Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Spiderman ist ein Bösewicht
Urheberrechtsverletzungen und viel Spaß: Das ist die Welt der türkischen Trash-Film-Industrie seit mehr als 50 Jahren – ein Streifzug
Creuzburg/Istanbul.
Für die meisten Filmfans ist es ein unvorstellbarer Umstand: Spiderman ist ein Bösewicht. Doch im türkischen Kino ist alles möglich!
1973 wurde der Film „3 Dev Adam“( „Drei mächtige Männer“) in den türkischen Kinos gezeigt. Ein Film-Plagiat erster Güte. Da es zu der Zeit ein schwieriges Unterfangen war, westliches Kinogut in diesem Land zu zeigen, nahmen sich damals unerschrockene Filmemacher populärer Stoffe an. Und kreierten ihre Form von Unterhaltung für die Türken. „Mit einem Wort: Guerilla-Kino“, sagt Filmsammler Alex Brannau aus Creuzburg (Wartburgkreis). Mit einfachsten Mitteln und sichtlich Spaß an der Arbeit zauberten die Regisseure mit einem Hauch von Nichts, finanziell wie technisch, ihre Variante auf die Kinoleinwand. Und in dieser Version ist Spiderman, der Spinnenmann mit Superkräften aus den gleichnamigen amerikanischen Comics, ein Bösewicht. Captain America, ein Superhelden-Kollege des Spinnenmanns, kämpft gemeinsam mit einem mexikanischen Superhelden, El Santo, gegen den Übeltäter. Urheberrechte seien offenbar nahezu unbekannt gewesen, oder schlicht egal. Es sei „schamlos zusammengeklaut“worden, was das Zeug hielt. Ein weiteres Beispiel ist „Dünyayi Kurtaran Adam“(„Der Mann, der die Welt rettet“). Die türkische Variante von „Star Wars“. 1982, so die Legende, „lieh“sich der Regisseur Çetin Inanç eine Originalfilmrolle des Films, filmte einige Szenen ab und kopierte diese in seinen Film. Ohne Lizenzgebühren abzuführen oder gar um Erlaubnis zu fragen. Nebenbei integriert Inanç noch die Filmmusik von „Indiana Jones“und – man ahnt es schon – alles ohne Lizenz. Ein wildes Vergnügen. Dass der Film, außer vielleicht noch in der Türkei selbst, sehr wahrscheinlich unveröffentlichbar ist, ist die logische Konsequenz. Denn der weltweite „Star-Wars“-Rechteinhaber Disney hätte sicherlich etwas dagegen.
Ali Murat Güven, ein Istanbuler Filmhistoriker, Dokumentarfilmer und Journalist fand im vergangenen Jahr in einem alten Bauernhaus eine gut erhaltene Kinokopie von „Türkisch Star Wars“, wie er auch genannt wird, und verkaufte ihn an einen Sammler in den USA. Wie und ob der Film je in den DVD-Regalen stehen wird, steht in den Sternen.
„Man braucht auch einen besonderen Nerv um an solchen Filmen gefallen zu finden“, gibt der Filmfan Alex Brannau schmunzelnd zu verstehen. „Bestimmten Kumpels würde ich diese Filme nicht antun.“Es sei schon eine komplett andere Filmwelt. Seiner Meinung nach gebe es nur Schwarz oder Weiß: „Entweder man wird totaler Fan dieser türkischen Filme oder man sieht sie als totalen Mist an, dazwischen gibt’s nichts.“Für ihn jedenfalls ist es ein riesiger Spaß, den Männern in verrückten Kostümen zuzuschauen. „Den türkischen Filmemachern ist schon bewusst gewesen, dass das alles nicht so ernst zu nehmen ist, was man fürs Kino produzierte“, so Bran- nau. Etwas anders sieht das der Journalist Ali Murat Güven. Er sieht es mit den Augen eines türkischen Filmproduzenten. Für ihn ist es mehr als türkischer „Trash“, also überspitzt gesagt hanebüchener Unsinn auf Zelluloid. „Im Laufe der Zeit entwi- ckeln sich manche Filme aus dem Bereich zu Kult, weil sie ungewöhnliche, kreative oder originelle Motive in sich haben“, sagt Güven. Einige Trash-Filmemacher, heute wie damals, lieben ihren Job so sehr, dass sie mit wenig Geld ein Maximum he- rausholen. „Es ist nicht blöd, einen Kinofilm mit einem Budget von 50 000 US-Dollar zu machen. Sie begreifen es als Herausforderung und zeigen Mut.“
Eine zusätzliche Ebene schafft die kulturelle Note. Islamische Elemente zeigen sich in dem eins zu eins nachgedrehten Film „Der Exorzist“. Der 1973 gedrehte Streifen von William Friedkin ist bis heute Kulturgut und ein Meisterstück des Psychohorror-Genre. Darin wir ein Mädchen von einem Dämon in Besitz genommen, zwei christliche Priester versuchen einen Exorzismus mit ungeahnten Folgen.
Im türkischen Plagiat mit dem Namen „Seytan“(„Teufel“) wird der stark mit christlicher Symbolik beladene Originalfilm zum Teil islamisiert. Ein Priester wird zum Psychologen, während der andere zu einem islamischen Geistlichen wird.
Abfilmen – ein wildes Vergnügen
Nach einem Jahr nur 200 DVDs verkauft
Ungeachtet dessen, oder vielleicht auch weil es diese Unterschiede gibt, gibt es Filmfans auf der ganzen Welt, die türkische Trash-Filme lieben. Einer von ihnen ist der verstorbene Grieche Vasilis Barounis. Er war der weltweit einzige, der mit seinem Label „Onar Films“DVDs für den internationalen Markt produzierte. Denn die Sprachbarriere für nicht-türkisch sprechende Menschen ist immens. Barounis 14 DVDs hatten immerhin englische Untertitel. Da er vor vielen Jahren starb und sich keiner mehr mit solcher Passion ernsthaft wieder an das Wagnis „türkischer Trash“heran wagte, sind die streng limitierten Veröffentlichungen nur noch selten zu finden. Und wenn, dann zu horrenden Preisen. Auf Youtube sind die meisten jedoch zu finden.
Ali Murat Güven wagte sich im vergangenen Jahr dann doch wieder an die DVD-Produktion von türkischen Trash-Filmen für den internationalen Markt, mit seiner Firma „Aztek Film“. Der Verkauf von 1000 Scheiben von „Operation Codename: Long Live The Fatherland!“, so der erste Titel, verläuft allerdings sehr schleppend. Nach einem Jahr seien etwa 200 verkauft, so Güven. Wahrscheinlich hat er mit einem profanen Actionfilm von 1991 eine unglückliche Wahl getroffen, um eine DVD-Serie zu begründen.
Man mag es kaum glauben, aber es ist schwer, trotz Internet, den Filmfans auf der ganzen Welt türkisches Kulturgut zu verkaufen, ja überhaupt davon zu erzählen.
Doch Güven gibt nicht auf, er sucht aktuell wieder Unterstützer für die zweite DVD-Veröffentlichung: „Ringo versus Gestapo“– das verspricht jedenfalls ein wilder Mix aus einer Westerngeschichte mit Nazis zu werden. Verrückt? Nein, irgendwie türkisch.
Wer sich für die DVDs von Aztek Films und Rest-Exemplare von Onar Films interessiert, kann Ali Murat Güven kontaktieren: aztekproductions.turkey@ gmail.com