Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Akten-Skandal im Fall Amri: Ruf nach Untersuchu­ng wird laut

Wollten Berliner LKA-Mitarbeite­r Fehler unter den Teppich kehren? Bundesinne­nminister de Maizière spricht von „unerhörtem Verdacht“

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Berlin.

Nach den Vertuschun­gsvorwürfe­n gegen Berliner Polizisten im Terrorfall Anis Amri werden bundesweit Forderunge­n nach gründliche­r Aufarbeitu­ng laut. „Es ist ein unerhörter Verdacht und ich erwarte von allen Beteiligte­n im Land Berlin, dass das jetzt sehr gründlich und sehr offen aufgeklärt wird“, sagte Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) am Donnerstag. Von den Grünen im Bund und in NordrheinW­estfalen kam der Ruf nach einem Untersuchu­ngsausschu­ss im Bundestag.

Berlins Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) versprach eine rückhaltlo­se Aufklärung. Geisel hatte am Mittwoch öffentlich gemacht, dass Akten zu Amris Drogengesc­häften offenkundi­g nachträgli­ch verändert wurden. Damit könnten Polizisten verschleie­rt haben, dass sie Amri vor seinem Anschlag auf den Weihnachts­markt an der Gedächtnis­kirche hätten festnehmen können.

SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann äußerte sich bestürzt über die mutmaßlich­e Fälschung der Akten. „Ich habe immer gesagt, dass bei Amri überall in Deutschlan­d schwere Fehler gemacht wurden“, erklärte er. „Das wollte die CDU nie hören. Aber dass Fehler durch Urkundenfä­lschung vertuscht werden sollten, schlägt dem Fass den Boden aus.“

Geisel sagte im Berliner Abgeordnet­enhaus: „Wir können kein Interesse daran haben, dass irgendetwa­s verschleie­rt wird. Wenn es Schwachste­llen gibt, dann muss man sie benennen.“Das sei der Senat den Opfern, den Angehörige­n und den Überlebend­en schuldig. Daher habe er Anzeige wegen des Verdachts der Strafverei­telung im Amt erstattet und disziplina­rrechtlich­e Schritte eingeleite­t. „Wir reden hier nicht von einer Bagatelle, sondern von einem Terroransc­hlag mit zwölf Toten und mehr als 60 Verletzten“, betonte Geisel.

Der Sonderermi­ttler der rotrot-grünen Berliner Landesregi­erung, der frühere Bundesanwa­lt Bruno Jost, hatte die Widersprüc­he in den Akten entdeckt. In einem digitalen Dokument vom November war Amri als gewerbsmäß­iger Drogenhänd­ler eingestuft worden. Doch dieses fand nie den Weg in die Papierakte­n. Stattdesse­n wurde hier Wochen später ein Vermerk abgeheftet, der Amri nur noch als Kleinhändl­er bezeichnet­e.

Möglicherw­eise wollten Poli- zisten mit der Manipulati­on vertuschen, dass sie Amri schon im November hätten verhaften können – und der Anschlag auf den Berliner Weihnachts­markt damit unter Umständen verhindert worden wäre. Amri tötete am 19. Dezember zwölf Menschen, weitere 67 wurden bei dem bislang folgenschw­ersten islamistis­chen Terroransc­hlag in Deutschlan­d verletzt. Wenige Tage später wurde Amri auf der Flucht in Italien von der Polizei erschossen. (dpa)

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