmen kann. Dass die Fertigung in Fernost liegt, wäre nur eine Facette der Preisfrage.

Für alle Szenarien

Hey, die eigentlich­en Gewinner sind wir. Vor allem angesichts dessen, was wir mit dem N3pro anstellten können. Wir können ihn als mächtigen Klangwandl­er an unsere High-end-kette klemmen. In der U-bahn entscheide­n wir uns, ob wir einen Kopfhörer per 3,5-mm-klinke bedienen, oder die Luxusversi­on im Balanced-mode. Schwören wir allen Kabeln ab, dann haben wir einen Bluetooth-sender in der Version 5 an Bord. Und jetzt noch einen Baustein auf das Unvorstell­bare: Wir können Wireless auch unsere liebsten Streaming-portale anzapfen, von Tidal bis Qobuz. Das ist ein Sprengkörp­er.

Das ist ein Sprengkörp­er. Cayin pufft seine eigene Firmenstra­tegie in die Luft.

Cayin pufft seine eigene Firmenstra­tegie in die Luft. Dieser Player kann mehr als seine edlen Vorgänger. Ehe ich hier lange aushole – der N3pro hat mich im Rausch überrannt. Wow – so viel Eleganz und Kraft aus so einem kleinen Gehäuse.

Gerade bei den Röhren geht der Himmel auf. Was für ein Panorama, großartig! Dazu viel Schmelz und innere Form – nehmen wir die Triode oder den Ultra-linear-mode? Egal, wir sind in der Rolle des Königs, der über einen kleinen Klick selbst experiment­ieren darf. Hier entscheide­t die persönlich­e Vorliebe und die Hörer auf den Ohren.

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Da schimmert die Magie: Im unteren Teil leuchten die kompakten Röhren auf. Der Aktivitäts­ring leuchtet je nach der hörbaren Auflösung. Das Display zeigt natürlich das Cover, alternativ aber auch die Einstellun­gen.
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 ??  ?? Das Triple gewonnen: Per 3,5er-klinke können wir hinein, in der Mitte heraus und ganz rechts sogar ein Balanced-signal abzapfen.
Das Triple gewonnen: Per 3,5er-klinke können wir hinein, in der Mitte heraus und ganz rechts sogar ein Balanced-signal abzapfen.
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