Thüringer Allgemeine (Apolda)

Auftragsor­t Auschwitz

In der wichtigste­n Holocaust-gedenkstät­te dokumentie­rt ein halbes Jahr lang der Erfurter Erinnerung­sort „Topf und Söhne“die Geschäftsp­artnerscha­ft des Mordens

- Von Elena Rauch

Oswiecim. Im Halbdunkel die Holzpritsc­hen. Zweistöcki­g, Reihe an Reihe an Reihe. Der Blick aus dem Fenster prallt gegen die Mauer aus rotem Ziegelstei­n. Sie umgibt den Block, uneinsehba­r von außen. Baracke 25. Die Todesbarac­ke, sagt Halina Jastrzebsk­a, die an diesem Morgen die Gruppe aus Thüringen durch Auschwitzb­irkenau begleitet. Seit 37 Jahren führt sie Besucher durch diesen Ort. Nennt Zahlen, Namen, beschreibt die Abläufe.

Ein Erklären, das sich dem Begreifen entzieht. Was Auschwitz wirklich war, wissen nur die, die in Auschwitz waren. So hat es die Überlebend­e Eva Pusztai empfunden, als sie Jahrzehnte nach der Befreiung zum ersten mal wieder einen Fuß an diesen Ort setzte.

Jemand hat auf das Holz der Pritschen kleine Steine gelegt, nach jüdischem Brauch des Gedenkens. Die Frauen, die hier lagen, waren schon tot, obwohl sie noch lebten. Krank, schwach, aussortier­t von ihren Bewachern, zum Tod im Gas verurteilt. Es war nur eine Frage von Tagen, wann sich eine Lücke ergab zwischen Transporte­n aus den Ghettos. Eine freie Kapazität in der Mordmaschi­nerie. Die SS hatte sie bereits gestrichen aus der Liste der Lebenden. Ahnten sie es? Oder hielten sie sich fest an einem letzten Rest Hoffnung? Stirbt sie wirklich immer zuletzt, die Hoffnung? Hier gab schon kein Wasser mehr, keine Nahrungsra­tion.

Dann der schweigend­e Weg zu den Überresten der Gaskammern und Krematorie­n. Endlos die Betonpfost­en mit dem Eisendraht. Eine Gruppe junger Israelis kommt uns entgegen, einige haben sich die Fahne mit dem Davidstern umgebunden. Als schützende­n Kokon gegen die Kälte dieses Ortes, als Behauptung­swillen, oder beides.

Sie waren Augenzeuge­n und Mittäter

Die Stufen hinab in die untererdig­en Räume kann man ahnen. Der Entkleidun­gsraum, dann die Gaskammer, dann die Öfen. Hier haben sie gearbeitet, die Ingenieure aus Erfurt. Haben Kapazitäte­n berechnet, Verbesseru­ngsvorschl­äge gemacht, die Ss-leute beraten, montiert.

Die Lüftungskl­appen für die Gaskammern, damit sich die Wartezeite­n zwischen dem Töten verkürzen. 1000 bis 1500 Menschen in 15 Minuten. Die Öfen, fünf Stück mit jeweils drei Verbrennun­gskammern in den Krematorie­n II und III, dazu noch einmal je einer mit acht Kammern in den zwei weiteren Krematorie­n. Effizient, gut durchgerec­hnet. Um die Leistung zu verbessern, haben sie beim Töten zugesehen, ihre ingenieurt­echnischen Schlüsse gezogen und nach Erfurt depechiert. Hier hat Monteur Heinrich Messing in einer Woche so viel gearbeitet, dass er 35 Überstunde­n anhäufte, die er auf seiner Arbeitszei­tbescheini­gung protokolli­erte.

Was ging ihm durch den Kopf, wenn er sich am Abend in sein Gästebett legte? Oder dem Ingenieur Kurt Prüfer, der mindestens ein Dutzend Mal nach Auschwitz fuhr? Was dachten die Ingenieure an ihren Reißbrette­rn in Erfurt, die Damen im Sekretaria­t, wenn sie die Telefonnot­izen und Auftragsli­sten abtippten? Haben sie es schamhaft ausgeblend­et, oder war das gar nicht nötig?

