Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
„Schwierige rechtsextreme Tendenz“
In einer Studie der Ostbeauftragten Iris Gleicke werden Probleme dargestellt. Demokratieforscher sehen Erfurter Stadtteil als Schwerpunkt
Erfurt.
Der Erfurter Herrenberg steht im Fokus von Göttinger Demokratieforschern. Sie haben im Auftrag der Ostbeauftragten der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), eine Studie zur Ursachen-Erforschung von Rechtsextremismus in Ostdeutschland erstellt.
Warum die Reflexion auf den Herrenberg? Die Wissenschaftler haben hier eine vereinsähnliche Struktur der rechtsextremen Szene ausgemacht und festgestellt, dass es eine breite Akzeptanz in einem großen Teil der Herrenberg-Bevölkerung gibt. So entwickelte sich das Gebäude des Vereins „Volksgemeinschaft e.V.“in den vergangenen Jahren als Gegenstück zu städtischen Angeboten – und dort vermittelte Ideologien fallen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf fruchtbaren Boden.
Neben dem Herrenberg untersuchten die Demokratieforscher aus Niedersachsen auch Entwicklungen in den Städten Freital und Heidenau in Sachsen – und haben unter anderem dieses Fazit gezogen: „Insgesamt stellt sich das Problembewusstsein der Erfurter Bevölkerung sowie der lokalen politischen Eliten im Stadtteil Herrenberg als sehr viel ausgeprägter dar als im Dresdener Umland.“
Dennoch: Mit der „Volksgemeinschaft“und der schon viel länger existierenden „Kammwegklause“gibt es, das haben die Untersuchungen ergeben, zwei wichtige Szenetreffpunkte in diesem Stadtteil, wenngleich offenbar erstgenannter Ort der Kammwegklause den Rang abzulaufen scheine.
Eine Sprecherin der Stadt trat der Vermutung entgegen, dass gerade im Stadtteil Herrenberg eine hohe Arbeitslosigkeit sowie ein niedriges Bildungsniveau dazu führen würden, dass die Bevölkerung rechtsextremen Gedanken nachhängt. „Die Studie der Fachhochschule Erfurt zu Armutsrisiken in Erfurt, durch den Stadtrat in Auftrag gegeben, zeigt andere Schwerpunktstadtteile, bei denen Armutsrisiken und Benachteiligungen entschieden höher als am Herren- berg eingeschätzt werden“, sagte sie auf Nachfrage. Eine einfache Gleichung à la „niedriges Bildungsniveau und Arbeitslosigkeit führen zu rechtsextremen Aktivitäten“sei falsch und unzulässig. „Demokratieverständnis und ehrenamtliches Engagement für Benachteiligte sind in allen Bevölkerungsgruppen verankert“, sagte die Stadtsprecherin. Gleichwohl räumte sie ein, dass die Aktivitäten rechtsextremer Gruppen – hier wären neben der Volksgemeinschaft die Partei „Die Rechte“zu nennen – sehr kritisch bewertet würden. Sie fänden allerdings in privat angemieteten Räumen statt. Und die Stadtsprecherin stellt fest: „Der Ausbreitung rechtsextremistischer Aktivitäten wird durch unterschiedliche Projekte viel Engagement entgegengesetzt.“Diese Aussage wird von der Studie gestützt.
Deutliche Worte angemahnt
Dennoch wird auch mit Blick auf den Erfurter Herrenberg eingefordert, dass lokale Aktionsträger sich stärker einsetzen müssten im Kampf gegen Rechtsextremismus. „Nicht zuletzt der Blick in andere ostdeutsche Kommunen zeigt, dass die Haltung der lokalen politischen Elite [...] eine entscheidende Rolle bezüglich des öffentlichen Umgangs mit fremdenfeindlichen und rechtsextremistischen Manifestationen spielt.“
Die Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der SPD-Landtagsfraktion, Diana Lehmann, erklärt zur Studie: „Politiker, aber auch gesellschaftliche Funktionsträger sind hier auch oder insbesondere in schwierigen Zeiten gefragt, deutliche Worte gegen Rechtsextremismus zu finden. Sie haben Vorbildwirkung und können vermitteln, dass wir unsere freiheitlichen Grundwerte nicht in Frage stellen lassen.“Kritik an der Studie kam von der AfD, die mehrfach in der Studie benannt wird. Stephan Brandner, justizpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion, nannte die Studie in einer Mitteilung „verdeckten Wahlkampf und Verschwendung von Steuergeldern“. Beim Thüringer Verfassungsschutz ließ man sich gestern auf Nachfrage nicht zu einer inhaltlichen Stellungnahme bezüglich des Herrenberges überreden. Verfassungsschutzchef Stephan Kramer teilte mit: „Niemand wird als Extremist geboren, es kommt zu einem großen Teil auf die Gesellschaft an, wohin sich Menschen entwickeln.“Ein Ergebnis der Studie sei, dass Hinschauen, Zuhören und angemessenes Reagieren geeignete Maßnahmen seien, gefühlte Ausgrenzung und damit den Nährboden für extremistische Einstellungen zu vermeiden.