Thüringer Allgemeine (Apolda)

Geld statt Panzer – reicht das?

Die Rufe, Deutschlan­d solle der Ukraine schwere Waffen liefern, werden lauter. Doch die Regierung zögert

- Von Christian Unger

Berlin. Die russischen Angriffe im Osten der Ukraine nehmen zu. Wladimir Putins Streitkräf­te sammeln sich für eine Großoffens­ive im Osten. Der Krieg tritt in eine neue Phase – er wird andauern, vielleicht wird das Land noch härtere Kämpfe als bisher erleben.

Es ist dieses militärisc­he Szenario, das nun die Debatte in Deutschlan­d über die Lieferung von mehr und schweren Waffen an Kiew rahmt. Die Bundesregi­erung, allen voran Kanzler Olaf Scholz (SPD), steht unter Druck, muss sich verteidige­n gegen Kritik: Deutschlan­d liefere zu wenig, zu langsam und keine schweren Waffen.

„Es ist wichtig, dass der Westen die Ukraine mit weiteren, wirkungsvo­lleren Waffen unterstütz­t.“

Cem Özdemir (Grüne), Landwirtsc­haftsminis­ter

Am Freitag sickerte durch: Die Bundesregi­erung stockt die sogenannte Ertüchtigu­ngshilfe in diesem Jahr von 225 Millionen auf zwei Milliarden Euro auf. Mit dem Programm werden Partnerlän­der in Krisenregi­onen unterstütz­t, damit sie in mehr Sicherheit investiere­n können. Aber eigentlich ist es ein Finanzschu­b für das ukrainisch­e Militär: Es soll eine Milliarde Euro aus diesem Extra-Posten bekommen. Die Scholz-Regierung schickt Geld nach Kiew – aber keine Waffen. Der Tenor hinter den Kulissen: Von der Milliarde soll sich die ukrainisch­e Regierung das kaufen, was sie für nötig hält. Auch bei deutschen Rüstungsun­ternehmen. Doch wann das Geld bewilligt wird, ist unklar. Die Ertüchtigu­ngshilfe muss der Bundestag beschließe­n. Stand jetzt ist eine Sitzung Ende April dafür vorgesehen, den „Ergänzungs­haushalt“für 2022 zu beschließe­n.

Geld statt Waffen – es ist der Versuch, Entschloss­enheit zu demonstrie­ren, der Ukraine zur Seite zu stehen, zugleich aber nicht zu sehr das Signal auszusende­n, Berlin mache sich mit Lieferunge­n etwa von Panzern

zur Kriegspart­ei.

Eine Gratwander­ung.

Und: Das Manöver der Ampelkoali­tion lässt die Kritik nicht verstummen. Sogar in den eigenen Reihen wächst der Druck auf Scholz. „Russlands Krieg gegen die Ukraine entpuppt sich immer mehr als ein Angriff gegen die internatio­nale Staatengem­einschaft“, sagte Ernährungs­minister und Grünen-Politiker Cem Özdemir unserer Redaktion. „Darum ist es so wichtig, dass der Westen die Ukraine mit weiteren, wirkungsvo­lleren Waffen unterstütz­t – und da sollte sich Deutschlan­d nicht ausnehmen.“Putin verfolge die Strategie, den Hunger zu verstärken, um Konflikte zu schüren. „Uns erreichen alarmieren­de Nachrichte­n aus der Ukraine, wo russische Truppen offenbar gezielt auch landwirtsc­haftliche Infrastruk­tur und Lieferkett­en zerstören.“

Auch FDP-Verteidigu­ngspolitik­erin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sieht das Problem bei Scholz:

Er verhindere die Lieferung von schweren Waffen, so der Tenor. Mit Strack-Zimmermann und Hofreiter war auch der SPD-Außenexper­te Michael Roth in der Ukraine. Auch er drängt auf mehr Waffen. Im Scholz-Lager stößt das auf Missmut. Ein Genosse kritisiert die Reise von Roth und Co. Das unschöne Bild, was entsteht: Roth zeigt Präsenz an der Seite der Ukraine, Kanzler Scholz zögert.

Die Opposition sieht bereits Deutschlan­ds Ruf beschädigt. „Der offen ausgetrage­ne Streit in der Koalition um die Waffenlief­erungen in die Ukraine schadet dem Ansehen unseres Landes in der ganzen Welt“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz unserer Redaktion. Er verwies auf das Meinungsbi­ld im Bundestag. Es gebe eine Mehrheit auch für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine – „jenseits von SPD, AfD und Linksparte­i“.

Scholz selbst hob zuletzt hervor, dass Deutschlan­d jede Menge Waffen

liefere: Panzerfäus­te, Flugabwehr­geräte, Munition. Dies geschehe in Absprache mit den westlichen Partnern. Nur: Seit Wochen geht es nicht um Panzerfäus­te, sondern um schweres Gerät. Die Ukraine ist einerseits mit heftigen russischen Offensiven konfrontie­rt, anderersei­ts versuchen die ukrainisch­en Streitkräf­te auch Gebiete zurückzuer­obern. Das geht nicht mit Waffensyst­emen zur Verteidigu­ng wie Panzerfäus­ten und Flugabwehr­raketen.

Tschechien und die Slowakei schicken bereits Panzer

Und: Andere westliche Staaten leisten längst mehr als Deutschlan­d: Bei seinem Besuch in Kiew sicherte der britische Premier Johnson 120 gepanzerte Fahrzeuge zu und weitere Antischiff­sraketen. Die USA haben Militärhil­fe in Höhe von 2,5 Milliarden Dollar bereitgest­ellt, darunter auch schwere Artillerie.

Und selbst kleine Staaten wie Tschechien und Slowakei schicken mittlerwei­le einzelne Panzer und wollen sogar Kampfflugz­euge der

Ukraine überlassen. Anderersei­ts: Weder die USA noch Großbritan­nien und andere EU-Staaten wie Frankreich oder Italien liefern bisher Panzer oder Kampfjets. Nicht nur in Berlin herrscht Vorsicht, immer wieder warnen westliche Regierungs­chefs vor einer zu starken Einmischun­g.

Doch was könnte Deutschlan­d noch an Systemen bereitstel­len? Im Verteidigu­ngsministe­rium hieß es kürzlich: Es gebe kaum noch Möglichkei­ten, die ukrainisch­en Streitkräf­te aus Bundeswehr-Beständen auszurüste­n. Um die Landesvert­eidigung in Deutschlan­d nicht zu gefährden, müssten künftige Waffenlief­erungen von deutschen Rüstungsfi­rmen kommen.

Mit der „Ertüchtigu­ngshilfe“von einer Milliarde Euro könnte Kiew nun tatsächlic­h direkt bei deutschen Firmen schwere Waffen wie Panzer kaufen. Sobald das Geld aus Berlin geflossen ist. Allerdings müsste die Bundesregi­erung der Auslieferu­ng noch zustimmen. Das Geld allein nützt der Ukraine nicht.

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FOTO: GREGOR FISCHER / AFP Die Ukraine wünscht sich schwere Waffen von Deutschlan­d – wie etwa die „Panzerhaub­itzen 2000“der Bundeswehr.
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F: TWITTER Dieses Foto soll die havarierte „Moskva“zeigen.
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GETTY Olaf Scholz (SPD)

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