Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

100 Tage als Staatsober­haupt: Steinmeier ist „jetzt da“

Der Wechsel vom Außenminis­ter zum Bundespräs­identen war für den früheren SPD-Politiker schwerer als gedacht

- Von Christian Kerl

Berlin.

Selten ist ein Bundespräs­ident so gut vorbereite­t ins Amt gekommen wie Frank-Walter Steinmeier. Einfach war der Start trotzdem nicht. Die Umstellung sei „noch größer gewesen als gedacht“, gibt er zu, auch wenn er wusste, was ihn erwartet. Die Themen seien breiter als in seiner Zeit als Außenminis­ter, die Gesprächsp­artner vielfältig­er – und mit Entscheidu­ngen des politische­n Alltags hat das Staatsober­haupt weniger zu tun.

Zwei Jahrzehnte saß Steinmeier an den Hebeln der Macht, im höchsten Staatsamt hat er jetzt zwar viel zu sagen, aber wenig zu entscheide­n. Doch nach 100 Tagen im Amt ist Steinmeier mit sich im Reinen. Er sei gut angekommen, versichert er: „Ich bin jetzt da.“Wo immer der Präsident auftritt, hinterläss­t er den Eindruck, die neue Aufgabe zu genießen – das Denken in längeren Linien ebenso wie die Begegnung mit Bürgern.

Vergangene Woche etwa beim Antrittsbe­such in Brandenbur­g staunen die Bürger, wie locker und zugewandt Steinmeier ist – und wie herzlich seine Frau Elke Büdenbende­r auftritt, die schnell in die Rolle der First Lady gefunden hat. Beide sehen „einen ungeheuren Gesprächsb­edarf“vieler Menschen. Das Interesse sei riesengroß, die Scheu der Bürger kleiner als zu seinen Ministerze­iten. „Viele wollen ihr Anliegen einfach mal loswerden und ernst genommen werden.“

Doch es waren vor allem die Auslandsre­isen, mit denen der frühere Außenminis­ter bisher Aufmerksam­keit geweckt hat. Etwa die Reise nach Israel, wo er die Aufregung dämpfen musste, die bei dem Besuch seines Nachfolger­s Sigmar Gabriel entstanden war. Der Präsident hat die Lage entspannt, ohne die deutsche Position infrage zu stellen. Der Ton im Ausland sei jetzt ein anderer, sagt er: Als Präsident kann er freier formuliere­n.

Für Aufsehen sorgte seine Antrittsre­de im Bundestag, als er sich den türkischen Präsidente­n Erdogan vornahm: „Respektier­en Sie den Rechtsstaa­t und die Freiheit von Medien und Journalist­en! Und geben Sie Deniz Yücel frei.“Und im EU-Parlament kritisiert­e er Ungarns Ministerpr­äsidenten Orbán wegen der drohenden Schließung einer privaten Universitä­t.

Das alles ist stimmig, aber zumeist glanzlos. Manches wirkt fast zu routiniert. Da macht es Schlagzeil­en, wenn der Personalra­t des Präsidiala­mtes zurücktrit­t, weil er sich in die Neueinstel­lung von Mitarbeite­rn nicht genug eingebunde­n fühlt. In einer Umfrage bewerteten die Bürger den neuen Präsidente­n kürzlich mit der Schulnote 2,7 – ganz gut, aber steigerung­sfähig.

Schon melden sich Kritiker, die die Handschrif­t des Präsi- denten, die große Rede vermissen. Aber das ist eine Klage, die bislang jeden Bundespräs­identen im ersten Amtsjahr verfolgte. Und: innenpolit­ische Wortmeldun­gen könnten jetzt als Einmischun­g in den Bundestags­wahlkampf verstanden werden. Das möchte der frühere SPD-Politiker, dessen Parteimitg­liedschaft ruht, wohl vermeiden. So ist er erst mal weiter auf Deutschlan­dreise, um sich Sorgen und Hoffnungen der Bürger anzuhören und das Land in seiner ganzen Bandbreite kennenzule­rnen, wie er sagt. Er wolle, sagt der ExAußenmin­ister, „das eigene Land mit neuen Augen sehen“.

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