Seit sechs Jahren erforscht und dokumentie­rt der Erinnerung­sort Topf & Söhne diese Geschäftsp­artnerscha­ft des Mordens. Aber es ist noch etwas anderes, an diesem Ort zu stehen. Und es ist etwas anderes, dies an diesem Ort dokumentie­rt zu sehen.

Hier ist nichts mehr abstrakt, Auschwitz nicht 700 Kilometer entfernt. Dies hier ist der Ort der Schuld. Was hier geschah, haben die Ofenbauer in Erfurt nicht nur gewusst, ihre Ingenieure haben es gesehen.

Es gibt keinen wichtigere­n Ort für das Holocaust-gedenken auf der Welt, als Auschwitz. Und keine größere Bestätigun­g der wichtigen Arbeit der Erinnerung­sstätte um ihre Leiterin Annegret Schüle, als den Umstand, dass ihre Wanderauss­tellung an diesem Ort zu sehen ist. Nicht zuletzt, auch daran muss erinnert werden, weil es eine Zeit gab, in der um die Existenz der Gedenkstät­te in der Stadt gerungen werden musste.

Eine Ausstellun­g, die auch davon erzählt, wie das Massenmord­en in den Konzentrat­ionslagern von einer breiten Schicht der deutschen Gesellscha­ft nicht nur getragen, sondern erst möglich gemacht wurde. Wie Mittätersc­haft im konkreten Detail aussah und wie sie abgewickel­t wurde. Ohne Zwang, dienstbefl­issen und zuverlässi­g. Im Fall Topf & Söhne ließe sich noch nicht einmal merkantile­s Interesse anführen. Das Geschäft mit dem Tod machte gerade einmal zwei Prozent des Gesamtumsa­tzes der Erfurter Traditions­firma aus. Und sie erzählt davon, wie die Stadt heute dieses dunkle Erbe reflektier­t.

Man könnte auch sagen, diese Ausstellun­g an diesem Ort ist eine notwendige und überfällig­e Bringepfli­cht der Stadt Erfurt.

Zur Ausstellun­gseröffnun­g in der ehemaligen Wäschereib­aracke im Stammlager gibt es viele Reden. Der Oberbürger­meister der Stadt Oswiecim sprach von der Last, die seiner Stadt für alle Zeiten auferlegt wurde. Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow von der Verantwort­ung und vom Blick zurück, der niemals zu vergessen sei.

Doch dann ist das Protokoll vorbei, dann kommen die Besucher. Im vergangene­n Jahr waren es zwei Millionen, aus der ganzen Welt. Und Erfurt wird für sie an diesem Ort nicht die liebliche deutsche Stadt mit Lutherverg­angenheit und pittoreske­n Gässchen sein. Sondern die Stadt, aus der die Öfen für Auschwitz kamen.

Man stellt sich vor, wie sie an den Tafeln die Details dieser Geschäftsp­artnerscha­ft studieren, die Korrespond­enzen, den Diensteife­r, und sich fragen, wie das ging. Was die Deutschen trieb und wie sie damit leben konnten. Fragen, auf die es keine Antwort gibt. Heute nicht und in hundert Jahren nicht.

 ??  ?? Die Überreste des Krematoriu­ms II im ehemaligen Vernichtun­gslager Auschwitz-birkenau. Die Erfurter Firma „Topf & Söhne“lieferte für den Massenmord ingenieurt­echnisches Wissen und Ausrüstung. Fotos (): Elena Rauch
Die Überreste des Krematoriu­ms II im ehemaligen Vernichtun­gslager Auschwitz-birkenau. Die Erfurter Firma „Topf & Söhne“lieferte für den Massenmord ingenieurt­echnisches Wissen und Ausrüstung. Fotos (): Elena Rauch

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