kammermusik
Bela Bartók: Streichquartette Nr. 1, 3 und 5 Jerusalem Quartet (2019)
Schönheit ohne Grenzen
Klar könnte man da wie mit dem Rammbock anrücken, die hämmernden Achtel-tonrepetitionen im Kopfsatz-kopfmotiv von Bartóks fünftem Quartett zu stampfendem Brutalismus aufmotzen. Beim Jerusalem Quartet klingt die Passage leicht, sehnig, fast filigran.wie das? Nun, die vier Meisterstreicher dreschen eben kein Martellatound Rabiatmotoriker-klischee, sondern spielen in sublimem, überlegenem Sinne: schön. Freilich ist es eine Schönheit jenseits von Norm und Regel, eine Schönheit, die auch der Härte, dem Grenzgang bis hin zum Geräusch Gestalt gibt: den Glissandi, den fetzenden Pizzicati, den neongrellen oder wie Lichtreflexe huschenden Tönen vom Steg. Der Wechsel der klanglichen Aggregatszustände im Mittelsatz des dritten Quartetts, die Auszehrung des gestrichenen zum gezupften Ton, das Verwischen der Tonhöhe in gleitende oder flatterndetexturen wird hier mit feinsinnigster Strukturklarheit als eigentlicher musikalischer Diskurs erzählt: minuziös, gespannt und durchaus kulinarisch im Auskosten delikater Nuancen.
Wie in ihrer ersten Bartók-aufnahme von 2015, der sie vier Jahre später die Werke mit den ungeraden Nummern folgen ließen, müssen die Jerusalem-quartettisten sich und der Musik nicht den Avantgarde-status beweisen. Zwanglos und geradezu gelöst ergibt sich hier die innovative Konsequenz und Modernität, mit der Bartók die große klassische Quartett-tradition fortführte in die Luft von neuen Planeten. Diese strukturelle und experimentelle Logik der Werke selbst spiegelt sich in den kongenialen Interpretationen, Stringenz verwandelt sich in Ausdruck, der bei aller Klangkultur nichts unterschlägt an Kraft und dissonierenden Intensität, diese vielmehr erst recht herausgraviert.versteht sich schließlich, dass im hochemotionalen ersten Quartett die Spätestromantik nicht vor sich hin schwitzt, sondern als eine Art zweite „Verklärte Nacht“„klar wie das Weltall schimmert“.
Harmonia Mundi HMM 902240 (77:31)