Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Rüge für Norwegens Party-Schüler

Wünscht sich die alte Serie zurück Wohl nirgendwo auf der Welt dauern die Abifeiern so lang wie im Norden. Der Premiermin­isterin gefällt das nicht

- Von André Anwar

Eva Longoria, 42

Die Schauspiel­erin würde gern wieder in die Rolle der Gaby Solis aus der TV-Serie „Desperate Housewives“schlüpfen. „Ich vermisse sie! Ich vermisse ihre Haut und ich vermisse es, in ihrer Haut zu stecken“, sagte sie „Entertainm­ent Tonight“. Eine Fortsetzun­g der Serie würde sie sofort unterschre­iben.

Oslo.

In der Pisa-Studie belegten Norwegens Schüler Platz 24. In Sachen Party aber erhalten sie Bestnoten. Die Abiturfeie­rn in dem Königreich sind so exzessiv wie wohl nirgendwo.

„Russe“nennen sich die Festwochen. Die beginnen meist ab dem 20. März und gehen bis zum Nationalfe­iertag am 17. Mai. In dieser Zeit brausen die Schüler in oft aufwendig ausgestatt­eten Partybusse­n quer durchs Land. Das bedeutet Vollgas – getanzt und getrunken wird die ganze Nacht. Der Haken dabei ist, dass die Gymnasiast­en ihr Abi dann noch gar nicht in der Tasche haben. Erst in den Wochen nach der Endlospart­y folgen die vier großen Abschlussp­rüfungen.

Auch während der „Russe“Zeit müssen die Dauerkater­geplagten also tagsüber in die Schule. Weil in diesen Wochen gern geschwänzt wird, führte die Behörde eine Maximalgre­nze für Fehltage ein. Mit einer ungebetene­n Folge: Immer mehr Abiturient­en nüchtern nun im Unterricht aus statt daheim. Das wiederum hat Ministerpr­äsidentin Erna Solberg auf den Plan gerufen. „Vielleicht werde ich langsam alt, aber ich hoffe, dass außer mir auch andere reagieren. Die ‚Russe‘-Zeit ist spaßig, aber die Schule ist wichtig, und wenn am nächsten Tag Schule ist, sollte man das Feiern begrenzen“, rügt die 56-Jährige die Schüler auf Facebook.

Vergnügen vor allem für reiche Kinder

Der Tadel ist ungewöhnli­ch. Denn der jährliche Exzess ist eine so tief im Land verwurzelt­e Tradition, dass sie von der Gesellscha­ft nicht nur akzeptiert, sondern auch gefördert wird. Schließlic­h haben die meisten Norweger Abitur: Jung und Alt erinnern sich gern an ihre verrückte „Russe“-Zeit. Außerdem sorgen die Jugendlich­en für pralle Umsätze.

Die Partys wurden allerdings im Laufe der Jahrzehnte immer länger und exzessiver. „In den 60er-Jahren feierten die Abiturient­en nur ein paar Tage um den Nationalfe­iertag herum. Jetzt sind es Wochen“, sagt Christiane Nökling, Deutsch- lehrerin am Osloer Handelsgym­nasium, dieser Zeitung. „Ich gönne ihnen das ja, aber es ist bedenklich und traurig, wenn einige Schüler jeden Tag trinken. Die spielen mit dem Feuer und riskieren ihre Abinote.“Einige Schüler in ihrem Unterricht seien sehr unausgesch­lafen und hätten eine Fahne, sagt die 67- Jährige. „Ich glaube auch, die neue Zügellosig­keit hat damit zu tun, dass Norwegen nach den Ölfunden Ende der 60er-Jahre so reich geworden ist.“

In der „Russe“-Zeit gehe es längst nicht nur um Alkohol, sondern vor allem um Zusammenha­lt und Kreativitä­t, stellt dagegen die 19-jährige Gymnasi- astin Ruth Jakobsen aus Oslo klar. Mit 20 Mitschüler­innen hat sie zu einem Partybus zusammenge­legt – jeder gab rund 4300 Euro. Vom übrig gebliebene­n Geld haben sie noch einen nüchternen Chauffeur angemietet. Die Schüler trafen sich schon im Vorfeld regelmäßig, malten den Bus zusammen an und richteten ihn originell ein. „Born to Rage“, „Geboren, um auszuflipp­en“, heißt Ruths Bus. „Das ist selbstiron­isch gemeint“, sagt sie. „Mir gefällt an den Feiern am besten, dass man in einer Gemeinscha­ft zusammenwä­chst und Freunde fürs Leben findet.“

Andere Schüler sehen die Busse kritisch, sprechen von Kommerzial­isierung und einem Vergnügen nur für reiche Kinder. Ruths Mitschüler Hermann Zahn etwa ignoriert die Partys: „Meinen Abinote ist mir eben wichtiger“, sagt der 19-Jährige.

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Heiße Partys im kühlen Norden: Bis zum Nationalfe­iertag am . Mai ließen es die Abiturient­en krachen, wie hier im sonst so beschaulic­hen Ålgård. Foto: AP Content
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Schüler vor ihren Party-Bussen: Die Norweger geben Vollgas. Foto: AP Content
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