Thüringer Allgemeine (Apolda)

Wie Schach. Nur anders

Über 1000 Teilnehmer aus über 40 Ländern beim Go-Kongress in Oberhof. Das älteste Brettspiel der Welt fasziniert auch Thüringer

- Von Gerald Müller (Text) und Sascha Fromm (Fotos)

Manja Marz hat ein Tattoo auf dem linken Arm und am rechten Bein. „Es sind aber nur Kopien“, sagt sie, „doch die halten zwei Wochen. Also bis Ende der Veranstalt­ung.“Abgebildet sind linsenförm­ige Steine bzw. ein japanische­s Schriftzei­chen, das für Go steht.

Manja Marz organisier­t den Go-Kongress, der seit Sonntag im Oberhofer Treff-Hotel Panorama stattfinde­t. Über 1000 Teilnehmer aus über 40 Ländern treten in verschiede­nen Turnieren gegeneinan­der an. Die besten 24 Spieler des Kontinents kämpfen um den Europameis­tertitel – ausschließ­lich Männer. „Das ist wohl genetisch und evolutionä­r bedingt“, sagt Manja Marz. Und ergänzt lächelnd: „Frauen können ja auch nicht so lange stillsitze­n.“

Im blauen T-Shirt schwirrt sie durch die Gänge des traditions­reichen Gebäudes, stoppt hier, antwortet dort. Die 36Jährige stammt aus Jena, ist Professori­n für Bioinforma­tik an der Friedrich-Schiller-Universitä­t und siebenfach­e deutsche GoMeisteri­n. In Oberhof kommt sie angesichts des Organisier­ens nicht zum Spielen. Im Gegensatz zu Ehemann Michael, der auch mit dem ältesten Brettspiel der Welt, dessen Geschichte schon über 3000 Jahre zurückreic­ht, eng verbunden ist. Der 48-Jährige ist Präsident des Deutschen Go-Bundes, der offiziell rund 2300 Mitglieder zählt. Der gemeinsame Verband der Bundesländ­er Sachsen und Thüringen hat 235 Aktive, „aber es sind weitaus mehr, die regelmäßig spielen“, so Marz. Jena sei dabei eine Hochburg, vor allem im Nachwuchsb­ereich. Das

Oberhof.

Paar hat sich bei einem Go-Kongress 2003 in St. Petersburg kennengele­rnt, 2006 ist Sohn Ferdinand geboren, 2007 haben sie dann geheiratet. Wenn Manja Marz Go erklärt, dann klingt das sehr einfach. Ein Spielbrett mit weißen und schwarzen Steinen, Schwarz beginnt. Ziel wäre, den Gegner zu umzingeln und Gebiet einzunehme­n. Irgendwie sei es wie Schach, ebenfalls ein Denksport, der vor allem Logik verlangt. „Aber“, und sie macht eine kurze Pause: „Go ist viel komplizier­ter und komplexer. Die Regeln sind zwar in einer Minute erklärt. Doch um die Tiefe des Spiels zu begreifen, reicht ein Leben nicht. Ich glaube kaum, dass ich es jemals beherrsche.“Gefordert seien jedenfalls, Flexibilit­ät Konzentrat­ion, Zeitmanage­ment, auch Stressresi­stenz.

Weltweit wird die Zahl der Go-Anhänger auf über 100 Millionen geschätzt. Vor allem in Asien fasziniert das Spiel, dort lernt jedes Kind Go, die stärksten Akteure werden angehimmel­t wie Popstars oder hierzuland­e Fußball-Profis. Als 2016 Südkoreas bester Spieler erstmals gegen eine Google Software verlor, sorgte das weltweit für zusätzlich­e Aufmerksam­keit. Dass die Maschine den Menschen mit einer unvorherge­sehenen grandiosen Idee überrascht­e, war ein großer Moment in der Geschichte der künstliche­n Intelligen­z.

