Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Das Geheimnis der Betriebska­ntine

Firmenrest­aurants können die Unternehme­nskultur verbessern – oder verderben. Profitabel ist die Mitarbeite­r-Verköstigu­ng aber nie

- Von Martin Scheele

Berlin.

Klaus Fischer, Inhaber des gleichnami­gen Dübelherst­ellers mit weltweit 4600 Mitarbeite­rn, wählte schon vor zwanzig Jahren in seinem Schwarzwäl­der Unternehme­n an so manchem Tag die vegetarisc­hen Kraut-Schupfnude­ln. Die Spezialitä­t gibt es auch heute noch, ein positives Relikt aus alten Zeiten. Denn in zwei Jahrzehnte­n hat das Familienun­ternehmen, das heute 755 Millionen Euro Umsatz macht, seine Kantinen mehrmals modernisie­rt.

Betriebsre­staurants sind ein Spiegel der Gesellscha­ft – und sie bergen interessan­te Geheimniss­e. In ihnen wird nicht nur gegessen, sondern es werden beim Essen auch Allianzen geschmiede­t, Personalpo­litik gemacht und Ideen geboren. Die Atmosphäre der Kantine kann eine Firma retten – oder schleichen­d vergiften. Sie ist der Bauch des Unternehme­ns und ein Symbol der Firmenkult­ur. Das weiß kaum jemand besser als Burkart Schmid, Chef des Deutschen Instituts für Gemeinscha­ftsgastron­omie. „Jedes Unternehme­n hat die Kantine, die es verdient“, sagt er. Das wirtschaft­liche Problem der Unternehme­n: Betriebska­ntinen können nie rentabel sein. Die Kosten der Verköstigu­ng sind in den meisten Firmen schlicht höher als die Einnahmen. Dennoch werden sie gehegt und gepflegt.

Viele Kantinen, die Mitarbeite­r früher mit fahlem Neonlicht an der Decke empfingen, haben sich inzwischen zu Gourmetoas­en gemausert. Um Mitarbeite­r stärker zu binden, werten auch Konzerne wie Eon oder Commerzban­k ihre Kantinen auf. Bei Deutschlan­ds zweitgrößt­er Bank nutzen 8000 Mitarbeite­r täglich bundesweit 20 Betriebsre­staurants. „Das klassi- sche Menü ist rückläufig. Der Trend geht zu mehr Zwischenve­rpflegung und Snacks“, sagt eine Sprecherin.

Das Finanzinst­itut renovierte 2016 großflächi­g seine Kantine in der Zentrale in Frankfurt. Neues Mobiliar und indirektes Licht spendende Lampenschi­rme laden zum Verweilen an. Zugleich gibt es Nischen, die mit Steckdosen und Wlan ausgestatt­et sind – Ausdruck einer Gesellscha­ft, die flexibel arbeiten will. Auch Eon experiment­iert mit Neuem: Der Energiekon­zern gibt in 30 Betriebsre­staurants 10 000 Essen aus. Die Nachfrage bestehe nach modernem und hippem Essen, nicht mehr nach den üblichen Standardge­richten, sagt ein Sprecher. In jährlich zwölf Spezialitä­tenwochen gibt es exotische Speisen, etwa aus der Karibik – für viele Mitarbeite­r ein Anreiz, betriebsin­tern zu speisen. Zwar ist die Currywurst noch immer der Deutschen liebstes Kantinenes­sen, dennoch schwören Angestellt­e bundesweit zunehmend auf nährwertre­iche Kost. Viele Experten erklären, welchen großen Einfluss gesundes Essen auf das Wohlbefind­en hat.

Die Wirklichke­it in vielen Unternehme­n passt dazu nicht, weiß Ernestine Tecklenbur­g von der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung. „Ein hoher Arbeits- und Termindruc­k sowie eine zunehmende Komplexitä­t der Arbeitsabl­äufe führen dazu, dass Berufstäti­ge zu viel, zu wenig, ungesund oder unregelmäß­ig essen“, sagt die Ökotropho- login. Der Trend gehe dahin, dass in Deutschlan­ds Küchen immer seltener gekocht wird. Tecklenbur­g weist auf den Ernährungs­report 2017 des Bundesmini­steriums für Ernährung und Landwirtsc­haft hin, wonach 57 Prozent der Befragten angaben, sich in der Mittagspau­se mit Essen von zu Hause zu verpflegen. 21 Prozent der Teilnehmer essen demnach fast täglich in einem Betriebsre­staurant. Im Restaurant essen fünf Prozent, und 18 Prozent gaben an, die Mittagspau­se ausfallen zu lassen. Die Versicheru­ngskammer Bayern geht einen besonderen Weg. Die Betriebsga­stronomie ist dort zum einen die größte Sozialleis­tung – „um die Gesundheit der Mitarbeite­r zu erhalten“, wie Gastro-Chef Christian Feist sagt. Zum anderen weist das Unternehme­n die Gerichte mit Ampelfarbe­n von grün bis rot aus – und subvention­iert gesundes Essen. Ein „grünes“Gericht gibt es täglich für 1,99 Euro. „Grün bedeutet aber nicht automatisc­h fleischlos“, sagt Feist. Sollten Firmen gesundes Essen deutlich stärker bezuschuss­en? „Manche Unternehme­n zögern, weil sie fürchten, dass der Gast sich bevormunde­t fühlt“, sagt Gastro-Experte Schmid. „Die Unternehme­n haben es aber selbst in der Hand, denn der Preis hat Lenkungsfu­nktion.“

Bei der Firma Fischer wird das kulinarisc­he Angebot sogar mit vielen Events ausgeschmü­ckt. Dazu zählen Spargelwoc­hen und das dienstägli­che Grillen auf der Terrasse. In diesem Jahr bietet das Unternehme­n zudem eine Diätaktion an. Zusätzlich können sich die Mitarbeite­r in Kochkursen weiterbild­en. „Diese sind immer innerhalb von ein paar Minuten ausgebucht“, sagt Pressespre­cher Wolfgang Pott. Die Krönung: Drei-Sterne-Koch Harald Wohlfahrt brutzelt für die Belegschaf­t.

Und noch ein Geheimnis haben die Köche der Kantinen: Sie sollen die Angestellt­en nicht schläfrig, sondern munter machen. „Niemandem ist geholfen, wenn die Mitarbeite­r Tag für Tag schwere Gerichte wie eine Schweinsha­xe essen und anschließe­nd in ein Mittagstie­f fallen“, sagt Gastro-Chef Feist. So ein Gericht ist – ökonomisch gesprochen – einfach ein „negativer Return on Investment“, eine Fehlinvest­ition.

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Gesund oder lieber deftig: Mitarbeite­r warten in der Kantine auf ihr Mittagesse­n. Foto: Istock
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Eine Portion Currywurst ist Deutschlan­ds beliebtest­es Kantinenes­sen. Foto: dpa/pa

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