Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Aufstand der Autohändler
2000 Servicepartner werfen VW massive Fehler und Vertrauensbrüche bei der Bewältigung des Abgas-Skandals vor
Wolfsburg.
Lange hielten sie die Füße still. Nicht einmal anonym wollten sich Vertragshändler des VW-Konzerns dazu äußern, was der Abgas-Skandal für ihr Geschäft bedeutet. Umso heftiger fällt nun die öffentliche Kritik der Händler aus. In einem beispiellosen Vorgang attackiert der Verband von deutschen Autohäusern den eigenen Konzern und wirft ihm bei der Bewältigung der Abgas-Affäre massive Fehler vor. „Das Vertrauen zwischen Händlern und VW ist massiv belastet“, sagte Dirk Weddigen von Knapp, Chef des Händlerverbands, der „Süddeutschen Zeitung“. Der Volkswagen- und Audi-Partnerverband vertritt nach eigenen Angaben knapp 2000 der gut 2300 in Deutschland niedergelassenen Händler der Marken Audi, VW PKW und VW Nutzfahrzeuge.
„Die Täuschung von VW hat VW-Kunden verärgert. Lange waren wir dabei ziemlich gelassen. Aber das ändert sich“, so der Verbandsboss. Er spricht für all die Vertriebspartner, die seit Bekanntwerden des Abgas-Skandals unter der Last der technischen Probleme und der finanziellen Folgen der Kundenklagen ächzen. Die Händler werfen VW und Audi mangelnde Unterstützung bei der Bewältigung der Affäre vor: Die Umrüstung der betroffenen Autos laufe nicht wie geplant, das zentrale IT-System falle immer wieder aus, berichtet die „SZ“.
Nun bekommt Volkswagen erstmals öffentlich den Zorn seiner Vertriebspartner zu spüren. Für die Beseitigung der Folgen des Abgas-Skandals seien sie gut genug, kritisieren die Händler mit Blick auf inzwischen 1,7 Millionen manipulierte Autos, die umgerüstet wurden. Doch als Lohn für diese Prellbockfunktion würden sie jetzt offenbar im Stich gelassen. Denn Volkswagen will neue Verträge mit seinen Händlern und Werkstätten aushandeln. Die sehen sich dadurch in ihrer Existenz gefährdet.
Zu den geplanten Vertragsänderungen gehörten „massive Eingriffe in das bisherige Kerngeschäft des Handels“, schreibt Dirk Weddigen von Knapp, Ge- schäftsführer des Verbands. Die deutschen Handels- und Servicepartner investierten täglich eigene Ressourcen, um die Folgen des Abgas-Betrugs geradezurücken. Und sie kämpften um jeden Kunden. „Anstatt diese Anstrengungen zu honorieren, nimmt man ihnen jetzt jede Planbarkeit und verschiebt die eigenen Kostenprobleme auf die Autohäuser“, so der Verbandschef.
Hintergrund der Vertragsverhandlungen ist der Umbruch in der Autoindustrie, vor allem durch die Digitalisierung. So sollen in Zukunft zum Beispiel einzelne Leistungen online buchbar sein, wofür der Kunde nicht mehr extra in die Werkstatt muss. Daneben beklagt der Verband, der Autobauer wolle den Verkauf von großen Flotten stärker selbst übernehmen und den Direktvertrieb übers Internet vorantreiben. Außerdem wolle Audi „erstmals in der Geschichte“des VW-Konzerns nicht mehr jedem Partner die gesamte Produktpalette zur Verfügung stellen.
Audi hat die Gespräche mit den Partnern bereits aufgenommen. Eine VW-Konzernsprecherin sagte, man stehe seit mehreren Monaten im intensiven Austausch mit Händlervertre- tern in ganz Europa, „um die bevorstehende und notwendige Transformation gemeinsam zu gestalten und auszuplanen“. Experten halten das auch für nötig. „Das Autohaus in seiner heutigen Struktur wird nicht stehen bleiben als eine Art Museum der Industriekultur“, sagt Autofachmann Ferdinand Dudenhöffer und rechnet vor: „Mehr als zehn Prozent des Kaufpreises für sein neues Auto bezahlt der Käufer nur zur Deckung der Kosten beim Autohaus.“Den Autovertrieb werde man in zehn Jahren nicht wiedererkennen, meint der Experte. „Google und Amazon setzen die Standards – und nicht der VW-Händler im Gewerbegebiet.“
Stefan Reindl vom Institut für Automobilforschung verweist auf eine Schicksalsgemeinschaft: „Beide Seiten sind aufeinander angewiesen.“VW benötige auch künftig „stabile Händler- und Servicenetze“– und die Händler schon wegen der hohen Sach- und Personalkosten zuverlässige Hersteller. Statt „auf Konfrontation zu setzen“, müsse man „einen tragfähigen Konsens finden“, so Reindl. „Im Grunde bleibt beiden Seiten auch nichts anderes übrig.“Sonst werde es „nur Verlierer geben“– nicht zuletzt die Kunden.