Wildschwein muss vom Sofa
Im Juni rettet Waldemar Soff einem Frischling das Leben. Nun will das Ordnungsamt ihm das Halten des Tieres versagen
Ilfeld.
Borsty lässt kein Gras mehr wachsen im Garten. Dafür gibt es jetzt hier Suhlen, und die Bäume dienen dem Wildschwein zum Scheuern. Binnen weniger Tage hat es das Tier geschafft, im Mittelpunkt des Lebens von Waldemar Soff zu stehen. Doch Ärger steht ins Haus. Ein Wildschwein mitten im Ort: Das geht nicht, sagt das Ordnungsamt der Gemeinde.
Waldemar Soff schwankt zwischen Wut und Verzweiflung: „Soll ich das Tier abschießen lassen? Es ist doch wie mein Kind.“
Nicht größer als ein Toastbrot sei das Wildschwein gewesen, als es ein Jäger aus der Nachbarschaft zu ihm in die Uferstraße bringt. Auf seinem Grundstück an der Bere habe er das Kleine am Misthaufen gefunden, erst sieben bis zehn Tage alt. Ob er es nicht großziehen könne, erinnert sich Soff an die Worte des Jägers. „Ich hatte immer mit Tieren zu tun. Seit 1974 wohne ich hier, hatte schon Hausschweine und Schafe, Enten, Hühner. Auch einen Hasen habe ich schon großgezogen.“
Der 56-Jährige nimmt sich des jungen Tiers an. Weil es röchelt, fährt er mit ihm zum Tierarzt. Der hilft mit zwei Spritzen, die Lungenentzündung zu besiegen. Daheim gibt Soff dem Wildschwein die ersten Wochen alle zwei bis drei Stunden das Milchfläschchen, auch nachts.
Als es über den Berg ist, macht der Ilfelder einen Teil seines Gartens zum Außengehege. Die Kleinen vom Kindergarten bleiben fasziniert am Zaun stehen, singen das Schweinchenlied.
Mit nunmehr acht Monaten wiegt Borsty stattliche 45 Kilogramm, ist mehr als einen Meter lang. Kartoffeln, Haferflocken, Möhren, Äpfel und Mais schmecken. Tagsüber döst das Wildschwein gern im Stall, abends wird es aktiv. „Jeden Abend gehe ich 19 bis 22 Uhr mit ihm im Garten raus.“
Eine anonyme Anzeige lässt das Ordnungsamt von Harztor im Januar hellhörig werden. Ein Schreiben an Waldemar Soff lässt nicht lange auf sich warten. Ein Wildschwein sei ein gefährliches Tier gemäß Thüringer Wildtier-Verordnung. Die Haltung sei laut Gesetz zum Schutz der Bevölkerung vor Tiergefahren erlaubnispflichtig.
Auch das Veterinäramt des Landkreises schaltete sich ein, kündigte in einem Kontrollbericht tierschutz- und tierseuchenrechtliche Auflagen an. Doch dazu wird es nicht kommen. Zuständig sei allein das Ordnungsamt, lässt das Landratsamt auf TA-Nachfrage wissen. Und dieses ist gegen die Haltung des Wildschweins.
Gefährliche Tiere könnten nur gehalten werden, wenn ein beruflicher oder besonderer wissenschaftlicher Bedarf vorliege. Da diese Voraussetzung nicht erfüllt sei, reduziere sich das Ermessen für die Entscheidung auf Null, erklärt Ordnungsamtsleiterin Monika Klement. Demnächst soll der schriftliche Bescheid ergehen. Das Tier müsse – unter angemessener Frist – abgeschafft werden.
Die Amtsmitarbeiterin habe das Wildschwein nie gesehen, sich nie das Grundstück angeschaut, ärgert sich Waldemar Soff über die Entscheidung vom Schreibtisch aus. Sein Wildschwein sei an den Menschen gewöhnt, liege sogar gelegentlich auf seinem Sofa, abends beim Fernsehen.
Borsty sei nicht gefährlich. Ohnehin sei das Tier nur in seinem Beisein im Garten. Den Stall hat er mit zwei Riegeln, einem Schloss und diversen Bretten und Stöcken gesichert. Den Grundstückszaun würde er bei Bedarf erhöhen, vielleicht sogar einen Sachkundenachweis für die Wildtierhaltung erwerben.
Unmöglich erscheint ihm indes, dass das Tier andernorts eine Zukunft bekommt. Diverse Bekannte, die Wildgehege haben, hätten abgewunken, auch wegen der afrikanischen Schweinepest. „Und aussetzen kann ich das Wildschwein nicht, eine fremde Rotte würde es nicht annehmen.“
Wie auch immer der Streit ausgehe: In den nächsten Tagen will er eine Glocke an den Gartenzaun bauen. Wer Borsty sehen will, soll sich bemerkbar machen können.