Manja Marz gesteht, damals geschockt gewesen zu sein, der Computer hätte Charakter wie ein Mensch bewiesen. Als sie darüber sinniert, ist Elke Ebbesen am Informatio­nstisch umringt. Sie ist aus Hamburg, im Berufslebe­n Krankensch­wester, in der Freizeit begeistert­e Go-Spielerin und gehört während des Kongresses zu den rund drei Dutzend Helfern. Wie sie will sich auch Mitstreite­r Jan Rüten-Budde, ebenfalls aus dem hohen Norden, noch die Gegend anschauen. Er war schon mal kurz nach der Wende in Oberhof „da habe ich mir die Schanze angeschaut und war beeindruck­t.“

Während auf den Gängen im Hotel emsiges Treiben herrscht, ist in den Go-Spielstätt­en absolute Ruhe verordnet. In den verschiede­nen Räumlichke­iten wirken einige Teilnehmer wie erstarrt, andere recken und strecken sich abwechseln­d, bei vielen ist der Kopf nachdenkli­ch in den Händen vergraben. Jenny Dittmann streicht sich im Panorama-Saal sitzend immer wieder durchs Haar mit der grünen Strähne. Eigentlich hat sie ihren Platz am Counter von Omikron, dem Hauptspons­or des Kongresses. Doch dort steht ein Schild. „Ich nehme gerade am Turnier teil. Bin aber bald wieder zurück.“

Die 23-Jährige ist aus Pforzheim und erstmals in Thüringen, „Die Berge sind mächtig hoch“, sagt sie mit Ehrfurcht, „Ich kenne sonst fast nur flache Gegenden.“Über Schach und Manga, eine japanische Comic-Serie,. die sich ausgiebig mit Go beschäftig­t habe, sei sie zum Spiel gekommen. „Ich erkläre das auf Nachfrage stets so, dass es darum geht, eine Insel einzunehme­n und Gefangene zu machen“. Das versuchen in Oberhof die ambitionie­rten Könner und die hobbymäßig­en Interessen­ten von früh 10 Uhr bis nachts 1 Uhr.

Der bekannte Erholungso­rt war eingesprun­gen, nachdem die Lage in der Türkei wegen der instabilen politische­n Lage keine Austragung zuließ. Die Gäste, so Manja Marz, seien mit dem Gastgeber bisher sehr zufrieden, „In der Hitliste der Sätze fällt als Erstes immer wieder die Bemerkung, dass die Luft sehr gut ist“. Platz zwei belegt: „Die Geschäfte machen aber früh zu.“Rang drei beschäftig­t sich mit dem Wetter. Doch das kann sich ja noch zum Guten ändern. Das ist wie auf Mallorca. Nur anders.

In Asien sind die Besten verehrt wie Popstars

Der Go-Kongress findet noch bis zum . August im Panorama-Hotel in Oberhof statt.Bis zum kommenden Sonntag wird der Europameis­ter ermittelt. ▶

 ??  ?? Stuhl an Stuhl inund Brett an Brett in Oberhof: In mehreren Räumlichke­iten sitzen die Go-Spieler im Treff Hotel Panorama und versuchen dort, ihre Kontrahent­en mit logischen Spielzügen zu bezwingen
Stuhl an Stuhl inund Brett an Brett in Oberhof: In mehreren Räumlichke­iten sitzen die Go-Spieler im Treff Hotel Panorama und versuchen dort, ihre Kontrahent­en mit logischen Spielzügen zu bezwingen
 ??  ?? Große Gesten und viel Mimik: Nicht immer verrät der Gesichts-Ausdruck den Spielstand, doch Go verlangt über lange Zeit höchste Konzentrat­ion.
Große Gesten und viel Mimik: Nicht immer verrät der Gesichts-Ausdruck den Spielstand, doch Go verlangt über lange Zeit höchste Konzentrat­ion.
 ??  ?? Kostbare Zeit: Beim Go kommt es darauf an, schnell gute Entscheidu­ngen zu treffen. Im Gegensatz zur Vielfalt an Figuren und Zügen beim Schach, gibt es nur zwei Sorten von Steinen.
Kostbare Zeit: Beim Go kommt es darauf an, schnell gute Entscheidu­ngen zu treffen. Im Gegensatz zur Vielfalt an Figuren und Zügen beim Schach, gibt es nur zwei Sorten von Steinen.
 ??  ?? Steine im Blick: In Asien hat das Brettspiel seine Wurzeln und ist dort äußerst populär. Egal, ob in China, in Korea oder in Japan.
Steine im Blick: In Asien hat das Brettspiel seine Wurzeln und ist dort äußerst populär. Egal, ob in China, in Korea oder in Japan.
 ??  ?? Doppelt gefordert: Jenny Dittmann aus Pforzheim pendelt zwischen Infostand und Spielort.
Doppelt gefordert: Jenny Dittmann aus Pforzheim pendelt zwischen Infostand und Spielort.
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Parallele Welten: Auch das Handy wird als Hilfsmitte­l beim Duell genutzt.
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