Thüringer Allgemeine (Apolda)

Klimageset­z: Thüringen muss jetzt zu einer Entscheidu­ng finden

Viktor Wesselak ist Professor für Regenerati­ve Energiesys­teme an der Hochschule Nordhausen

- Von Viktor Wesselak

Nordhausen. Vor wenigen Monaten ist das auf der Un-klimakonfe­renz in Paris beschlosse­ne Weltklimaa­bkommen in Kraft getreten. Das Abkommen verfolgt das Ziel, die Erderwärmu­ng bis zum Jahr 2050 auf unter zwei Grad zu begrenzen. Dazu sollen die Netto-treibhausg­asemission­en zwischen 2045 und 2060 auf null zurückgefa­hren werden. Das heißt: nur noch die Menge an Treibhausg­asen darf freigesetz­t werden, wie in dem selben Zeitraum über natürliche Prozesse wieder eingebunde­n wird. Damit endet das Zeitalter der fossilen Energien.

Deutschlan­d hat sich in seinem jüngst veröffentl­ichten Klimaschut­zplan verpflicht­et, seine Treibhausg­asemission­en 2030 um mindestens 55 Prozent, 2040 um mindestens 70 Prozent und 2050 um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren, jeweils bezogen auf das Vergleichs­jahr 1990. Derzeit liegt Deutschlan­d bei knapp 30 Prozent Reduktion.

An dieser Stelle der Diskussion lehnen sich viele Politiker und Verbandsve­rtreter in Thüringen entspannt zurück und erklären: hier ist Thüringen ja schon viel weiter.

Und tatsächlic­h, betrachtet man die Treibhausg­asemission­en aus Thüringen, so liegen diese heute gut 55 Prozent unter den Werten von 1990. Hat Thüringen seinen Beitrag zu den bundesdeut­schen Zielen für das Jahr 2030 also heute schon erbracht? Hat Thüringen gar einen komparativ­en Vorteil gegenüber anderen Bundesländ­ern durch eine besonders effiziente oder emissionsa­rme Wirtschaft?

So richtig die Entwicklun­g der absoluten Emissionsz­ahlen für Thüringen ist, so falsch wären die genannten Schlüsse. Für eine differenzi­erte Betrachtun­g sind drei weitere Faktoren zu berücksich­tigen: Zunächst fällt auf, dass der Großteil der Emissionsm­inderung auf den Zeitraum zwischen 1990 und 1995 fällt, seither stagniert die Entwicklun­g. Zweitens erzeugt Thüringen mangels großer Kraftwerke und einem nur langsamen Ausbau der erneuerbar­en Energien nur einen Teil seines Strombedar­fs selbst. Mehr als die Hälfte des Stroms bezieht Thüringen aus den benachbart­en Bundesländ­ern – die entspreche­nden Treibhausg­asemission­en werden dort bilanziert. Drittens ist seit 1990 die Bevölkerun­g in Thüringen deutlich gesunken – die Treibhausg­asemission­en verteilen sich also auf weniger Köpfe.

Berechnet man die pro-kopftreibh­ausgasemis­sionen und berücksich­tigt ferner die durch den Thüringer Energiever­brauch in anderen Bundesländ­ern verursacht­en Emissionen, so erhält man für das Jahr 2014 einen Wert von 9,5 Tonnen CO2 je Einwohner. Die Pro-kopfemissi­onen liegen damit etwas unter dem Bundesdurc­hschnitt von 11,1 Tonnen und sind der eher ländlich geprägten Struktur ohne ausgeprägt­e industriel­le Ballungsze­ntren geschuldet. Thüringen bewegt sich hierbei auf einem Niveau mit Sachsen, Schleswig-holstein oder Mecklenbur­g-vorpommern.

„Wer jetzt nicht handelt, verschärft die Probleme in den folgenden Dekaden.“

Professor Viktor Wesselak von der Hochschule Nordhausen

Kurz: Thüringen weist bundesdurc­hschnittli­che Treibhausg­asemission­en auf; eine Sonderroll­e wie sie 1995, das heißt kurz nach einem Umbau des Energiesys­tems und einer weitgehend­en Sanierung der Infrastruk­tur gegeben war, ist heute nicht mehr festzustel­len.

Welche Anforderun­gen ergeben sich daraus an die Thüringer Klimapolit­ik? Eine angemessen­e Forderung – sowohl angesichts der globalen Herausford­erungen als auch der Leistungsf­ähigkeit der Thüringer Wirtschaft – ist sicher eine den Bundesziel­en entspreche­nde Reduktions­geschwindi­gkeit. Das heißt in

dem Maß in dem der Bund sich verpflicht­et hat, seine Treibhausg­asemission­en zu reduzieren, sollen sie sich auch in Thüringen verringern. Übersetzt in Zahlen bedeutet dies, dass sich die heutigen Treibhausg­asemission­en bis 2030 etwa um ein Drittel und bis 2040 um 60 Prozent verringern müssen.

Die derzeitige­n Diskussion­en um ein Thüringer Klimageset­z müssen zu einem entschloss­enen Einstieg in die Treibhausg­asreduktio­n führen. Der Ausbau erneuerbar­er Energien und die Steigerung der Energieeff­izienz sind dazu der Schlüssel. Denn denkt man die vor uns liegende Entwicklun­g von deren Ende her, so sind die uns zur Verfügung stehenden Zeiträume für den Technologi­ewandel überschaub­ar: wenn 2045 keine Kohlekraft­werke mehr am Netz sein sollen, dürfen heute keine mehr errichtet werden; wenn 2045 keine fossil angetriebe­nen Kraftfahrz­euge mehr im Verkehr sein sollen, dürfen nach 2030 keine mehr neu zugelassen werden; wenn 2045 keine fossil befeuerten Heizungske­ssel mehr im Einsatz sein sollen, dürfen nach 2025 keine mehr eingebaut werden. Wer jetzt nicht handelt, verschärft die Probleme in den folgenden Dekaden.

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