Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Das Geheimnis der Betriebskantine
Firmenrestaurants können die Unternehmenskultur verbessern – oder verderben. Profitabel ist die Mitarbeiter-Verköstigung aber nie
Berlin.
Klaus Fischer, Inhaber des gleichnamigen Dübelherstellers mit weltweit 4600 Mitarbeitern, wählte schon vor zwanzig Jahren in seinem Schwarzwälder Unternehmen an so manchem Tag die vegetarischen Kraut-Schupfnudeln. Die Spezialität gibt es auch heute noch, ein positives Relikt aus alten Zeiten. Denn in zwei Jahrzehnten hat das Familienunternehmen, das heute 755 Millionen Euro Umsatz macht, seine Kantinen mehrmals modernisiert.
Betriebsrestaurants sind ein Spiegel der Gesellschaft – und sie bergen interessante Geheimnisse. In ihnen wird nicht nur gegessen, sondern es werden beim Essen auch Allianzen geschmiedet, Personalpolitik gemacht und Ideen geboren. Die Atmosphäre der Kantine kann eine Firma retten – oder schleichend vergiften. Sie ist der Bauch des Unternehmens und ein Symbol der Firmenkultur. Das weiß kaum jemand besser als Burkart Schmid, Chef des Deutschen Instituts für Gemeinschaftsgastronomie. „Jedes Unternehmen hat die Kantine, die es verdient“, sagt er. Das wirtschaftliche Problem der Unternehmen: Betriebskantinen können nie rentabel sein. Die Kosten der Verköstigung sind in den meisten Firmen schlicht höher als die Einnahmen. Dennoch werden sie gehegt und gepflegt.
Viele Kantinen, die Mitarbeiter früher mit fahlem Neonlicht an der Decke empfingen, haben sich inzwischen zu Gourmetoasen gemausert. Um Mitarbeiter stärker zu binden, werten auch Konzerne wie Eon oder Commerzbank ihre Kantinen auf. Bei Deutschlands zweitgrößter Bank nutzen 8000 Mitarbeiter täglich bundesweit 20 Betriebsrestaurants. „Das klassi- sche Menü ist rückläufig. Der Trend geht zu mehr Zwischenverpflegung und Snacks“, sagt eine Sprecherin.
Das Finanzinstitut renovierte 2016 großflächig seine Kantine in der Zentrale in Frankfurt. Neues Mobiliar und indirektes Licht spendende Lampenschirme laden zum Verweilen an. Zugleich gibt es Nischen, die mit Steckdosen und Wlan ausgestattet sind – Ausdruck einer Gesellschaft, die flexibel arbeiten will. Auch Eon experimentiert mit Neuem: Der Energiekonzern gibt in 30 Betriebsrestaurants 10 000 Essen aus. Die Nachfrage bestehe nach modernem und hippem Essen, nicht mehr nach den üblichen Standardgerichten, sagt ein Sprecher. In jährlich zwölf Spezialitätenwochen gibt es exotische Speisen, etwa aus der Karibik – für viele Mitarbeiter ein Anreiz, betriebsintern zu speisen. Zwar ist die Currywurst noch immer der Deutschen liebstes Kantinenessen, dennoch schwören Angestellte bundesweit zunehmend auf nährwertreiche Kost. Viele Experten erklären, welchen großen Einfluss gesundes Essen auf das Wohlbefinden hat.
Die Wirklichkeit in vielen Unternehmen passt dazu nicht, weiß Ernestine Tecklenburg von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. „Ein hoher Arbeits- und Termindruck sowie eine zunehmende Komplexität der Arbeitsabläufe führen dazu, dass Berufstätige zu viel, zu wenig, ungesund oder unregelmäßig essen“, sagt die Ökotropho- login. Der Trend gehe dahin, dass in Deutschlands Küchen immer seltener gekocht wird. Tecklenburg weist auf den Ernährungsreport 2017 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft hin, wonach 57 Prozent der Befragten angaben, sich in der Mittagspause mit Essen von zu Hause zu verpflegen. 21 Prozent der Teilnehmer essen demnach fast täglich in einem Betriebsrestaurant. Im Restaurant essen fünf Prozent, und 18 Prozent gaben an, die Mittagspause ausfallen zu lassen. Die Versicherungskammer Bayern geht einen besonderen Weg. Die Betriebsgastronomie ist dort zum einen die größte Sozialleistung – „um die Gesundheit der Mitarbeiter zu erhalten“, wie Gastro-Chef Christian Feist sagt. Zum anderen weist das Unternehmen die Gerichte mit Ampelfarben von grün bis rot aus – und subventioniert gesundes Essen. Ein „grünes“Gericht gibt es täglich für 1,99 Euro. „Grün bedeutet aber nicht automatisch fleischlos“, sagt Feist. Sollten Firmen gesundes Essen deutlich stärker bezuschussen? „Manche Unternehmen zögern, weil sie fürchten, dass der Gast sich bevormundet fühlt“, sagt Gastro-Experte Schmid. „Die Unternehmen haben es aber selbst in der Hand, denn der Preis hat Lenkungsfunktion.“
Bei der Firma Fischer wird das kulinarische Angebot sogar mit vielen Events ausgeschmückt. Dazu zählen Spargelwochen und das dienstägliche Grillen auf der Terrasse. In diesem Jahr bietet das Unternehmen zudem eine Diätaktion an. Zusätzlich können sich die Mitarbeiter in Kochkursen weiterbilden. „Diese sind immer innerhalb von ein paar Minuten ausgebucht“, sagt Pressesprecher Wolfgang Pott. Die Krönung: Drei-Sterne-Koch Harald Wohlfahrt brutzelt für die Belegschaft.
Und noch ein Geheimnis haben die Köche der Kantinen: Sie sollen die Angestellten nicht schläfrig, sondern munter machen. „Niemandem ist geholfen, wenn die Mitarbeiter Tag für Tag schwere Gerichte wie eine Schweinshaxe essen und anschließend in ein Mittagstief fallen“, sagt Gastro-Chef Feist. So ein Gericht ist – ökonomisch gesprochen – einfach ein „negativer Return on Investment“, eine Fehlinvestition.