Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Ein juristisches Phantom
Dietmar Hoffmann betreibt eine Gärtnerei. Morgen muss er zum Gericht – wegen einer Räumungsklage
Erfurt.
Endlich Frühling. In der Gärtnerei Hoffmann schieben sich die Kunden durchs Gewächshaus, in dem die schönsten Gartenblüher auf Käufer warten. Dietmar Hoffmann, der Inhaber, kann sich über das anspringende Geschäft nicht so freuen wie sonst. Er ist im Begriff, gut 40 Prozent seiner Anbaufläche zu verlieren. Räumungsklage! Nur weil das Landwirtschaftsamt in Sömmerda einen Fehler gemacht hat.
Den Fehler räumt die Behörde sogar ein. Sie korrigiert ihn aber nicht. Denn Hoffmann, so ihr Standpunkt, habe gar kein Recht, sich zu beschweren. Dem Gärtner gehört die fragliche Fläche nämlich nicht. Sie hat ihm nie gehört. Hoffmann wühlt bekümmert in Stößen von beschriebenem Papier und nickt. Stimmt, sagt er, die Fläche, um die es geht, habe seiner Verwandtschaft gehört. Und er hat das Land nutzen dürfen, seit Jahrzehnten. Die Konditionen seinen mündlich abgesprochen gewesen. Alle öffentlichen Lasten, Steuern und so, habe er getragen.
Bis die Verwandtschaft das Flurstück 22/4 in der Gemeinde Hopfgarten, an der Bahnstrecke auf halbem Wege von Erfurt nach Weimar gelegen, vor drei Jahren verkaufte. Nicht an Hoffmanns Familie, obwohl es räumlich zur Gärtnerei gehört. Sondern an einen Herrn in der Nachbarschaft. Einen Elektriker, der mit Landwirtschaft nichts am Hut hat. Paragraf 9 des Grundstücksverkehrsgesetzes besagt, dass der Verkauf von landwirtschaftlich genutzter Fläche nicht genehmigt werden darf, wenn er „Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur widerspricht“. Soll heißen: Der Gesetzgeber will, dass Agrarflächen das möglichst auch bleiben. Besonders dann, so steht es ebenfalls im Gesetz, wenn durch den Verkauf ein selbständiger landwirtschaftlicher Betrieb seine Lebensfähigkeit verlieren würde. Zu wachen haben darüber die Landwirtschaftsämter. Dem in Sömmerda will nicht aufgefallen sein, dass es sich beim Verkauf des Hopfgartener Flurstücks teilweise um Gärtnereigelände handelte. Das sei aus den Unterlagen nicht hervorgegangen. Im Kaufvertrag stand etwas von mehreren Garagen, die es auf dem Grundstück ebenfalls gibt. Aber undenkbar ist, dass im Sömmerdaer Amt die Hoffmannsche Gärtnerei unbekannt war. Das Amt schickte erst ein halbes Jahr zuvor zwei Kontrolleure, die nach dem sachgerechten Umgang mit Pflanzenschutzmitteln guckten. Und 2003 wurde der Betrieb sogar mit dem Siegel „Geprüfte Qualität Thüringen“ausgezeichnet. Das Foto, das ihn stolz mit dem damaligen Agrarminister Volker Sklenar (CDU) zeigt, hat Dietmar Hoffmann immer noch. Das nunmehr Linke-geführte Agrarministerium, an das sich der Gärtner wandte, ließ ihn wissen, die Entscheidung der Sömmer- daer Behörde sei nicht zu beanstanden. Erst nach Erteilung des sogenannten Negativ-Attests sei bekannt geworden, dass das Grundstück doch gärtnerisch genutzt wird.
So unsichtbar, wie die Gärtnerei für das Amt war, so unwirklich muss dem Landwirtschaftsgericht in Erfurt wohl die bisherige Existenz von Hoffmann vorgekommen sein. Da er weder Käufer noch Verkäufer des Grundstücks ist, könne er auch nicht die Entscheidung des Landwirtschaftsamtes gerichtlich überprüfen lassen. Er sei in dieser Angelegenheit „nicht beschwert“, wie Juristen das ausdrücken. Verständlicher gesagt, erkennt das Gericht im Gesetz nur eine Schutzfunktion für Käufer und/oder Verkäufer gegenüber einer falschen Behördenentscheidung. Nicht ge- schützt ist einer wie Hoffmann, der formaljuristisch scheinbar „unbefugt“auf dem Gelände werkelte. Hätte er wenigstens einen alten Pachtvertrag gehabt. Der wäre dann ins Rechtsverhältnis zum neuen Grundbesitzer mit eingetreten. Aber so . . . Die Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) in Jena brachte auch nichts. Zwar korrigierten die Oberrichter die erste Instanz dahingehend, dass der Nicht-Anspruch Hoffmanns auf richterliche Überprüfung keineswegs zur Unbegründetheit seines Antrags führe. Vielmehr führe das zur Unzulässigkeit. Für Jura-Seminare möglicher- weise ein interessanter Aspekt, für des Gärtners Lage jedoch völlig unerheblich. Er hat kein Recht auf Antragstellung, weil er keine Rechte am Grundstück hat. Fertig.
Nicht ganz. Eine Einlassung des OLG-Senats fand Hoffmanns Anwältin Susanne Bloß derart aufschlussreich, dass sie sie im Schriftverkehr mit dem Petitionsausschuss des Bundestages ausführlich zitierte. Die Oberrichter räumten nämlich ein, dass ihre Rechtsauffassung „dazu führen kann, dass im Einzelfall ungerechtfertigt NegativAtteste oder Genehmigungen (von Behörden) erteilt werden, die zur Beeinträchtigung der Belange der Agrarstruktur führen, ohne dass Überprüfungsmöglichkeiten durch Anrufung der Gerichte bestehen“.
Öffnet das der Behördenwillkür Tür und Tor? Hoffmann kommt es so vor. „Denn alles, was das Grundstücksverkehrsgesetz zugunsten von Agrarflächen verhindern soll, ist bei mir eingetreten“, muss er feststellen. Ein Nicht-Landwirt hat gekauft, und für seine Gärtnerei werde es nun schwierig. Der neue Eigentümer, der für 5,77 Euro pro Quadratmeter zufassen konnte, bot Hoffmann den Boden für 30 Euro pro Quadratmeter an. Oder 1700 Quadratmeter für 1200 Euro Pacht im Jahr. Ortsüblich sind etwa 400 Euro. Pro Hektar, also 10 000 Quadratmeter. Hoffmann mag blauäugig gewesen sein, aber rechnen kann er. Er hat abgelehnt. Die Antwort des neuen Besitzers heißt Räumungsklage. Darüber entschieden wird wieder beim Landwirtschaftsgericht.
Von Gärtnerei keine Rede im Verkaufsvertrag
Kein Recht, einen Antrag zu stellen