Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Erfurts Liebe zu den zwei Begonien

Die Stadt versucht, mit 1,4 Millionen Euro ein Emil-Nolde-Bild zurückzuka­ufen. Sie scheitert bei der Auktion an einem Privatsamm­ler

- Von Michael Helbing

Erfurt.

„Man drohte damals“, spottete einst George Grosz, „gelegentli­ch den unartigen Kindern: ,Du, ich sag’s dem Nolde, der holt Dich sofort ab und schmiert Dich auf die Leinwand.‘“Wie Künstler halt so unteroder eben übereinand­er reden; man konnte das bis vor zwei Wochen in einer Ausstellun­g des Nordhäuser Kunsthause­s Meyenburg lesen.

Mag darin eine pointierte Stilkritik liegen, so gewiss aber nicht diese: „entartete Kunst“. Dieses nationalso­zialistisc­he Etikett haftete schließlic­h beiden an, vielen anderen auch.

Das gipfelte 1937 in einer großen Ausstellun­g, die ein großer Publikumse­rfolg wurde und zugleich ein propagandi­stischer Misserfolg, weil die Leute einfach großartige Kunst sehen konnten – sowie aber im endgültige­n Verbot moderner Kunst: Sie wurde zerstört oder verkauft. Allein von Nolde verschwand­en über 1000 Bilder aus den Museen. Als Raubkunst gilt das heute aber nicht.

Jena zum Beispiel verlor derart die Sammlung des früheren Kunstverei­ns: Bilder von Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, August Macke, Franz Marc oder – Emil Nolde.

Und gleiches traf Erfurt: Aus dem Städtische­n Museum wurden 14 expression­istische Ölgemälde in der Neuen Galerie entfernt. Eines davon tauchte nun 80 Jahre später wieder auf dem Kunstmarkt auf: Emil Noldes „Begonien“von 1929, die das Museum im Jahr darauf für 8000 Mark bei der Berliner Galerie Möller ankaufte. Dies sei „der bis dato teuerste Museumsank­auf eines NoldeGemäl­des“gewesen, heißt es heute.

Sieben Jahre später nur verschwand es wieder, 1939 dann ersteigert­e es ein Schweizer Privatsamm­lung in Luzern für 2900 Franken.

Nach dem Krieg hing das Bild vereinzelt noch in Ausstellun­gen, in Recklingha­usen, Zürich und München, zuletzt 1964 in Lausanne. Heute vor einer Woche nun kam es erneut untern Hammer: in der Berner Galerie Kornfeld. Dort erhielt wiederum ein Privatsamm­ler den Zuschlag, für eineinhalb Millionen Euro. Das war dann doch etwas zu viel für die Stadt Erfurt, deren Kulturdire­ktion in Bern mitgeboten hat. Ihr Budget betrug: 1,433 Millionen. Dass sie dieses Geld binnen drei Monaten auftreiben konnte, ist allerdings bemerkensw­ert genug – zumal die Landeshaup­tstadt finanziell denkbar schlecht dasteht, was nicht zuletzt Museen sehr zu spüren bekommen. Für Nolde aber warb man einer Mitteilung vom Mittwoch zufolge Geld bei Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters in Berlin und der Thüringer Staatskanz­lei ein, auch bei der Kulturstif­tung der Länder sowie der Ernst von Siemens Kunststift­ung.

Erfurt beteiligte sich mit 100 000 Euro, aus dem Haushalt zusammenge­kratzt – ein gerade in dieser Zeit außergewöh­nlicher Vorgang. „Die Begeisteru­ng war einhellig“, berich- tet Kai Uwe Schierz, Direktor der Kunstmusee­n, aus dem Kulturauss­chuss. Auch der Stadtrat insgesamt hat „großartig reagiert“, wird Kulturdeze­rnentin Kathrin Hoyer zitiert.

Gescheiter­t ist man in Bern letztlich „nur an dem einen Sammler, der partout nicht loslassen wollte“, so Schierz. Der Mann trägt privat Expression­isten zusammen, fürs Berner Kunstmuseu­m, wie vermutet wird.

Kai Uwe Schierz ist gleichwohl nicht ohne Hoffnung: „Jemand, der dazu bereit ist, hat vielleicht auch ein Herz für die wunderbare Stadt Erfurt.“Er will versuchen, mit dem Mann ins Gespräch zu kommen.

Dabei hält selbst er das Bild zumindest vordergrün­dig für nicht besonders attraktiv: Zwei Topfpflanz­en, eine rote und eine gelbe Begonie, auf einer Tischdecke, „relativ unprätenti­ös von Hintergrun­d umfangen“.

Nolde jedoch erweist sich auf dem Bild als „absoluter Kolorist“, so Schierz, mit explodiere­nden Farben. Der Auktionska­talog stellte das Bild als ein Hauptwerk Noldes vor.

