Polyphonie der Seele
Klassik-cd des MONATS klavier J. S. Bach: Goldberg-variationen Pavel kolesnikov (2019)
Von J. S. Bachs „Goldberg-variationen“, seinem bedeutendsten Variationenwerk, gibt es zwei unerschütterliche Referenzen. Sie entstanden 1955 und 1981, und stammen beide vom kanadischen Bach-mystiker Glenn Gould. Seither ist kein Pianist tiefer eingedrungen in Bachs kontrapunktisches Labyrinth.
Jetzt aber hat, völlig überraschend, ein hierzulande kaum bekannter junger Russe, der 1989 in Novosibirsk geborene Pavel Kolesnikov, sein fünftes Album diesem Gipfelwerk gewidmet, und er hat da einen ganz neuen, ungemein modernen, und geradezu zärtlichen Zugang zu Bachs Seelenseismographie gefunden, der ihre spirituelle Tiefe völlig neu erleben lässt. Graf Keyserlingk, der damalige Auftraggeber des Werks, hatte sich von Bach nämlich „Clavierstücke so sanften und munteren Charakters“gewünscht, „dass er in seinen schlaflosen Nächten dadurch aufgeheitert werden könnte“. Und genau diesen poetischinnerlichen, defensiv-sensiblen Ansatz wählt Kolesnikov, indem er fast alle 30 Variationen so leise und verhalten vorträgt als würde er ganz still in sich hineinhorchen, als würde er nicht stören, sondern den Hörer geradezu magisch in den Bann seiner faszinierenden Piano-kultur ziehen wollen. So erbringt er hier den unwiderruflichen Beweis, dass man mit leisen Tönen eine viel höhere Spannung erzeugen kann als mit lautem Getöse. Und dank seiner punktgenauen, weitgehend pedallosen sanften Prägnanz verleiht er Bachs polyphonen Strukturen einen inneren Seelenmotor und eine geradezu tänzerische Anmut und Stringenz, die auch den Zuhörer sofort elektrisiert. Die Botschaft ist zugleich streng objektiv und zutiefst spirituell, tanzende Sterne und tiefste Empfindung, eben Bachs humanes Universum.