Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Elternvertreter wegen Unterrichtsausfall in Aufruhr
Rund 10000 Schüler erhielten lückenhafte Zeugnisse. Benjamin-Immanuel Hoff reagiert auf schwere Vorwürfe gegen das Bildungsministerium
Erfurt.
In der Einladung zu den 36. Landeselterntagen ab Freitag in Gera steht noch immer der Programmpunkt: Grußwort der Ministerin für Bildung. Anschließend Fragerunde mit der Ministerin.
Aber Birgit Klaubert (Linke) ist weiter wegen Krankheit außer Dienst. Seit Mitte Januar führt deshalb Staatskanzleiminister Benjamin Hoff (Linke), der außerdem für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten zuständig ist, kommissarisch das Bildungsministerium.
Kürzlich schrieb er an die Thüringer Landeselternvertretung (LEV) Schule einen längeren Brief. Darin wies er Vorwürfe der Elternvertreter höflich, aber sehr bestimmt zurück und bat sich aus, die Arbeit an der Lösung von Schulproblemen jenseits von Symbolhandlungen fortzusetzen. Von mangelndem Lösungsinteresse oder fehlendem Problembewusstsein seitens der Landesregierung könne keine Rede sein.
Wer Hoff kennt, liest zwischen den Zeilen, wie schwer es ihm fiel, deftigere Formulierungen wegzulassen. Die LEV hatte gerade eine Pressemitteilung veröffentlicht, die an der Thüringer Schulpolitik kein gutes Haar mehr ließ. Anlass war ein Bericht über lückenhafte Schulzeugnisse. Der CDU-Landtagsabgeordnete Christian Tischner hatte mit einer parlamentarischen Anfrage herausgefunden, dass in 478 Klassen zum Schul- halbjahr 2016/2017 Zeugnisse ausgegeben wurden, die in einzelnen Fächern keine Noten enthielten. Der Grund: permanenter Unterrichtsausfall in die- sen Fächern. Insbesondere in Musik/Kunst, Ethik und Religion, aber auch in Geschichte, 2. Fremdsprache, Geografie und Chemie. Die LEV, die für die In- teressen der Eltern von etwa 240 000 Schülern im Land streitet, zeigte sich „entsetzt“. Vor allem über das Ausmaß des Unterrichtsausfalls, der mit fachfremden Vertretungen und der Vergabe von Aufgaben zur sogenannten Stillbeschäftigung kaschiert wird. Das Ministerium, formulierte Landeselternsprecher Roul Rommeiß scharf, habe solche Geschehnisse bisher als bedauerliche Einzelfälle hingestellt. „Mit den nun veröffentlichten Zahlen ist festzustellen, dass es sich hierbei um Tausende bedauerliche Einzelfälle handelt“, empörte sich der Landessprecher.
CDU-Bildungspolitiker Tischner hatte die vom Ministerium erhaltenen Zahlen zusammengerechnet und kam auf rund 10 000 Schüler quer durch alle Schularten, denen lückenhafte Zeugnisse überreicht wurden. Ob sich der Vorgang im Juni zur Vergabe der Jahreszeugnisse wiederholt, steht noch nicht fest. Die LEV wirft der Regierung jedoch vor, bereits Grundschülern den Start ins Bildungsleben zu erschweren. Auch liefen Abiturienten Gefahr, bei der Vergabe von Studienplätzen benachteiligt zu werden. Die Regelschule, die die Hauptlast beim gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern zu tragen habe, verkomme zunehmend „zur Resterampe“.
Obendrein beschwerte sich Rommeiß über mangelnde Einbeziehung der LEV. Das letzte Ministergespräch habe im Spät- sommer 2016 stattgefunden. Mitwirkung habe man unter vorherigen Landesregierungen anders erfahren.
Minister Hoff verwies darauf, dass auch die Elternvertreter von der Kommission „Zukunft Schule“gehört worden sind. Er listete neun Maßnahmen zur Personalverstärkung an Schulen und Horten auf, alle beschlossen in den vergangenen Wochen. Auch wenn das noch nicht alle Probleme zu lösen vermag, so sei die Regierung doch auf dem Weg, eine „Thüringer Unterrichtsgarantie“herzustellen. Kampfbegriffe wie den vermeintlichen „Angriff auf den ländlichen Raum“lehnt Hoff allerdings ab. Nicht bestritten hat er Tischners addierte Zahlen, die den Disput erst anfachten.