Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Göttliche Symbole und schrille Dekorationen
Conrad Herold ist evangelischer Seelsorger für Schausteller in Mitteldeutschland. Für ihn ist es wie auf einem Dorf
nach drei Wochen Regen nicht seine sieben Sachen packen und abreisen. Ein Campingurlaub ist ein Abenteuer, die Schausteller verdienen mit dem Reisen ihren Lebensunterhalt.
Das fahrende Volk kämpft oft mit Vorurteilen: Drogen, Gewalt, Affären – um nur einige zu nennen. Der Seelsorger erzählt, dass es im Fernsehen solche Szenen gebe, die diese Vorurteile schüren. „Versuchungen jeder Art gibt es auf dem Rummel wie auch anderswo“, verdeutlicht Herold. Manchen widersteht man, anderen eben nicht. „Es sind Menschen wie du und ich“, wiederholt er.
Der Geistliche vergleicht das Leben der Schausteller mit dem Leben in einem Dorf. „Die Schausteller passen aufeinander auf, es herrscht eine soziale Kontrolle.“Im positiven wie im negativen Sinne. Positiv, dass die Schausteller darauf achten, dass den eigenen Leuten kein Schaden zugefügt wird. Negative, weil alle über Monate auf engstem Raum leben. „Die Wohnwagen haben einen Abstand von etwa einem Meter, da hört man alles“, sagt Conrad Herold. Für den Einzelnen kann das belastend sein. Das wiederum bedeute aber nicht, dass viel Gewalt im Spiel ist. Ende März hat die Schaustellersaison in Mitteldeutschland wieder begonnen. Und damit startet auch wieder die intensive Arbeitszeit von Conrad Herold. Sein Jahresplan, welches Volksfest er wann besucht, stellt er im November für das kommende Jahr auf. „Für den Saisonbeginn nehme ich mir immer mehr Zeit, denn gerade am Anfang gibt es viel zu erzählen“, weiß Herold aus Erfahrung.
Auf den einzelnen Jahrmärkten verbringt er ein bis zwei Wochen. Die Saison geht bis Anfang November. Ende November werden dann die ersten Weihnachtsmärkte aufgebaut. Richtig Urlaub macht der 60Jährige zu Beginn eines Jahres.
Ein Jugendlicher nickt dem Seelsorger freundlich zu, schenkt ihm ein Lächeln. Der Geistliche erwidert die Geste. „Den Jungen habe ich konfirmiert, auch das Mädchen, das neben ihm steht“, erzählt der 60Jährige. Denn auch die Konfirmation, Hochzeit, Taufe und Beerdigung gehören zur Arbeit des Schausteller-Seelsorgers.
Bei Todesfällen gelten andere Regeln. Da spielt es keine Rolle, auf welchem Markt der Seelsorger gerade tätig ist. „Wenn ich den Anruf erhalte, fahre ich los.“Die Beisetzung des Familienmitglieds ist entweder in dem Einzugsgebiet der Schausteller oder aber in der Heimat in einem Familiengrab. „Manche Schausteller sind nur in Thüringen unterwegs, andere in ganz Europa“, meint Herold. Aus diesem Grund sei die Beisetzung immer anders. In dem Zusammenhang macht der Geistliche noch auf ein anderes Problem aufmerk- sam. Die Schausteller können bei einem Todesfall in der Familie nicht einfach zu Hause bleiben, geschweige denn einen Stellplatz absagen. Im Kreise der Lieben trauern, Zeit für sich selbst nehmen; all das ist nicht möglich. „Sie müssen am nächsten Tag wieder funktionieren.“
Und da steht der Seelsorger den Schaustellern zur Seite – wenn sie das Angebot annehmen möchten. „Manche können es gar nicht erwarten, dass ich komme, weil es etwas zu bereden gibt“, meint der 60-Jährige und fügt hinzu: „Andere wiederum plaudern nur mit mir.“
In der bürgerlichen Welt ist der Kirmesmensch ein bunter Vogel. Auf dem Rummel ist plötzlich der Pfarrer der Außen- seiter. Im Hintergrund dröhnt der Song „Die immer lacht“, die pulsierenden Bässe erschweren ein Gespräch. „Es wirklich wichtig, auch die Zwischentöne zu hören.“Eine lapidare Bemerkung in einem Gespräch zwischen Tür und Angel bringt manchmal das eigentliche Problem zutage. Und dann bedarf es Fingerspitzengefühl und Zeit. Denn auf dem Jahrmarkt herrscht nicht die Ruhe und Stille wie in einer Kirche.
Aber gibt es denn das Göttliche auf einem Rummel? „Ja, natürlich. Denn überall wo Menschen miteinander leben und reden kommt das Göttliche zum Vorschein“, spricht der evangelische Pfarrer. Und spielt gleichzeitig auf die religiösen Symbole in den Geschäften an. Zwischen den pumpenden Bässen, schrillen Dekoraktionen und unzählig vielen Menschen sind sie da, die Kreuze, Rosenkränze und vor allem Engelsfiguren. „Schausteller haben auch Wünsche und Sehnsüchte. Es sind Menschen wie du und ich.“
Religiöse Symbole in den Geschäften