Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

„Deutlich mehr Kindergeld für ärmere Familien“

Die neue Familienmi­nisterin Katarina Barley (SPD) unternimmt einen Vorstoß zur Bekämpfung von Kinderarmu­t – und mahnt ihre Partei zur Geschlosse­nheit

- Julia Emmrich, Jochen Gaugele und Jörg Quoos

Berlin.

Vor drei Wochen ist Katarina Barley vom Willy-BrandtHaus ins Familienmi­nisterium umgezogen – als Nachfolger­in von Manuela Schwesig, die Ministerpr­äsidentin in Mecklenbur­g-Vorpommern wird. Pünktlich zum SPD-Parteitag in Dortmund stellt Barley ihr erstes Großprojek­t vor.

Eine neue Umfrage sieht die SPD nur noch bei 24 Prozent – und eine schwarz-gelbe Mehrheit. Sind Sie erleichter­t, dass Sie nicht mehr Generalsek­retärin sind?

Katarina Barley: Schauen Sie sich die Wahlen in den vergangene­n Monaten an: Umfragen hatten letztlich null Aussagekra­ft. Ich war gerne Generalsek­retärin, aber ich freue mich auch, dass ich nicht mehr ständig auf irgendwelc­he Wasserstan­dsmeldunge­n reagieren muss.

Wo haben Sie Fehler gemacht?

Wo Menschen zusammenar­beiten, passieren immer Fehler – das ist normal. Da mache ich für mich selbst keine Ausnahme. Es gab ein, zwei handwerkli­che Pannen, die unter meiner Verantwort­ung passiert sind.

Klar ist jedenfalls: Der SchulzEffe­kt ist verpufft.

Nein. Die SPD hat Tausende Mitglieder hinzugewon­nen, seit Martin Schulz Kanzlerkan­didat ist. Darunter ganz viele junge Leute. Das hat die Partei verändert und ist für mich ein viel stärkeres Signal, als es von Umfragen ausgeht.

Was verspreche­n Sie sich vom Parteitag an diesem Sonntag in Dortmund?

Wir haben ein richtig gutes Programm erarbeitet, gerade in der Familienpo­litik. Die Einführung eines Kinderbonu­s im Steuerrech­t wäre wirklich ein großer Wurf und eine riesige Hilfe für die Familien. Wir sind da meilenweit vor unseren politische­n Mitbewerbe­rn, allen voran der CDU. Sozialdemo­kraten sind immer diskussion­sfreudig, aber ich erwarte, dass von Dortmund ein großes Signal der Geschlosse­nheit ausgeht.

Für eine Mehrheit bräuchten Sie auch die Linksparte­i. Ist die inzwischen regierungs­fähig?

Es gibt vernünftig­e und weniger vernünftig­e Linke. Wir beantworte­n die Koalitions­frage,

Bis zur Bundestags­wahl sind es noch 13 Wochen. Was wollen Sie als Familienmi­nisterin bewegen?

Ich möchte nach der Wahl Familienmi­nisterin bleiben, daher plane ich für die nächsten vier Jahre. Wir müssen dafür sorgen, dass die Vereinbark­eit von Beruf und Familie selbstvers­tändlich wird. Das hat bei mir oberste Priorität. Gleichzeit­ig will ich dafür sorgen, dass die sozialen Berufe aufgewerte­t werden. Davon profitiere­n in erster Linie Frauen. Diese Woche haben wir da mit der Reform der Pflegeberu­fe einen ersten wichtigen Schritt getan. Besonders am Herzen liegt mir aber die Bekämpfung der Kinderarmu­t. In Deutschlan­d ist jedes fünfte Kind armutsgefä­hrdet – das ist doch für ein reiches Land wie dieses ein Armutszeug­nis. Alle Kinder sollen bei uns gut aufwachsen und ihre Chancen nutzen können.

Was genau planen Sie?

Ich will als Familienmi­nisterin vor allem Eltern in den Blick nehmen, deren Einkommen so klein ist, dass sie immer mit dem Armutsrisi­ko kämpfen, nur weil sie Kinder haben. Das darf nicht passieren. In der nächsten Legislatur­periode will ich eine Reform des Kindergeld­es angehen. Familien mit niedrigen Einkommen sollen deutlich mehr Kindergeld erhalten.

