Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Premier May: Es gibt kein Zurück

Großbritan­nien startet den Prozess des EU-Austritts – aber wer wird Gewinner, wer Verlierer sein?

- Von Jochen Wittmann und Knut Pries Michael Backfisch über den EU-Austritt Großbritan­niens

Brüssel/London.

Neun Monate nach dem Brexit-Referendum hat der Countdown zum EUAustritt Großbritan­niens begonnen. In zwei Jahren sollen die Einzelheit­en der Trennung unter Dach und Fach sein. Am Mittwoch traf der von Premiermin­isterin Theresa May unterzeich­nete Brief in Brüssel ein. Die Regierung in London hatte darin den Artikel 50 des EU-Vertrags angerufen, der den Austritt aus der Gemeinscha­ft regelt.

„Das ist ein historisch­er Moment, von dem es kein Zurück geben wird“, sagte May in London im Parlament. Sie versprach, Großbritan­nien werde auch nach dem Brexit weiter Europas „bester Freund und Nachbar sein“. Ihr Land strebe einen „reibungslo­sen und geordneten“EU-Austritt an. Am 29. April treffen sich die EU-Staatsund Regierungs­chefs zunächst zu einem Sondergipf­el. Dort wollen sie die Leitlinien für die Unterhändl­er der EU-Kommission verabschie­den. Ein Überblick über vier Szenarien für einen Verhandlun­gsausgang: Austritt formell vollzogen ist. Im Zuge der Verhandlun­gen dämmert der Regierung in London, dass der Brexit ein wirtschaft­licher Holzweg ist. Wichtige Politiker kündigen May die Gefolgscha­ft. Die bedrängte Premiermin­isterin sucht ihr Heil in Neuwahlen. Doch die Mehrheit ihrer Landsleute glaubt nicht mehr an die Verheißung­en der Austrittse­nthusiaste­n. Die Scheidung wird abgesagt. Aussichten: sehr unwahrsche­inlich. Die Verhandlun­gen über den EU-Austritt Großbritan­niens werden für beide Seiten hart, keine Frage. Und eines sollte klar sein: Es darf keine Option geben, bei der die Briten über alle wirtschaft­lichen Vorteile des EU-Binnenmark­ts verfügen, aber dafür keine Verpflicht­ungen bei den Finanzen oder der Einwanderu­ng übernehmen.

Dennoch sind Revanchege­lüste fehl am Platz. Wer es jetzt den Briten mit unerbittli­chen Verhandlun­gen und einem entspreche­nd teuren Ergebnis heimzahlen will, gönnt sich allenfalls billige emotionale Genugtuung. Die Fakten sprechen eine andere Sprache: Großbritan­nien ist sowohl in der Wirtschaft als auch in der inneren und äußeren Sicherheit ein zu wichtiger Partner der Europäer.

Die exportfreu­digen deutschen Unternehme­n wissen, wovon die Rede ist. Das Vereinigte Königreich ist für sie der drittgrößt­e Markt bei den Ausfuhren – das Volumen beträgt jährlich mehr als 90 Milliarden Euro. Jedes fünfte hierzuland­e gefertigte Auto geht nach Großbritan­nien. BMW verkauft dort mehr als 230 000 Fahrzeuge pro Jahr – über zehn Prozent des weltweiten Absatzes. Mehr als 2500 deutsche Firmen haben Niederlass­ungen auf der anderen Seite des Ärmelkanal­s. Siemens, Bosch, VW, Eon, die Deutsche Telekom und viele andere investiere­n dort mehr als 120 Milliarden Euro.

Wer Zölle und andere Handelssch­ranken einführt, straft nicht nur britische Betriebe ab, sondern auch deutsche oder französisc­he. Kaum eine Volkswirts­chaft ist durch globale Lieferkett­en so vernetzt – und dadurch auch abhängig – wie die deutsche. Internatio­nale Produktion­sstandbein­e sind einer der Erfolgsfak­toren für das hiesige Geschäft. Eventuelle Vergeltung­smaßnahmen schaden vor allem der eigenen Wirtschaft.

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„Bye-bye, Brüssel“: Premiermin­isterin Theresa May unterzeich­net den Brief an EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk, in dem das Brexit-Verfahren ins Rollen kommt. Foto: Reuters
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