Soldaten im Schulbus: Meine Jugend im Sperrgebiet
Erinnerungen an die Heimat an der innerdeutschen Grenze
Grabfeld.
Es liegt eine beschauliche Landschaft zwischen Rhön und Thüringer Wald, das Grabfeld. Ich wurde 1950 dort geboren und lebte viele Jahre dort. Oft werden jedoch schlimme Erinnerungen wach, etwa an die Kontrollen des Schulbusses durch schwer bewaffnete Grenzsoldaten.
Als mein Dorf in das sogenannte Sperrgebiet eingegliedert wurde, waren die Konsequenzen für die Bewohner einschneidend, auch wir Kinder erlebten das hautnah. Zunächst bekamen alle Bewohner über 18 Jahre einen blauen Stempel in ihren Personalausweis gedrückt, die Bewohner in den Ortschaften unmittelbar an der Grenze hatten denselben schon länger in roter Farbe. Dieser wurde bei jeder sich bietenden Gelegenheit geprüft.
Wer als Bewohner Besuche von Angehörigen von außerhalb des Sperrgebietes empfangen wollte, musste für diese einen Passierschein langfristig vorher beantragen. Dieser wurde dann nicht im Selbstlauf ausgestellt, sondern nach vorheriger intensiver Prüfung und natürlich nur bei sehr besonderen Anlässen, wie etwa einem Todesfall, einer Hochzeit oder einer Jugendweihe. Es ist daher auch schon mal vorgekommen, dass ein Trauergottesdienst verschoben werden musste, weil nächsten Angehörigen noch kein Passierschein ausgestellt worden war. Auch fanden Familienfeiern anlässlich einer Konfirmation oder Kommunion des Öfteren ohne Angehörige aus Orten von außerhalb des Sperrgebietes statt.
Öffentliche Veranstaltungen im Freien waren untersagt, eine Ausnahme bildete für unseren Ort das jährlich zu Pfingsten stattfindende Waldfest an der Lutherlinde (bei gutem Wetter mit freier Sicht auf die bayerischhessische Rhön). Private Feierlichkeiten in größerem Rahmen mussten angezeigt werden.
Die sogenannte Polizeistunde für alle Haushalte und Personen begann um 22 Uhr. So war eine sehr gedrückte, fast hoffnungslose Stimmungslage entstanden. Im Februar 1964 hörten wir Explosionsgeräusche, der eisige Wind hatte sie deutlich herübergetragen. „Was wir eben gehört haben, waren Provokationen der Bonner Ultras, ist das allen klar“, erklärte der Lehrer in sehr deutlicher Ansprache. Abends, im bayerischen Regionalfernsehen, wurde über das Geschehene informiert. Zwei Männer waren beim missglückten Fluchtversuch aus der DDR von Minen schwer verletzt worden.
Und auch an eine Episode kurz vor Weihnachten 1971 erinnere ich mich noch. Ich war Student in Berlin und auf der Heimfahrt zu meinen Eltern. Auf einem Bahnhof im Sperrgebiet wurde ich von Grenzern mit vorgehaltener Maschinenpistole bis auf die Unterhose gefilzt, trotz des Stempels im Ausweis, der schon während der Zugfahrt von Transportpolizisten geprüft worden war. Wahrscheinlich fiel ich wegen meiner etwas längeren Haare auf, zudem trug ich einen grünen Parka und LevisJeans. Nicht nur dieses Erlebnis hatte meine negative Einstellung zum Staat wesentlich geprägt. Im August 1972 wurde mein Heimatort aus dem Sperrgebiet entlassen. Was war das für eine fürchterliche Zeit. Den Todesstreifen mit den Minen gab es immer noch, nur die Selbstschussanlagen waren abgebaut worden, man brauchte Geld vom Klassenfeind.
Umso schöner ist die Schaffung eines „Grünen Bandes“entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Die Ausrichtung auf ein Refugium für seltene und gefährdete Tiere und Pflanzen darf jedoch nicht die Kernaussage überdecke, dass sich mitten in Deutschland ein todbringender Streifen zweckentfremdeter Natur befand.
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Harald Neubacher ist DiplomWirtschaftler und schreibt für die Seniorenseite der TA.