Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Da waren’s nur noch neun
Mit der Landeskapelle Eisenach verliert Thüringen erneut ein Orchester. Dieser Verlust aber verbindet sich wenigstens mit Perspektive
Eisenach.
Das hätte nicht passieren dürfen, mögen Eisenacher gedacht haben, als sie im Landestheater kurz mit empörtem Raunen auf Gabriele Reichstein reagierten. Doch nichts Passenderes hätte passieren können als dieser Freudsche Versprecher.
Die Chefin des Trägervereins sprach versehentlich von der künftigen Thüringen Philharmonie GothaSuhl – statt Gotha-Eisenach. Gleichsam erinnerte sie damit am Abend des Abschieds und Willkommens ungewollt daran, dass dieser nicht für sich steht. Er reiht sich ein in eine kulturpolitische Ereigniskette.
Es erinnert daran, dass auch die Thüringen Philharmonie Gotha bereits ein Fusionsorchester ist – und dass die Suhler darin nie hätten aufgehen können, wäre die Kommunalpolitik schon 1992 dem Vorschlag eines Eisenacher Intendanten gefolgt, die Landeskapelle und das Landessinfonieorchester zu vereinen.
Von 56 auf 43 und zuletzt nur noch 24 Musiker geschrumpft
15 Jahre später scheiterte eine ähnliche Idee erneut an der Politik, um nun im dritten Anlauf umgesetzt zu werden. Derweil schrumpfte die einst stolze Landeskapelle, aus der 1946 nach Eisenach eingeladenen Schlesischen Philharmonie Breslau hervorgegangen, von 56 auf 43 und zuletzt nur noch 24 Musiker.
„Jede Regierung hat seitdem ihren Anteil am Verlust dieser Tradition“, hieß es beim auch musikalisch ergreifenden Abschiedskonzert am Samstag vom Theaterförderverein; das meinte auch die Schließung des eigenen Schauspiels 1993, gefolgt von der Kündigung des Opernchores 2003 und des Musiktheaters 2008.
Völlig falsch war der Hinweis auf das Land gewiss nicht. Den Kern aber traf Andreas Fellner, der sein Publikum nach einer Saison als Chefdirigent mahnte, sich zu engagieren: „Vertrauen Sie nicht darauf, dass jemand anderes in dieser Stadt Ihre Interessen vertritt, vor allem, wenn es um Kultur geht!“In der Tat war es stets zuerst die kommunale (und sehr kulturferne) Politik, die Theater und Orchester klein und kleiner regierte.
Die amtierende Oberbürgermeisterin hat daran den vergleichsweise geringsten Anteil. Dennoch schien ins Bild zu passen, dass Katja Wolf (Linke) beim Abschied ebenso fehlte wie überhaupt Stadtspitze und Stadtrat. Wolf war in Hamburg, wo sich die Telemann-Städte zum 250. Todestag des Komponisten trafen. Das war ihr wichtig aufgrund der Vernetzung, teilte sie unserer Zeitung auf Nachfrage mit.
Sie hat dennoch was verpasst. Die kleine Landeskapelle trumpfte noch mal groß auf. Andreas Fellner programmierte keine Sentimentalitäten, sondern ein Fest der Musik, mit Sentiment und Lust und Freude. Was für ein Optimismus, diesem Abschied eine Ankunft zu bescheren: die Ur- aufführung eines Auftragswerkes!
Der Geiger Johannes Dickbauer, ein Freund Fellners, schrieb die dreisätzige Orchestersuite „All the way across“sowie weitere Stücke – und trat darin solistisch auf. Es begann zunächst hochdramatisch in einer treibenden Streicher-Phantasie zu Sonaten Eugène Ysaÿes. In der Suite zupfte das Orchester unter anderem ein Jazz-Pizzikato und strich liedhafte Passagen. Später hörte man bei „Contra-Fiddle“ein vielstimmiges Jazzgewitter, in dem sich Dickbauer mittels Tonabnehmer und Effektgerät auch mit sich selbst unterhielt.
Der gesamte erste Konzertteil, am Ende stark bejubelt, kreuzte musikalische Einflüsse, erinnerte erklärtermaßen an Strawinsky und Schostakowitsch, auch an österreich-ungari- sche Klangwelten und eben Jazz.
Daraus entstand ein geschlossenes Neues, das hier zudem wirkte wie eine Referenz an traditionell vielfältige Aufgaben der Theaterorchester.
Das setzte sich fort mit Opernmusik des 18. Jahrhunderts, von JeanPhilippe Rameau. Darin brillierte der Koloratursopran Amelie Müllers mit empfindsamer Gestaltungskraft, aus der Geist und Witz und Melancholie hervorgingen. „Regiert, Vergnügen und Spiele!“So hieß es trotzig triumphierend in der finalen Arie, auf die stehende Ovationen folgten.
Thüringen hat nunmehr, nominell, das achte Orchester seit 1990 verloren. Es bleiben derer neun. Es bleiben zunächst auch die meisten derzeitigen Orchesterstellen: Die Thüringen Philharmonie Gotha-Eise- nach beginnt mit 72 Musikern. Man sei nun „groß und wichtig genug, um in dieser Region nicht mehr in Frage zu stehen“, hofft Gabriele Reichstein. Ihre Intendantin, Michaela Barchevitch, war überzeugt, die Fusion sei „ein Weg für die Zukunft“. Eisenachs Intendant Ansgar Haag betonte, dass Musiker der Landeskapelle nunmehr ein unfaires Jahrzehnt ohne Tarifbindung hinter sich lassen.
„Ich möchte Eisenach viel stärker als die Thüringer Musikstadt profilieren“, richtete derweil OB Wolf zu ihrer Hamburg-Reise aus. Nun, zumindest darf Eisenach dafür kein zweites Suhl werden, dass sich aus dem Orchester alsbald zurückzieht.
Noch ist das der Stadt an der Wartburg aber leider zuzutrauen.