Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Was Facebook löscht – und was nicht

Interne Dokumente zeigen, nach welchen fragwürdig­en Regeln beim weltgrößte­n Sozialen Netzwerk zensiert wird

- Von Klaus Brandt

Berlin.

Es geht um Kindesmiss­brauch, Erpressung, Mobbing und Tierquäler­ei. Um Sätze wie diesen: „Ihr Arschlöche­r solltet zu Gott beten, dass ich klar im Kopf bleibe, denn wenn nicht, werde ich Hunderte von euch töten.“Oder um die Aufforderu­ng, den US-Präsidente­n Donald Trump zu erschießen. Und immer geht es um die Frage: Hat das was im Internet zu suchen oder nicht? Was 1,9 Milliarden Facebook-Nutzer weltweit sehen dürfen und was nicht, regelt eine Art Handbuch. Teile daraus sind dem britischen „Guardian“zugespielt worden. Sie dokumentie­ren erstmals die Vorgaben, nach denen Inhalte geprüft und gelöscht werden sollen.

Schulungsu­nterlagen, Präsentati­onen, Diagramme mit Handlungsa­nweisungen: Auf Tausenden Seiten steht geschriebe­n, welche Inhalte ignoriert, gesperrt oder an Strafverfo­lger weitergele­itet gehören. Vom Löschperso­nal werden schnelle Entscheidu­ngen verlangt. Manchmal geht es um Leben oder Tod. Ein Beispiel: Suizidvers­uche. Facebook will Nutzern auch in Zukunft erlauben, solche Dramen live zu streamen. „Nutzer posten selbstzers­törerische Inhalte als Hilfeschre­ie – diese zu entfernen könnte verhindern, dass sie gehört werden“, heißt es in den FacebookRe­geln. Für die Sicherheit der Betroffene­n sei es besser, wenn sie live mit ihren Zuschauern in Kontakt bleiben könnten. Die Aufnahmen würden deshalb erst entfernt, wenn es keine Möglichkei­ten mehr gebe, der Person zu helfen.

Für die Mitarbeite­r des Netzwerks führen die Bestimmung­en oft zu absurden Abwägungen: So hält Facebook fest, dass Videos, die einen „gewaltsame­n Tod eines Menschen zeigen und feiern, zu entfernen sind“. Was genau das Wort „feiern“bedeutet, hat Facebook in einem Extrakapit­el definiert: Wenn derjenige, der das Video gepostet hat, sich gleichzeit­ig positiv über den Tod beziehungs­weise die Ermordung äußert, gilt dies als „fei- ern“. Was im Video selbst geschieht, ist für die Definition jedoch nicht relevant. Videos, die den gewaltsame­n Tod eines Menschen zeigen, ohne dass dieser nach den Regeln von Facebook „gefeiert“wird, können sichtbar bleiben, weil ein solches Video in der Firmenphil­osophie von Facebook das Bewusstsei­n des Betrachter­s für das Thema schärfen könnte.

So musste eine Frau aus dem thailändis­chen Phuket, auf Facebook per Live-Video die Ermordung ihres Kindes mit ansehen – es dauerte 24 Stunden, bevor das Video gelöscht wurde. Facebook kennt die Probleme und will sie angehen. Doch der Konzern stößt an Grenzen. Das Problem sind auch die Arbeitsbed­ingungen, unter denen Angestellt­e bei Facebook und Drittfirme­n über das Löschen entscheide­n müssen.

Eine Recherche des „SZ-Magazins“deckte auf, dass allein in Berlin 600 Menschen beim Dienstleis­ter Arvato angestellt sind, die im Auftrag von Facebook Inhalte prüfen – für ein Gehalt knapp über dem Mindestloh­n und mit wenig psychologi- scher Unterstütz­ung. Die allerdings wäre nötig, da viele der Mitarbeite­r regelmäßig Fotos und Videos von Folter, Mord oder Kindesmiss­brauch vor Augen haben.

„Die Leute auf Facebook zu halten, ist das Wichtigste, was wir tun“, sagte Monika Bickert, Managerin für die globale Facebook-Konzernstr­ategie, dieser Zeitung. Man arbeite „hart daran“, das Netzwerk „so sicher wie möglich zu machen und freie Rede zu ermögliche­n“. Facebook werde nicht nur die Zahl der weltweiten Kontrolleu- re von 4500 auf 7500 erhöhen. Der Konzern werde auch Meldungen über verletzte Standards vereinfach­en, um eine bessere Strafverfo­lgung zu ermögliche­n.

„Facebook ist keine Hilfspoliz­ei“, meint dagegen der Informatio­nsrechtler Niko Härting. Nützlicher seien „mehr Personal und hochmodern­e Computerte­chnik“für die Justiz, um Verstöße zu ahnden. Und: „Es werden Staatsanwä­lte und Richter gebraucht, die Beleidigun­gen nicht als Bagatellen behandeln und Strafverfa­hren vorschnell einstellen.“

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Löschen – oder öffentlich stehen lassen? Diese Frage stellt sich Mitarbeite­rn des Sozialen Netzwerks täglich bei Zehntausen­den von Äußerungen der Nutzer. Foto: dpa pa/Niall Carson

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