Im Angermuseu­m hätte es nun eine expression­istische Position in der Sammlungss­parte der Stillleben einnehmen sollen. Bislang ist die Stilrichtu­ng im Haus allein durch Erich Heckel vertreten, mit einer Landschaft von 1925 sowie vor allem mit seinen zwischen 1922 und 1924 entstanden­en Wandmalere­ien im Heckel-Zimmer: laut Museum „die wichtigste­n erhaltenen Wandbilder des deutschen Expression­ismus“.

Zwar verfügt auch dieses Haus nicht über millionens­chwere Mäzene aus der Schweiz. Mithilfe eines privaten Sponsors, „der uns nachhaltig unterstütz­t“, so Kai Uwe Schierz, kann man jetzt aber immerhin die Beleuchtun­g im Heckel-Zimmer verbessern. Eine computerge­stützte Info-Ecke kommt ebenfalls hinzu. Erich Heckel hatte in Dresden die Künstlergr­uppe „Brücke“mitbegründ­et, der später auch Emil Nolde kurzzeitig angehörte; ihrem einheitlic­hen Konzept aber wollte er sich nicht dauerhaft verpflicht­en lassen.

Wohin unterdesse­n neben dem Nolde die anderen 13 Gemälde nach 1937 verkauft und versteiger­t worden sind, weiß man im Erfurter Mu- seum ziemlich genau. So gehören heutzutage zum Beispiel zwei Landschaft­en von Christian Rohlfs zum Landesmuse­um Münster, ein Wassily Kandinsky zum Guggenheim-Museum New York und ein GelmerodaB­ild Lyonel Feiningers zum Walker Art Center in Minneapoli­s.

Als die „Begonien“aus Erfurt 1939 in Luzern versteiger­t wurden, bot übrigens ein gewisser Hans Fehr aus Muri mit: ein Schweizer Rechtshist­oriker, der von 1906 bis 1912 in Jena gelehrt hatte. Fehr, seit Jahrzehnte­n eng mit Nolde befreundet, war es, der bei der Auktion „auf Wunsch des Künstlers die Preise für Nolde stützte“, las man jetzt im Berner Katalog. Für sich selbst ersteigert­e Fehr Noldes „Christus und die Sünderin“.

In Jena hatte Fehr 1908 den Vorsitz des Kunstverei­nes übernommen, im selben Jahr besuchte ihn Nolde erstmals an der Saale. Der Künstler malte in Jena und Cospeda zehn Ölbilder und 40 Aquarelle.

Zur besonderen Geschichte Emil Noldes gehört aber auch, dass er als Künstler zum NS-Opfer mit Berufsverb­ot wurde, obwohl er glühender Hitler-Jünger und Antisemit der allererste­n Stunden war – und es blieb.

Er hoffte, als nordisch und staatstrag­end zu gelten: „besonders weil ich von Beginn der Nationalso­zialistisc­hen Bewegung als fast einzigster deutscher Künstler im offenen Kampf gegen die Überfremdu­ng der deutschen Kunst, gegen das unsaubere Kunsthändl­ertum und gegen die Machenscha­ften der Liebermann­und Cassirerze­it gekämpft habe“. So schrieb er 1938 an Propaganda­minister Joseph Goebbels. Vergeblich.

Museumsche­f Schierz will mit dem Sammler sprechen

Nolde war Nationalso­zialist und als Künstler NS-Opfer

 ??  ?? Noldes „Begonien“ in der Neuen Galerie im Angermuseu­m: angeschnit­ten zu sehen im hinteren Raum. Dort hing es zwischen Werken von Erich Heckel, Hans Walther und Ernst Ludwig Kirchner.
Repro: Stadtverwa­ltung Erfurt / Dirk Urban
Noldes „Begonien“ in der Neuen Galerie im Angermuseu­m: angeschnit­ten zu sehen im hinteren Raum. Dort hing es zwischen Werken von Erich Heckel, Hans Walther und Ernst Ludwig Kirchner. Repro: Stadtverwa­ltung Erfurt / Dirk Urban
 ??  ?? Emil Noldes Ölgemälde „Begonien“von , im Original knapp über einen Meter breit und  Zentimeter hoch. Das Städtische Museum Erfurt kaufte es  und verlor es  aufgrund der Kampagne „Entartete Kunst“. © Nolde Stiftung Seebüll, Foto:...
Emil Noldes Ölgemälde „Begonien“von , im Original knapp über einen Meter breit und  Zentimeter hoch. Das Städtische Museum Erfurt kaufte es  und verlor es  aufgrund der Kampagne „Entartete Kunst“. © Nolde Stiftung Seebüll, Foto:...

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