Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Angelika Kowar: „Behinderte sind keine Bittsteller“
Barrierefreiheit und die Zukunft von Solarworld als zwei wichtige Themen im Arnstädter Stadtrat am Donnerstag
Arnstadt.
In der Stadt leben etwa 2500 Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung, im gesamten Ilm-Kreis sind es knapp 10 000. Diese beiden Zahlen machen den hohen Stellenwert der Arbeit mit und für Behinderte deutlich. Angelika Kowar, zu 51 Prozent ihrer Stelle Behinderten- und zu 49 Prozent Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, verwies in ihrem Bericht im Stadtrat am Donnerstagnachmittag zum einen auf den „guten Stand in Sachen Barrierefreiheit“, zum anderen aber auch darauf, dass noch viel zu tun bleibt. Und das auch in den Köpfen von Behinderten und Nichtbehinderten, „Behinderte – egal ob körperlich oder an den Sinnen – müssen raus aus der Ecke der Bittsteller, sie sind gegenüber allen anderen gleichberechtigt“, sagte sie.
Es gebe in Arnstadt zwar durchaus positive Beispiele für die Barrierefreiheit, aber eben auch noch großen Nachholebedarf. Wolle man beispielsweise bis 2022 alle 99 Bushaltestellen in Arnstadt barrierefrei gestalten, so müsste man fast elf im Jahr sanieren, 45 sind es schon.
Positiv fallen – neben der Orthopädische Klinik des Marienstifts, in der jährlich 4000 Menschen stationär und über 6500 ambulant behandelt würden und die „sehr wohl als gut für die Stadt und das Umfeld wahrgenommen wird“– die vielen Ampeln mit den akustischen Signalen für Blinde und Sehschwache auf. Bei älteren Modellen bestehe aber auch hier noch Nachholebedarf.
Kritisch sah Kowar das oft recht problematische Nebenund Miteinander von Radfahrern, Blinden oder Menschen mit Rollatoren – zum Beispiel am Bustreff: „Radfahrer haben asphaltierte Wege, mit dem Rollstuhl oder dem Rollator muss man übers Kopfsteinpflaster rumpeln“. Für eine funktionierende Inklusion brauche es das Miteinander aller – bei Baumaßnahmen den Willen aller Beteiligten, wenn es etwa um das Absenken von Borden geht. Im alltäglichen Leben das Miteinander von Kommunalpolitik, Wirtschaft, öffentlichen und pri-
vaten Dienstleistern, Vereinen und Verbänden und eben von Behinderten und Nichtbehinderten. Denn Inklusion umfasst alle Bereiche – vom Kindergarten über Ausbildung bis hin zur Teilhabe am kulturellen und öffentlichen Leben. Barrierefreiheit sei mittlerweile auch ein we- sentliches Kriterium von Attraktivität und Lebensqualität in einer Stadt, so Kowar.
Zum Thema Solarworld hatte man auf Antrag der SPD-Fraktion eine aktuelle Stunde eingeplant und dazu Sabine Awe, Abteilungsleiterin für Wirtschaftsförderung aus dem Erfurter Angelika Kowar,
Behinderten- und Gleichstellungsbeauftragte der Stadt
Wirtschaftsministerium, eingeladen. Sie bestätigte bekannte Fakten zur Insolvenz des Mutterkonzerns, nannte als Gründe dafür das „Preisdumping der Chinesen auf dem Weltmarkt, unzureichende Maßnahmen der EU dagegen und die in den USA anhängigen Gerichtsverfahren gegen Solarworld“. Die Produktion sei aber wieder angelaufen, Lieferanten könnten bezahlt und der Umsatz stabilisiert werden. Bis Ende Juli sei die Produktion und die Zahlung der Löhne in Arnstadt abgesichert, Entlassungen im Rahmen des Insolvenzverfahrens hätte es nicht gegeben. Was nach dem 1. August passiere, das könne derzeit allerdings niemand sagen, man spreche mit dem Insolvenzverwalter.
Wichtig sei es, Solarworld als „technologieführendes Unternehmen in Deutschland zu erhalten“. Deshalb gebe es am kommenden Montag auch im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin eine „Solarrunde“, wie Awe es nannte. Dort solle dann eventuell auch ausgelotet werden, welche weiteren Fördermöglichkeiten es für die deutschen Standorte des Unternehmens – neben Arnstadt sind das noch Freiberg in Sachsen und Bonn – geben könne.
„In Sachen Barrierefreiheit befinden wir uns in Arnstadt am Ende des Anfangs.“