Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Wenn der Weg das Ziel ist
Eine Sonderausstellung dokumentiert in Erfurt die Anfänge und Geschichte des Pilgerwesens. Das Feierabendpilgern wird zum Gegenwartstrend
Christi Himmelfahrt steht vor der Tür und lockt alljährlich etliche Wallfahrer zum kollektiven Rausch. In dem Zusammenhang ist das Wort „Wallfahrt“nach Ansicht vieler Pilger auch etwas deplatziert.
Wandern ist mittlerweile zu einer Art Hype und omnipräsenten Modeerscheinung geworden, der man sich kaum noch entziehen kann. Ein Trend, der eigentlich schon Jahrtausende alt ist und einst vom Apostel Jakobus ins Leben gerufen wurde, diente seither für unzählige Nachahmer. Prominente und weniger Rampenlicht-Geplagte begeben sich gleichermaßen auf eine Reise, die vielen den Alltagsstress vergessen lässt. Pil-
Erfurt.
gern ist heute das, was der berühmte Arzt der Antike, Hippokrates, mit den Worten: „Gehen ist des Menschen beste Medizin“charakterisierte – eine ganzheitliche Therapie für Leib und Seele. Egal, ob man sich nur eine Auszeit gönnen möchte oder einen Schicksalsschlag verarbeiten will – „der Pilgerweg bleibt immer auch ein spiritueller Weg“, beschreibt Brunhilde Schierl, selbst aktive Pilgerin und Buchautorin.
Anlässlich des gesteigerten Interesses und der langen Geschichte bietet das Museum für Thüringer Volkskunde in Erfurt eine Sonderausstellung zu diesem Thema. „Schließlich blickt das Pilgerwesen auch in Thüringen auf eine lange Tradition zurück“, wie Ausstellungs- kuratorin Andrea Steiner-Sohn verrät. Zahlreiche Exponate, archäologische Fundstücke sowie private Leihgaben erzählen von einer Kultur der Gegenwart und einer glaubensstarken Lebensweise der Vergangenheit. Pilgerten die Menschen in früheren Tagen fast ausausnahmslos aus religiösen Überzeugungen, so wird heute auch gepilgert, ohne einer bestimmten Religion anzugehören: einfach, um den Alltagstrott zu vergessen und einer immer verrückter werdenden, digitalisierten Welt zu entfliehen. Selbst die zurückgelegte Strecke und der Zielort spielen für Spontan-Pilger eine eher untergeordnete Rolle. Feierabendpilgern wird zum geflügelten Wort für Kurzentschlossene. Wem also der Gang nach Santi- ago de Compostela etwas zu beschwerlich oder zu zeitaufwendig ist, der schlägt eben kurzerhand nach Feierabend den Weg entlang heimischer Wiesen und Felder ein – für einen kleinen Moment der Selbstfindung.
„Egal, ob nur 3 Stunden oder aber 30 Tage. Viel wichtiger ist es überhaupt rauszugehen und den Menschen zu begegnen. Das Pilgern verbindet. Man trifft sich als Fremde und trennt sich schließlich als Freunde“, gewährt Brunhilde Schierl Einblicke in ihre eigenen, durchweg positiven Erfahrungen. Wanderschuhe, Rucksack und Sonnenhut mehr braucht es eigentlich nicht. Auch am Donnerstag werden wieder viele Pilger unterwegs sein, allerdings die wenigsten mit spirituellen Absichten.