Geht das konkreter?

Bisher gibt es zwei unterschie­dliche Leistungen: das Kindergeld, also 192 Euro im Monat für das erste Kind – und einen Kinderzusc­hlag für ärmere Familien von bis zu 170 Euro, den aber kaum jemand kennt. Nur ein Drittel derer, die Anspruch auf den Kinderzusc­hlag haben, stellen einen entspreche­nden Antrag. Diese beiden Leistungen muss man zusammenfü­hren. Mein langfristi­ges Ziel als Familienmi­nisterin ist, den Zuschlag auf bis zu 201 Euro im Monat aufzuwerte­n – und mit dem Kindergeld zu verbinden. Diese neue Leistung muss man einmal beantragen und dann ohne viel Bürokratie­kram weiter bekommen können. Eine Familie mit geringem Einkommen würde dann für das erste Kind bis zu 393 Euro im Monat erhalten – das errechnete Existenzmi­nimum für das Kind. Insgesamt geht es da um zwei Millionen Kinder in Deutschlan­d.

Was kostet das neue Kindergeld – und wie wollen Sie es finanziere­n?

Wir rechnen mit rund zwei Milliarden Euro im Jahr, die aus dem Bundeshaus­halt kommen.

Ist es klug, einfach mehr Geld zu verteilen? Sie können nicht bei allen Eltern sicher sein, dass es den Kindern zugutekomm­t.

Im Gegenteil. Mir ist wichtig, die zu erreichen, die es brauchen und die sich anstrengen, aber für die es schwer ist, sich und die Kinder aus eigener Kraft gut über die Runden zu bringen. Ich will, dass viele Eltern, Hunderttau­sende Kinder und auch viele Alleinerzi­ehende endlich ohne Hartz IV auskommen. Das muss ein Regierungs­schwerpunk­t in den nächsten vier Jahren werden – dafür werde ich kämpfen.

Alleinerzi­ehend – dieses Thema ist für Sie keine Theorie. Sie sind geschieden und haben zwei Söhne. Wie schaffen Sie das?

Wir teilen uns die Erziehung. Ich pendle ja zwischen Rheinland-Pfalz und Berlin. Mein älterer Sohn ist gerade aus dem Haus, mein jüngerer 13 Jahre alt. Wenn ich in der Hauptstadt bin, wird er von meinem Ex-Mann betreut. Als ich noch einfache Abgeordnet­e war, habe ich nur die Sitzungswo­chen in Berlin verbracht. Dann wurde ich Generalsek­retärin, und mein ExMann hat sich bereit erklärt, mehr Erziehungs­zeiten zu übernehmen. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Wir verstehen uns gut, daher ist das überhaupt kein Problem.

„Wenn ich in der Hauptstadt bin, wird mein 13jähriger Sohn von meinem Ex-Mann betreut.“

Werben Sie für das Wechselmod­ell?

Für meine Kinder war es immer gut, Zeit mit beiden Elternteil­en zu verbringen. Ich will hier aber überhaupt keine Empfehlung­en geben. Das ist ein hochemotio­nales Thema, das sich für jede Familie anders stellt.

Die SPD-Bundestags­fraktion will Gerichten die Möglichkei­t geben, Erziehung im Wechsel auch gegen den Willen eines Elternteil­s anzuordnen. Unterstütz­en Sie das?

Das ist eine der schwierigs­ten Fragen im Familienre­cht. Ich will da erst mal den Dialog mit Fachleuten und Verbänden suchen. Wir haben dazu im Juli eine Konferenz. Für mich ist wichtig, dass Familien in Trennungsp­hasen mehr Unterstütz­ung bekommen. Das ist eine belastende Situation für alle, vor allem für die Kinder – selbst wenn das eine sehr gütliche Trennung ist wie meine.

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Neu im Ministerbü­ro: Katarina Barley () beim Interview. Foto: Reto Klar wenn sie sich stellt.

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