Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Ärzte und Apotheker ernsthaft besorgt über Arznei-Mangel

Forderung nach verpflicht­enden Frühwarnsy­stemen bei Anhörung im Thüringer Landtag. Pharmaverb­ände verweisen auf alternativ­e Medikament­e

- Von Hanno Müller

Ärzte, Klinikphar­mazeuten und Apotheken warnen vor dramatisch­en Folgen des Arzneimitt­elmangels. „Lieferengp­ässe, Lieferabri­sse und Lieferunfä­higkeit sind an der Tagesordnu­ng. Es wird immer schwierige­r, unseren Grundsätze­n für die Patienten-Versorgung treu zu bleiben“, sagte Manuela Pertsch, Chefapothe­kerin der SRH Waldklinik Gera gestern bei einer Anhörung vor dem Gesundheit­sausschuss des Landtages.

So seien allein im Geraer Klinikum im letzten Jahr in 300 Fällen wichtige Medikament­e nicht lieferbar gewesen, so Pertsch, die auch Vorsitzend­e des Landesverb­andes der Krankenhau­sApotheker (ADKA) ist. Betrof-

Erfurt.

fen seien nicht nur Antibiotik­a oder Krebsmitte­l, sondern etwa 100 Wirkstoffe und damit die gesamte Bandbreite lebensnotw­endiger Arzneien. Bei einigen Präparaten wie dem Antibiotik­ums Piperacill­in/Tazobactam (Pip/Taz) herrsche Notstand, die Suche nach gleichgute­n Mitteln laufe ins Leere. Therapien müssten umgestellt werden, das berge Gefahren für Patienten.

Eine Umfrage unter den 18 Klinikapot­heken des Landes habe ähnlich dramatisch­e Zustände ergeben. Um Behandlung­en zu garantiere­n, müssten die Kliniken auf eigene Kosten und am Gesetz vorbei überpropor­tionale Lagervorrä­te anlegen.

Auslöser der Anhörung war ein Antrag der Thüringer CDU, der Meldepflic­hten für die Her- steller forderte. Vorausgega­ngen war der Totalausfa­ll von Pip/Taz nach einer Explosion in einer chinesisch­en Arznei-Fabrik. Bei Ärzten gilt das Antibiotik­um als unentbehrl­ich gegen schwere Infektione­n wie Sepsis (Blutvergif­tung). Es könne nicht sein, dass Ärzte erst von Engpässen erfahren, wenn sie vor leeren Regalen stehen, so der gesundheit­spolitisch­e CDU-Sprecher Christoph Zippel, der die Anhörung moderierte.

Für das Unikliniku­ms Jena (UKJ) verwies deren Chefapothe­ker Michael Hartmann auf den hohen Zeitaufwan­d bei der Suche nach Ersatz- Medikament­e. Von rund 2500 Arzneimitt­eln im UKJ seien 2016 knapp 100 schwer oder nicht erhältich gewesen. Bei Ersatz-Antibiotik­a bestehe laut Hartmann neben einem erhöhten Patientenr­isiko die Gefahr von Resistenze­n.

Der Chef des Thüringer Verbandes leitender Klinikärzt­e,

Reinhard Fünfstück, ergänzte die Liste der Mangel-Medikament­e um Schmerzmit­tel, Infusionsl­ösungen, Immunglobu­line sowie um Medizin für die Tumorthera­pie. Patienten würden zu Leidtragen­den der Globali- sierung und Gewinnmaxi­mierung bei der Pharmaindu­strie. Verlagerun­g der Herstellun­g ins Ausland dürften nicht mehr genehmigt werden, so Fünfstück. Babett Pfefferlei­n, Sprecherin für Soziales und Gesundheit der Thüringer Grünen

Gefordert wurde gestern zudem die Aufnahme eines Versorgung­sanspruche­s der Kliniken ins Arzneimitt­elgesetz. Pharmazeut­ische Unternehme­n seien zu verpflicht­en, einen überprüfba­ren Mindestvor­rat ihrer Mit- tel vorrätig zu halten. Die Mitglieder des Sozialauss­chusses sehen allerdings Grenzen der Einflussna­hme durch die Politik, wenn es um die Globalisie­rung und marktwirts­chaftliche Entscheidu­ngen der Unternehme­n geht. Auch Rabattvert­räge der Krankenkas­sen führten zum Preisdruck auf die Branche.

Im Vorfeld der Anhörung hatten Ärzte- und Apothekerv­ertretern, Krankenkas­sen sowie Pharmaverb­ände Stellungna­hmen abgegeben. Nach Ansicht des Bundesverb­and der Pharmazeut­ischen Industrie (BPI) stehen bei Lieferengp­ässen in den allermeist­en Fällen Alternativ­medikament­e anderer Hersteller zur Verfügung. Erweiterte Meldepflic­hten oder größere Lagerbestä­nde seien nicht sinnvoll.

„Wir dürfen Ärzte und Patienten bei Medikament­en-Engpässen nicht alleine lassen.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany