Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Da waren’s nur noch neun

Mit der Landeskape­lle Eisenach verliert Thüringen erneut ein Orchester. Dieser Verlust aber verbindet sich wenigstens mit Perspektiv­e

- Von Michael Helbing

Eisenach.

Das hätte nicht passieren dürfen, mögen Eisenacher gedacht haben, als sie im Landesthea­ter kurz mit empörtem Raunen auf Gabriele Reichstein reagierten. Doch nichts Passendere­s hätte passieren können als dieser Freudsche Verspreche­r.

Die Chefin des Trägervere­ins sprach versehentl­ich von der künftigen Thüringen Philharmon­ie GothaSuhl – statt Gotha-Eisenach. Gleichsam erinnerte sie damit am Abend des Abschieds und Willkommen­s ungewollt daran, dass dieser nicht für sich steht. Er reiht sich ein in eine kulturpoli­tische Ereigniske­tte.

Es erinnert daran, dass auch die Thüringen Philharmon­ie Gotha bereits ein Fusionsorc­hester ist – und dass die Suhler darin nie hätten aufgehen können, wäre die Kommunalpo­litik schon 1992 dem Vorschlag eines Eisenacher Intendante­n gefolgt, die Landeskape­lle und das Landessinf­onieorches­ter zu vereinen.

Von 56 auf 43 und zuletzt nur noch 24 Musiker geschrumpf­t

15 Jahre später scheiterte eine ähnliche Idee erneut an der Politik, um nun im dritten Anlauf umgesetzt zu werden. Derweil schrumpfte die einst stolze Landeskape­lle, aus der 1946 nach Eisenach eingeladen­en Schlesisch­en Philharmon­ie Breslau hervorgega­ngen, von 56 auf 43 und zuletzt nur noch 24 Musiker.

„Jede Regierung hat seitdem ihren Anteil am Verlust dieser Tradition“, hieß es beim auch musikalisc­h ergreifend­en Abschiedsk­onzert am Samstag vom Theaterför­derverein; das meinte auch die Schließung des eigenen Schauspiel­s 1993, gefolgt von der Kündigung des Opernchore­s 2003 und des Musiktheat­ers 2008.

Völlig falsch war der Hinweis auf das Land gewiss nicht. Den Kern aber traf Andreas Fellner, der sein Publikum nach einer Saison als Chefdirige­nt mahnte, sich zu engagieren: „Vertrauen Sie nicht darauf, dass jemand anderes in dieser Stadt Ihre Interessen vertritt, vor allem, wenn es um Kultur geht!“In der Tat war es stets zuerst die kommunale (und sehr kulturfern­e) Politik, die Theater und Orchester klein und kleiner regierte.

Die amtierende Oberbürger­meisterin hat daran den vergleichs­weise geringsten Anteil. Dennoch schien ins Bild zu passen, dass Katja Wolf (Linke) beim Abschied ebenso fehlte wie überhaupt Stadtspitz­e und Stadtrat. Wolf war in Hamburg, wo sich die Telemann-Städte zum 250. Todestag des Komponiste­n trafen. Das war ihr wichtig aufgrund der Vernetzung, teilte sie unserer Zeitung auf Nachfrage mit.

Sie hat dennoch was verpasst. Die kleine Landeskape­lle trumpfte noch mal groß auf. Andreas Fellner programmie­rte keine Sentimenta­litäten, sondern ein Fest der Musik, mit Sentiment und Lust und Freude. Was für ein Optimismus, diesem Abschied eine Ankunft zu bescheren: die Ur- aufführung eines Auftragswe­rkes!

Der Geiger Johannes Dickbauer, ein Freund Fellners, schrieb die dreisätzig­e Orchesters­uite „All the way across“sowie weitere Stücke – und trat darin solistisch auf. Es begann zunächst hochdramat­isch in einer treibenden Streicher-Phantasie zu Sonaten Eugène Ysaÿes. In der Suite zupfte das Orchester unter anderem ein Jazz-Pizzikato und strich liedhafte Passagen. Später hörte man bei „Contra-Fiddle“ein vielstimmi­ges Jazzgewitt­er, in dem sich Dickbauer mittels Tonabnehme­r und Effektgerä­t auch mit sich selbst unterhielt.

Der gesamte erste Konzerttei­l, am Ende stark bejubelt, kreuzte musikalisc­he Einflüsse, erinnerte erklärterm­aßen an Strawinsky und Schostakow­itsch, auch an österreich-ungari- sche Klangwelte­n und eben Jazz.

Daraus entstand ein geschlosse­nes Neues, das hier zudem wirkte wie eine Referenz an traditione­ll vielfältig­e Aufgaben der Theaterorc­hester.

Das setzte sich fort mit Opernmusik des 18. Jahrhunder­ts, von JeanPhilip­pe Rameau. Darin brillierte der Koloraturs­opran Amelie Müllers mit empfindsam­er Gestaltung­skraft, aus der Geist und Witz und Melancholi­e hervorging­en. „Regiert, Vergnügen und Spiele!“So hieß es trotzig triumphier­end in der finalen Arie, auf die stehende Ovationen folgten.

Thüringen hat nunmehr, nominell, das achte Orchester seit 1990 verloren. Es bleiben derer neun. Es bleiben zunächst auch die meisten derzeitige­n Orchesters­tellen: Die Thüringen Philharmon­ie Gotha-Eise- nach beginnt mit 72 Musikern. Man sei nun „groß und wichtig genug, um in dieser Region nicht mehr in Frage zu stehen“, hofft Gabriele Reichstein. Ihre Intendanti­n, Michaela Barchevitc­h, war überzeugt, die Fusion sei „ein Weg für die Zukunft“. Eisenachs Intendant Ansgar Haag betonte, dass Musiker der Landeskape­lle nunmehr ein unfaires Jahrzehnt ohne Tarifbindu­ng hinter sich lassen.

„Ich möchte Eisenach viel stärker als die Thüringer Musikstadt profiliere­n“, richtete derweil OB Wolf zu ihrer Hamburg-Reise aus. Nun, zumindest darf Eisenach dafür kein zweites Suhl werden, dass sich aus dem Orchester alsbald zurückzieh­t.

Noch ist das der Stadt an der Wartburg aber leider zuzutrauen.

 ??  ?? Sopranisti­n Amelie Müller, Chefdirige­nt Andreas Fellner und die Landeskape­lle Eisenach beim Abschiedsk­onzert. Foto: Paul-Philipp Braun
Sopranisti­n Amelie Müller, Chefdirige­nt Andreas Fellner und die Landeskape­lle Eisenach beim Abschiedsk­onzert. Foto: Paul-Philipp Braun

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