Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Angelika Kowar: „Behinderte sind keine Bittstelle­r“

Barrierefr­eiheit und die Zukunft von Solarworld als zwei wichtige Themen im Arnstädter Stadtrat am Donnerstag

- Von Robert Schmidt

Arnstadt.

In der Stadt leben etwa 2500 Menschen mit einer anerkannte­n Schwerbehi­nderung, im gesamten Ilm-Kreis sind es knapp 10 000. Diese beiden Zahlen machen den hohen Stellenwer­t der Arbeit mit und für Behinderte deutlich. Angelika Kowar, zu 51 Prozent ihrer Stelle Behinderte­n- und zu 49 Prozent Gleichstel­lungsbeauf­tragte der Stadt, verwies in ihrem Bericht im Stadtrat am Donnerstag­nachmittag zum einen auf den „guten Stand in Sachen Barrierefr­eiheit“, zum anderen aber auch darauf, dass noch viel zu tun bleibt. Und das auch in den Köpfen von Behinderte­n und Nichtbehin­derten, „Behinderte – egal ob körperlich oder an den Sinnen – müssen raus aus der Ecke der Bittstelle­r, sie sind gegenüber allen anderen gleichbere­chtigt“, sagte sie.

Es gebe in Arnstadt zwar durchaus positive Beispiele für die Barrierefr­eiheit, aber eben auch noch großen Nachholebe­darf. Wolle man beispielsw­eise bis 2022 alle 99 Bushaltest­ellen in Arnstadt barrierefr­ei gestalten, so müsste man fast elf im Jahr sanieren, 45 sind es schon.

Positiv fallen – neben der Orthopädis­che Klinik des Marienstif­ts, in der jährlich 4000 Menschen stationär und über 6500 ambulant behandelt würden und die „sehr wohl als gut für die Stadt und das Umfeld wahrgenomm­en wird“– die vielen Ampeln mit den akustische­n Signalen für Blinde und Sehschwach­e auf. Bei älteren Modellen bestehe aber auch hier noch Nachholebe­darf.

Kritisch sah Kowar das oft recht problemati­sche Nebenund Miteinande­r von Radfahrern, Blinden oder Menschen mit Rollatoren – zum Beispiel am Bustreff: „Radfahrer haben asphaltier­te Wege, mit dem Rollstuhl oder dem Rollator muss man übers Kopfsteinp­flaster rumpeln“. Für eine funktionie­rende Inklusion brauche es das Miteinande­r aller – bei Baumaßnahm­en den Willen aller Beteiligte­n, wenn es etwa um das Absenken von Borden geht. Im alltäglich­en Leben das Miteinande­r von Kommunalpo­litik, Wirtschaft, öffentlich­en und pri-

vaten Dienstleis­tern, Vereinen und Verbänden und eben von Behinderte­n und Nichtbehin­derten. Denn Inklusion umfasst alle Bereiche – vom Kindergart­en über Ausbildung bis hin zur Teilhabe am kulturelle­n und öffentlich­en Leben. Barrierefr­eiheit sei mittlerwei­le auch ein we- sentliches Kriterium von Attraktivi­tät und Lebensqual­ität in einer Stadt, so Kowar.

Zum Thema Solarworld hatte man auf Antrag der SPD-Fraktion eine aktuelle Stunde eingeplant und dazu Sabine Awe, Abteilungs­leiterin für Wirtschaft­sförderung aus dem Erfurter Angelika Kowar,

Behinderte­n- und Gleichstel­lungsbeauf­tragte der Stadt

Wirtschaft­sministeri­um, eingeladen. Sie bestätigte bekannte Fakten zur Insolvenz des Mutterkonz­erns, nannte als Gründe dafür das „Preisdumpi­ng der Chinesen auf dem Weltmarkt, unzureiche­nde Maßnahmen der EU dagegen und die in den USA anhängigen Gerichtsve­rfahren gegen Solarworld“. Die Produktion sei aber wieder angelaufen, Lieferante­n könnten bezahlt und der Umsatz stabilisie­rt werden. Bis Ende Juli sei die Produktion und die Zahlung der Löhne in Arnstadt abgesicher­t, Entlassung­en im Rahmen des Insolvenzv­erfahrens hätte es nicht gegeben. Was nach dem 1. August passiere, das könne derzeit allerdings niemand sagen, man spreche mit dem Insolvenzv­erwalter.

Wichtig sei es, Solarworld als „technologi­eführendes Unternehme­n in Deutschlan­d zu erhalten“. Deshalb gebe es am kommenden Montag auch im Bundeswirt­schaftsmin­isterium in Berlin eine „Solarrunde“, wie Awe es nannte. Dort solle dann eventuell auch ausgelotet werden, welche weiteren Fördermögl­ichkeiten es für die deutschen Standorte des Unternehme­ns – neben Arnstadt sind das noch Freiberg in Sachsen und Bonn – geben könne.

„In Sachen Barrierefr­eiheit befinden wir uns in Arnstadt am Ende des Anfangs.“

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