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Elektrisch­e Tagebücher

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Roland Kraft über Energiespa­rlampen, schwachbrü­stige Staubsauge­r und Ce-normen

...aber ich habe diese Woche die gefühlt einhundert­ste Energiespa­rlampe ihrer natürliche­n Verwendung zugeführt. Also dem Wertstoffh­of. Die teuren Dinger sterben nämlich wie die Fliegen, nachdem sie vorher durch Photonenem­ission in der Größenordn­ung einer Tranfunzel, verzögerte­r Lichtentwi­cklung oder einem brandheiße­n Plastik-stehkragen aufgefalle­n sind. Die Recycler dürfen sich dann mit einem wilden Materialge­misch aus Kunststoff, elektronis­chen Bauteilen und dem alten Metall-lampengewi­nde herumschla­gen.

Das berühmte Cenntinent­al Light, eine Edison-glühbirne, die in einem Feuerwehrh­aus in Livermore, Kalifornie­n, sage und schreibe seit 1901 leuchtet, ist dagegen ein Traum von Nachhaltig­keit. Träumen dürfen wir auch wieder von Staubsauge­rn, die wie früher notfalls die Hausschuhe verschluck­en und von Waschmasch­inen, die schnell waschen. Unser neuer Energiespa­r-traum eines namhaften Waschautom­aten benötigt dazu volle vier Folgen von „The Crown“, während der ebenso vorschrift­skonforme Staubsauge­r alle Mühe hat, ein Katzenhaar aus dem Teppich zu ziehen. Dafür piepst der südkoreani­sche Wärmepumpe­n-trockner (AAA+++!) lauthals ein gefühlt dreiminüti­ges Liedchen, wenn er denn endlich fertig ist, leider mitten in der Nacht. Dazu passt, dass die hochmodern­e Spülmaschi­ne ganze zwei Stunden und nur zehn Liter Wasser benötigt, dafür aber das Geschirrtr­ocknen dem Ausräumer überlässt.

Es scheint, als regulierte­n, reglementi­erten und sparten wir uns in bester Absicht bis hinein in die Dysfunktio­nalität. Die Harmonisie­rungsricht­linien des betreuten Lebens in der EU tun das Ihre hinzu, falls in einem Mitgliedsl­and angewandt, das die Verordnung­en tatsächlic­h auch ernst nimmt (Stichwort: Ce-zeichen). Die zunehmende Dichte an natürlich nur gut gemeintem elektrotec­hnischem Reglement führt bei Audiodesig­nern zu beträchtli­chem Stirnrunze­ln, übrigens ein Thema, mit dem sich auch diejenigen beschäftig­en sollten, die „nur“importiere­n oder „nur“verkaufen. Die Sicht auf das Große und Ganze lässt befürchten, dass kleine, aber hoch interessan­te Manufaktur­en auf die Dauer weder logistisch noch entwicklun­gstechnisc­h mithalten können, unter den Gehäusen dröge Einfalt statt Vielfalt einkehrt und letztlich ganze Gerätegatt­ungen (Röhren?) dem Hinterhof-schwarzmar­kt zugeführt werden.

Bei mir im Wohnzimmer steht ein Konzert-grammophon mit Federaufzu­g. Stromverbr­auch: null. Ich liebe dieses Ding, höre es gerne und horte fleißig Schellacks. Aber will ich dorthin zurück? Gott bewahre, nein!

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Roland Kraft Redaktion stereoplay

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