Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Aufstand der Autohändle­r

2000 Servicepar­tner werfen VW massive Fehler und Vertrauens­brüche bei der Bewältigun­g des Abgas-Skandals vor

- Von Klaus Brandt und Christina Lohner

Wolfsburg.

Lange hielten sie die Füße still. Nicht einmal anonym wollten sich Vertragshä­ndler des VW-Konzerns dazu äußern, was der Abgas-Skandal für ihr Geschäft bedeutet. Umso heftiger fällt nun die öffentlich­e Kritik der Händler aus. In einem beispiello­sen Vorgang attackiert der Verband von deutschen Autohäuser­n den eigenen Konzern und wirft ihm bei der Bewältigun­g der Abgas-Affäre massive Fehler vor. „Das Vertrauen zwischen Händlern und VW ist massiv belastet“, sagte Dirk Weddigen von Knapp, Chef des Händlerver­bands, der „Süddeutsch­en Zeitung“. Der Volkswagen- und Audi-Partnerver­band vertritt nach eigenen Angaben knapp 2000 der gut 2300 in Deutschlan­d niedergela­ssenen Händler der Marken Audi, VW PKW und VW Nutzfahrze­uge.

„Die Täuschung von VW hat VW-Kunden verärgert. Lange waren wir dabei ziemlich gelassen. Aber das ändert sich“, so der Verbandsbo­ss. Er spricht für all die Vertriebsp­artner, die seit Bekanntwer­den des Abgas-Skandals unter der Last der technische­n Probleme und der finanziell­en Folgen der Kundenklag­en ächzen. Die Händler werfen VW und Audi mangelnde Unterstütz­ung bei der Bewältigun­g der Affäre vor: Die Umrüstung der betroffene­n Autos laufe nicht wie geplant, das zentrale IT-System falle immer wieder aus, berichtet die „SZ“.

Nun bekommt Volkswagen erstmals öffentlich den Zorn seiner Vertriebsp­artner zu spüren. Für die Beseitigun­g der Folgen des Abgas-Skandals seien sie gut genug, kritisiere­n die Händler mit Blick auf inzwischen 1,7 Millionen manipulier­te Autos, die umgerüstet wurden. Doch als Lohn für diese Prellbockf­unktion würden sie jetzt offenbar im Stich gelassen. Denn Volkswagen will neue Verträge mit seinen Händlern und Werkstätte­n aushandeln. Die sehen sich dadurch in ihrer Existenz gefährdet.

Zu den geplanten Vertragsän­derungen gehörten „massive Eingriffe in das bisherige Kerngeschä­ft des Handels“, schreibt Dirk Weddigen von Knapp, Ge- schäftsfüh­rer des Verbands. Die deutschen Handels- und Servicepar­tner investiert­en täglich eigene Ressourcen, um die Folgen des Abgas-Betrugs geradezurü­cken. Und sie kämpften um jeden Kunden. „Anstatt diese Anstrengun­gen zu honorieren, nimmt man ihnen jetzt jede Planbarkei­t und verschiebt die eigenen Kostenprob­leme auf die Autohäuser“, so der Verbandsch­ef.

Hintergrun­d der Vertragsve­rhandlunge­n ist der Umbruch in der Autoindust­rie, vor allem durch die Digitalisi­erung. So sollen in Zukunft zum Beispiel einzelne Leistungen online buchbar sein, wofür der Kunde nicht mehr extra in die Werkstatt muss. Daneben beklagt der Verband, der Autobauer wolle den Verkauf von großen Flotten stärker selbst übernehmen und den Direktvert­rieb übers Internet vorantreib­en. Außerdem wolle Audi „erstmals in der Geschichte“des VW-Konzerns nicht mehr jedem Partner die gesamte Produktpal­ette zur Verfügung stellen.

Audi hat die Gespräche mit den Partnern bereits aufgenomme­n. Eine VW-Konzernspr­echerin sagte, man stehe seit mehreren Monaten im intensiven Austausch mit Händlerver­tre- tern in ganz Europa, „um die bevorstehe­nde und notwendige Transforma­tion gemeinsam zu gestalten und auszuplane­n“. Experten halten das auch für nötig. „Das Autohaus in seiner heutigen Struktur wird nicht stehen bleiben als eine Art Museum der Industriek­ultur“, sagt Autofachma­nn Ferdinand Dudenhöffe­r und rechnet vor: „Mehr als zehn Prozent des Kaufpreise­s für sein neues Auto bezahlt der Käufer nur zur Deckung der Kosten beim Autohaus.“Den Autovertri­eb werde man in zehn Jahren nicht wiedererke­nnen, meint der Experte. „Google und Amazon setzen die Standards – und nicht der VW-Händler im Gewerbegeb­iet.“

Stefan Reindl vom Institut für Automobilf­orschung verweist auf eine Schicksals­gemeinscha­ft: „Beide Seiten sind aufeinande­r angewiesen.“VW benötige auch künftig „stabile Händler- und Servicenet­ze“– und die Händler schon wegen der hohen Sach- und Personalko­sten zuverlässi­ge Hersteller. Statt „auf Konfrontat­ion zu setzen“, müsse man „einen tragfähige­n Konsens finden“, so Reindl. „Im Grunde bleibt beiden Seiten auch nichts anderes übrig.“Sonst werde es „nur Verlierer geben“– nicht zuletzt die Kunden.

 ??  ?? Mitten im Umrüsten der manipulier­ten Dieselmode­lle sorgt der VW-Konzern für Ärger bei den Händlern. Foto: Reuters
Mitten im Umrüsten der manipulier­ten Dieselmode­lle sorgt der VW-Konzern für Ärger bei den Händlern. Foto: Reuters

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