Allerhöchste Spielkultur
John Scofield setzt im Arena-Konzert punktgenau die Akzente und hält den mächtigen Drive am Laufen
Jena. Er hat mit Miles Davis auf der Bühne und im Studio gestanden, damals in den Achtzigerjahren. Das war der Ritterschlag. „Star People“, „Decoy“und „You’re Under Arrest“hießen die Platten. Längst war der Prince of Darkness in seiner elektrischen Phase angekommen und konsolidierte seine Leidenschaft für den Rock. Da kam er nicht mehr ohne Gitarristen aus. Die er wählte, zählten stets zu den Besten. Heute erweist sich wie noch nie zuvor, wie folgenreich diese große Rückholaktion eines Instruments war. Gitarristen dominieren den aktuellen Jazz, sodass die diesjährigen Leipziger Jazztage sie im Oktober ins Zentrum ihres Programms stellen werden. In der Rock- und Popmusik neigt das Instrument zu Eindimensionalität und Vorhersehbarkeit, die aktuell durch eine Vielzahl von Gitarristen aus den Grenzbereichen der Genres überwunden werden. Die Gitarre ist wieder für Höheres brauchbar. Der 65-jährige Amerikaner John Scofield war am Beginn seiner Dreißigerjahre zur Stelle und blieb es seither. Er ist in diesem Kontext neben Bill Frisell, Pat Metheny und Marc Ribot einer der Stars des Jazz.
Auf seinen Auftritt während der Kulturarena also durfte man aus vielerlei Gründen mehr als gespannt sein. Und er enttäuschte nicht im mit gut tausend Besuchern ordentlich gefüllten Rund vor dem Jenaer Theaterhaus. Scofield besitzt ein extrem sicheres Gespür für weit ausgreifende Improvisationslinien, die zwischen Blues, Bebop, Funk und Rock changieren. Er hat einen eigenen und wiedererkennbaren Sound entwickelt und spielt rhythmisch enorm elastisch, wobei sein Ton von schneidender Schärfe ist. Aus dem Moment heraus entwickelt er seine tragfähige Fantasie in langen solistischen Girlanden. Enorm stilsicher, ist er weit mehr als nur ein versierter, alles könnender und in seinem Gruppenspiel ideenpraller Musiker. Seine Läufe sind bei aller Vorhersagbarkeit voller die Entwicklung der Ideen vorantreibender frappierender Finten. Seine weit ausholenden Chorusse haben eine überzeugende Balance voller logischer Wendungen, die den unnachahmlichen Fluss steigern und stützen.
So ist er auch in Jena der unbestrittene Boss seines Überjam Quartetts. Schlagzeuger Dennis Chambers, die zweite Jazz-Legende, die man an diesem milden Abend erleben darf, wird zwar immer mal wieder in kurzen Solopassagen gefeatured, demonstriert aber vor allem sein oft gepriesenes enorm gruppendienliches Drumming, das seinen Druck auch aus der verdoppelten Bass Drum bezieht. Er setzt Akzente punktgenau und hält den mächtigen Drive am Laufen, über dem Chef Scofield abheben kann. Rock-Bassist Andy Hess und Gitarrist Avi Bortnick, der auch Samples und gelegentliche KeyboardVersatzstücke ein wenig aufgesetzt hinzufügt, komplettieren die Überjam-Crew, bleiben aber doch Sekundanten.
Eigentlich ist das die unschlagbare Besetzung: zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug. Entspannt und wie zurückgelehnt entwickelt John Scofield mit ihr seine ziseliert groovenden Gespinste. Keinen Ton spielt er zuviel, doch jeder sitzt und geht in die Beine. Irgendwie ist das auch eine Abrechnung mit der Mär, ein Jazzmusiker müsse sich über hoch komplexe, virtuos verästelte Solos definieren. Scofield umtänzelt viel mehr seine Essenzen. Von Miles Davis hat er gelernt, dass man auf den Punkt kommen muss. Den kann man ja dann umspielen, drehen und wenden. So entsteht positive Musik auf felsenfesten Rhythmen.
So entsteht auch in Jena zugeneigte Bewegung im Publikum. Euphorie entsteht nicht. Ohne Wenn und Aber spult Scofield sein südstaatengrundiertes Programm ab, brillant, drängend und in allerhöchster Spielkultur. Die Gitarristen im Publikum bewundern einen ihrer Götter. Der große Rest steht und sitzt gut unterhalten und dann doch bald vertraut mit dieser qualitativ hohen Endlosschleife und beginnt vor sich hin wippend sich zu unterhalten. John Scofield ist ein grandioser Handwerker, ein Charismatiker ist er nicht. „Have a Good Time“, hatte er die Audienz am Beginn eingeladen.
Die hatten die Leute, weil er wirklich alles kann, auch den immer wieder dezenten Wechsel der Stilrichtungen. Es gibt Blues, Funk, Dub, Rock und natürlich Jazz. Was es nicht gibt, ist die Aufladung des Programms mit Dreck und Dringlichkeit, wie das zum Beispiel Marc Ribot vermag, oder die Offenlegung einer manchmal auch sperrigen Individualität wie bei Bill Frisell. Bei Scofield klingt alles immer auch einen Tick nach Routine, wenn er seine Gitarrengeschichten abschnurrt. Das ist keine aufgeregte und auch keine sich über etwas aufregende Musik. Scofield ist und bleibt ein Musician’s Musician, allerdings einer der besten, erst recht in seiner jetzigen Phase, wo er nichts mehr beweisen muss.