Das westdeutsche Sprachrohr der Wende
Vinyl-reissue des Monats indie POP Blumfeld ich-maschine (Complete Album Series)
Alles war gut. Deutschland war wiedervereinigt, in Berlin liefen die ersten Hedonisten in bunten Anzügen einem Techno-dj im VW Bus hinterher und feierten die schnell wachsenden Loveparades. Blühende Landschaften allenthalben, aber Jochen Distelmeyer war unzufrieden. Der Zivildienst hatte den Bielefelder nach Hamburg geführt. Der Bruder Filmkritiker, er selbst wortgewandt und aufgeregt – eine Mischung, aus der sich 1990 mit Bassist Eike Bohlken und Schlagzeuger André Rattay dastrio Blumfeld entwickelte. Distelmeyer mochte es gerne textintensiv und theoretisch, was dazu führte, dass die Band bald als Wortführer der Hamburger Schule galt, in Analogie zu den Ideologie-kritikern aus Frankfurt. Der Sound hingegen war Indie-rock mit viel Fehlfarben und etwas Ton Steine Scherben im Stammbaum. Anfang 1992 erschien das Debüt „Ich-maschine“, wo gleich einmal vom „Penismonolog“bis zur „Unmöglichkeit, Nein zu sagen, ohne sich umzubringen“der Jugenddiskurs der Westwendejahre verhandelt wurde. Auf „L’état Et Moi“(1994, M:8, K:7, LP) finden sich reichlich kritische Worte zur Kohl-republik, „Old Nobody“ (1999, M:8, K:8, LP) wird mehr und mehr zur Innensicht, die dann mit „Testament der Angst“(2001, M:8, K:8, LP) und Songperlen wie der „Diktatur der Angepassten“und „Anders als glücklich“das aktuelle Mensch- und Mannsein diskutiert. „Jenseits von Jedem“(2003, M:7, K:8, DO-LP) wirkt poppiger, auch ein wenig harmloser, „Verbotene Früchte“(2006, M:8, K:8, DOLP) wie eine Rückeroberung des Poetischen, bevor sich Blumfeld im Jahr darauf auflöste. Auf die ganze Spanne gesehen, ist diese behutsam remastert aufvinyl wiederveröffentlichtewerkschau in Einzelalben ein Hör-dokumentarfilm zu den Jahren einer Wendezeit voller Irritationen für den empfindsamen Intellekt, erst herausgebrüllt, dann zunehmend hineingefressen in das Weltgefühl einer Generation des Dazwischen.