Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Wie die alten so die jungen Bullen
Die Nachwuchsakademie von Fußball-Bundesligist RB Leipzig gilt als die modernste in Deutschland. Auch ein Thüringer bildet dort aus
Er weiß nicht genau, ob ihn Trainer Ralph Hasenhüttl oder Spieler wie Timo Werner, Marcel Sabitzer und Yussuf Poulsen kennen. Aber sie grüßen ihn, wenn er ihnen im Trainingsanzug mit dem BullenEmblem begegnet.
Es passiert allerdings eher selten, dass sich die Wege kreuzen. Dr. Winfried Möller hat zwar ein Büro in Kabinennähe des Champions-League-Teilnehmers, meist wirbelt der Thüringer jedoch an der Sportschule Abtnaundorf. Dort ist er als sportlicher Leiter verantwortlich für die U 8 bis U 13, während im sieben Kilometer entfernten Cottaweg die Nachwuchsteams ab der U 14 bis hin zu den Profis ihr Zuhause haben. Ein Plastik-Bulle kraftstrotzend, monströs und mit gesenkten Hörnern prangt da über dem Haupteingang des Trainingsgeländes des FußballBundesligisten, einem 2015 eingeweihten 33 Millionen Euro teuren Glas-Stahl-Komplex mit acht Plätzen.
Auf jenen zwei, die die Profis nutzen, hängen Plakate mit motivierenden Sprüchen von aktuellen oder einstigen Sportgrößen. Ralf Rangnick, Sportdirektor von RB, hat sie anbringen lassen. „Du verfehlst 100 % der Torschüsse, die Du nicht machst (Wayne Gretzky)”, steht da. Oder: „Man darf sich keine Grenzen setzen, nichts ist unmöglich. (Usain Bolt)”. Ebenso Michael Schumachers Satz: „Die Blumen der Sieger gehören in viele Vasen”. Und: „Ich kann Versagen akzeptieren, keiner ist perfekt. Aber was ich nicht ak-
Leipzig.
zeptieren kann ist, es nicht zu versuchen. (Michael Jordan)”.
Winfried Möller glaubt auch an die Wirkung solcher Zitate. Motivation wäre schon im Kindesalter wichtig. Der heute 62Jährige stammt aus Ostthüringen, aus Schwarzburg, in der Nähe von Bad Blankenburg. In Leipzig studierte er in den 70er Jahren, arbeitete später unter anderem an der DHfK, beim Deutschen Fußball-Verband, der dann 1990 – mit dem Ende der DDR – abgewickelt wurde. Später war Möller dann viele Jahre beim FC Sachsen Leipzig tätig, bevor er die „große Chance“erhielt, bei RB die Nachwuchsabteilung mit aufzubauen. „Ein Glücksfall“, sagt der Wahlsachse, wohl wissend, dass ihn um diesen Job Tausende beneiden.
Der Klub ist erfolgreich, er bietet bei Heimspielen eine angenehme stimmungsvolle Familien-Kulisse, die Schmährufe werden auch sonst immer weniger, die Sympathien dafür spürbar mehr. Zudem hat der Verein reichlich Geld. Dietrich Mateschitz stellt es bereit, Chef des Limonaden-Imperiums Red Bull.
Inzwischen zählt RB, der erst 2009 gegründete RasenballSportverein, 17 NachwuchsTeams mit etwa 250 Spielern. Betreut werden sie von 40 hauptamtlichen und 30 nebenberuflichen Trainern, davon besitzen 20 die DFB-A-Lizenz und sieben sind DFB-Fußballlehrer. Trainiert wird auf vier Rasenund zwei Kunstrasenplätzen. Dazu kommen noch zwei spezielle „Speed-Soccer-Courts“. Etwa 50 Kicker sind als Sportschüler ab dem 16. Lebensjahr im Internat untergebracht, 14und 15-Jährige schlafen bei Gastfamilien.
Bei RB wird schon früh auf das Verinnerlichen eines speziellen Systems geachtet. Das Mantra der Spieler jeden Alters, jeden Tag, bedeutet: PressingFußball mit viel Laufaufwand und einem gezielten, schnellen Spielaufbau, möglichst in Überzahl. Der Hochgeschwindigkeitsfußball ist keine Revolution, aber die Vereinheitlichung sorgt für Durchlässigkeit beim angestrebten Weg nach oben. Dort, in der Bundesliga, jagen die jungen Bullen jedem Ball hinterher. „Sie haben uns einfach überrannt“, stöhnte der Mainzer Trainer Schmidt mal nach einer Niederlage.
Möller ist überzeugt von der Systemarbeit, auch wenn mehrere Angestellte „unentschieden“fühlen, ob das Abmelden der zweiten Mannschaft zur neuen Saison richtig oder falsch ist. Rangnick, mit dem er sich duzt, begründete die Entscheidung mit noch mehr Aufmerksamkeit für das Segment der Hochbegabten, die man noch früher holen will.
Das Sichten von RB fängt sehr früh an. Schon im Kindesalter. Bei Leipziger Vereinen, aber auch über die Grenzen der Messestadt hinaus bis nach Thüringen. „Wenn wir jemanden entdecken, dann reden wir mit den Eltern, den Trainern“, so Möller. Bei gegenseitigem Interesse würde enger Kontakt gepflegt werden, ein Zeitplan für einen eventuellen Wechsel erarbeitet. Man benötige ein gutes Netzwerk und ein gutes Bauchgefühl. „Und immer muss das Umfeld für das Kind stimmen“, erklärt Möller, der vehement bestreitet, dass im jungen Alter bereits Geld seitens von RB fließt. Das könnte erst beim zweiten oder dritten Vertrag eine Rolle spielen.
Bei der Sichtung wird nicht nur auf das aktuelle FußballKönnen geachtet, „wir beobachten die Motorik, die allgemeine Sportlichkeit, vor allem die Schnelligkeit, die Art des Auftretens“. Denn natürlich müssten auch Regeln eingehalten werden. Man könne ja in der Akademie keine Dinge zulassen, „für die auch Eltern ihre Kinder zuhause ermahnen würden“, so Möller. Jeder Junge, der als Kandidat für die Aufnahme ins Sportgymnasium und Internat gilt, wird penibel analysiert. Schnelligkeit, Sprungkraft, Reaktionsvermögen, dazu Blutparameter die Rückschlüsse auf den Energiestoffwechsel ermöglichen, werden analysiert und in einen zentralen Datenpool eingespeist. Ein Talent jung zu binden bedeutet schließlich auch ein Risiko, denn der Weg in den bezahlten Fußball ist weit, unklar ist, ob Körper und Seele den Härten des Sports standhalten.
Wenn Winfried Möller von seinem Verein spricht, kommt er schnell ins Schwärmen: „Die Ganzheitlichkeit ist beeindruckend. Es wird an alles gedacht: „Erziehung, Ausbildung, Schule, Medizin. Sehr pragmatisch.“Klar, davon könnten sich andere Vereine etwas abgucken. Der FC Rot-Weiß oder der FC CarlZeiss Jena aus seiner Thüringer Heimat beispielsweise. Aber entweder haben die sportliche Sorgen oder finanzielle oder beides.
Aus RB Leipzig soll ein europäischer Spitzenklub werden, einer der sich ab Herbst in der Champions League messen kann. Winfried Möller erlebt das voller Freude noch als Angestellter. Sein Vertrag wurde um zwei Jahre verlängert.