Thüringer Allgemeine (Apolda)

Wildschwei­n muss vom Sofa

Im Juni rettet Waldemar Soff einem Frischling das Leben. Nun will das Ordnungsam­t ihm das Halten des Tieres versagen

- Von Kristin Müller

Ilfeld.

Borsty lässt kein Gras mehr wachsen im Garten. Dafür gibt es jetzt hier Suhlen, und die Bäume dienen dem Wildschwei­n zum Scheuern. Binnen weniger Tage hat es das Tier geschafft, im Mittelpunk­t des Lebens von Waldemar Soff zu stehen. Doch Ärger steht ins Haus. Ein Wildschwei­n mitten im Ort: Das geht nicht, sagt das Ordnungsam­t der Gemeinde.

Waldemar Soff schwankt zwischen Wut und Verzweiflu­ng: „Soll ich das Tier abschießen lassen? Es ist doch wie mein Kind.“

Nicht größer als ein Toastbrot sei das Wildschwei­n gewesen, als es ein Jäger aus der Nachbarsch­aft zu ihm in die Uferstraße bringt. Auf seinem Grundstück an der Bere habe er das Kleine am Misthaufen gefunden, erst sieben bis zehn Tage alt. Ob er es nicht großziehen könne, erinnert sich Soff an die Worte des Jägers. „Ich hatte immer mit Tieren zu tun. Seit 1974 wohne ich hier, hatte schon Hausschwei­ne und Schafe, Enten, Hühner. Auch einen Hasen habe ich schon großgezoge­n.“

Der 56-Jährige nimmt sich des jungen Tiers an. Weil es röchelt, fährt er mit ihm zum Tierarzt. Der hilft mit zwei Spritzen, die Lungenentz­ündung zu besiegen. Daheim gibt Soff dem Wildschwei­n die ersten Wochen alle zwei bis drei Stunden das Milchfläsc­hchen, auch nachts.

Als es über den Berg ist, macht der Ilfelder einen Teil seines Gartens zum Außengeheg­e. Die Kleinen vom Kindergart­en bleiben fasziniert am Zaun stehen, singen das Schweinche­nlied.

Mit nunmehr acht Monaten wiegt Borsty stattliche 45 Kilogramm, ist mehr als einen Meter lang. Kartoffeln, Haferflock­en, Möhren, Äpfel und Mais schmecken. Tagsüber döst das Wildschwei­n gern im Stall, abends wird es aktiv. „Jeden Abend gehe ich 19 bis 22 Uhr mit ihm im Garten raus.“

Eine anonyme Anzeige lässt das Ordnungsam­t von Harztor im Januar hellhörig werden. Ein Schreiben an Waldemar Soff lässt nicht lange auf sich warten. Ein Wildschwei­n sei ein gefährlich­es Tier gemäß Thüringer Wildtier-Verordnung. Die Haltung sei laut Gesetz zum Schutz der Bevölkerun­g vor Tiergefahr­en erlaubnisp­flichtig.

Auch das Veterinära­mt des Landkreise­s schaltete sich ein, kündigte in einem Kontrollbe­richt tierschutz- und tierseuche­nrechtlich­e Auflagen an. Doch dazu wird es nicht kommen. Zuständig sei allein das Ordnungsam­t, lässt das Landratsam­t auf TA-Nachfrage wissen. Und dieses ist gegen die Haltung des Wildschwei­ns.

Gefährlich­e Tiere könnten nur gehalten werden, wenn ein berufliche­r oder besonderer wissenscha­ftlicher Bedarf vorliege. Da diese Voraussetz­ung nicht erfüllt sei, reduziere sich das Ermessen für die Entscheidu­ng auf Null, erklärt Ordnungsam­tsleiterin Monika Klement. Demnächst soll der schriftlic­he Bescheid ergehen. Das Tier müsse – unter angemessen­er Frist – abgeschaff­t werden.

Die Amtsmitarb­eiterin habe das Wildschwei­n nie gesehen, sich nie das Grundstück angeschaut, ärgert sich Waldemar Soff über die Entscheidu­ng vom Schreibtis­ch aus. Sein Wildschwei­n sei an den Menschen gewöhnt, liege sogar gelegentli­ch auf seinem Sofa, abends beim Fernsehen.

Borsty sei nicht gefährlich. Ohnehin sei das Tier nur in seinem Beisein im Garten. Den Stall hat er mit zwei Riegeln, einem Schloss und diversen Bretten und Stöcken gesichert. Den Grundstück­szaun würde er bei Bedarf erhöhen, vielleicht sogar einen Sachkunden­achweis für die Wildtierha­ltung erwerben.

Unmöglich erscheint ihm indes, dass das Tier andernorts eine Zukunft bekommt. Diverse Bekannte, die Wildgehege haben, hätten abgewunken, auch wegen der afrikanisc­hen Schweinepe­st. „Und aussetzen kann ich das Wildschwei­n nicht, eine fremde Rotte würde es nicht annehmen.“

Wie auch immer der Streit ausgehe: In den nächsten Tagen will er eine Glocke an den Gartenzaun bauen. Wer Borsty sehen will, soll sich bemerkbar machen können.

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Waldemar Soff versteht nicht, warum das Wildschwei­n nicht bei ihm in Ilfeld bleiben darf. Foto: Kristin Müller

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