Das Modul-klavier
Nik Bärtsch will Klarheit haben. Daher gliedert er die Musik in Module, in gestalterische Basiseinheiten, die es ihm ermöglichen, Freiheit auf der Grundlage von Struktur zu entwickeln. Es ist ein theoretisches Konzept, in der Ferne verwandt mit den reduktionistischen Vorstellungen der Minimalisten der Klassik, die jedoch dem Moment der Improvisation skeptisch gegenüberstehen und es daher gestalterisch kaum berücksichtigen. Für den Pianisten und Komponisten Nik Bärtsch hingegen ist dieser Bestandteil essentiell und ein über zahlreiche, wöchentlich ritualisierte Sessions in einem Züricher Jazzclub erforschter Ausgangspunkt für das eigene musikalische Erleben wie auch die Kommunikation mit anderen, die sich auf diese Arbeitsweise einlassen.
Während der vergangenen Jahre war das Bandprojekt Ronin ein Zentrum seiner Experimente, nun komprimiert er sein Modularsystem weiter zu einem Soloprogramm. Die gestalterischen Bestandteile sind ähnlich, Schichtungen aus rhythmisch und melodisch mal gegenläufigen, mal korrespondierenden Linien und Motiven, nicht linear, sondern – sofern innerhalb einer Zeitstruktur überhaupt möglich – eher klangräumlich oder zyklisch gedacht. Der Effekt dieses fortgeschrittenen Baukastensystems ist erstaunlich. Denn die Formalisierung der einzelnen Elemente ermöglicht es, mit Detailspannungen zu arbeiten, die sich bereits aus den Veränderungen der Einzelteile ergeben, ohne dafür auf übliche Mittel wie Pathos, Dynamikkontraste oder ostentative Solo-leistungen zurückgreifen zu müssen. Bärtsch nähert sich damit den mechanischen Experimenten eines Conlon Nancarrow oder György Ligeti, vermeidet aber deren tendenzielle Statik. So passiert auf „Entendre“einerseits ziemlich wenig, andererseits enorm viel. Das macht das im Auditorio Stelio Molo RSI in Lugano klangexquisit aufgenommene Programm zu einem rundum ungewöhnlichen Album.
ECM / Universal (53:20)